"Jetzt habe ich so hart trainiert und nun ist die große Formkrise da." Gerade solche Mails mit dem Schrei nach Vergebung der Laufsünden des Winters erreichen mich in dieser Zeit. Betroffen sind meist Läufer(innen), die schon im frühen Frühjahr in guter Form waren und jetzt schon wieder bleierne Schwäche in den Gliedern spüren.
Wenn es nicht so läuft wird ausschließlich von einer Formkrise gesprochen. Wobei fast niemand weiß, was denn eine vorübergehende Schwäche von einer Krise unterscheidet. Eine Formkrise setzt eine schon vorher länger andauernde Phase erhöhter Leistungsfähigkeit voraus.
Wenn du schon beim Silvesterlauf brilliert und im Februar jeden Tempolauf gegen deine Holgers (bzw. Olgas) gewonnen hast und im März schon 3 Bestzeiten erlaufen hast, dann wird es kritisch.
Und wenn du jetzt schon seit mehr als drei Wochen nicht mehr an die Trainingszeiten vom Februar herankommst, dann hast du erst einmal eine Formschwäche. Aus der kannst du aber auch wieder herauskommen.
Eine richtige Krise hast du aber, wenn du, um deinem Holger endlich einmal zu zeigen, wo der Hammer hängt, keine Regenerationspause im Winter gemacht hast.
Zudem bist du alle Einheiten schneller als empfohlen gelaufen, hast Holger die Tränen in die Augen getrieben und läufst jetzt schon seit mehr als 4 Wochen hinter denen hinterher, die du im Februar im Griff hattest. Dann hast du wirklich eine Formkrise. Aus der du sicher wieder herauskommst, aber leicht wird das nicht.
Ich bin jetzt einmal gehässig: Diese Krise ist dir aber auch von Herzen zu gönnen. So ein Verhalten liebe ich als Trainer ganz besonders und kommentiere es immer mit dem Satz: "Jeder bringt sich so gut um, wie er kann!"
Keine Angst, ich bin dir nicht böse, denn solche Sachen musste ich auch erst lernen. Aber manchmal hilft nur der grobe Hammer, um den Betroffenen ihr eigenschädliches Verhalten klar zu machen.
Und es ist zumindest noch nicht so grob, wie das, was ich wirklich denke über so einen keuchlungigen Stumpfkopf, der meint seinen Körper ohne Pause bis zum Abwinken quälen zu können. ;-)
Aber es gibt dennoch Personen, bei denen man so ein Verhalten entschuldigen kann oder sogar muss. Das sind Jugendliche und Anfänger. Beide leiden oder beglücken sich in einem Erfahrungsdilemma.
Wer von der Schüler- in die Jugendklasse aufsteigt und damit auch einem umfangreicheren Training ausgesetzt wird, erlebt einige Jahre des Aufstiegs mit einem ständigen Leistungsanstieg, der sich auch über die Wintermonate fortsetzen kann.
Beispiel: 10 km Bestzeit beim Silvesterlauf. Dies liegt mit an der natürlichen Entwicklung. Kinder werden in dieser Phase größer und bauen mehr Muskelmasse auf, und da geht dann die Post so richtig ab.
Erfahrung der jungen Leute: "Ich brauche kaum eine Pause, ich werde immer besser!" Die allgemeine schnelle Fortentwicklung der Leistung überdeckt die darin liegenden Formschwankungen.
Genau so ergeht es einem Anfänger. Wenn so ein Läufer ehrgeizig und nur leidlich talentiert ist, geht es bei ihm über 1 - 3 Jahre ständig aufwärts. Er bemerkt gar nicht, so wie der Jugendliche auch, dass auch seine Form unterschiedlich ausgeprägt ist.
Dann aber wird es bei beiden Gruppen kritisch. In den ersten Jahren der Laufkarriere ist es ganz leicht aus dem vorhandenen Potential zu schöpfen. Langsam aber kommt der Leistungszuwachs ganz zäh oder bleibt gar ganz aus. "Ich komme nicht mehr so richtig weiter."
Beispiel: "Von 50 min über 10 km auf 45 ging es ruckzuck. Es war aber schon sehr schwer, um dann auf 43 min zu kommen. Und jetzt versuche ich schon vergeblich seit mehr als einem Jahr an die 42 min heran zu laufen und scheitere immer wieder."
Wer nun nicht den richtigen Berater oder Trainingsplan hat, der wird langsam verzweifeln und nicht mehr an sein Talent glauben. Nur wenn dieser Mensch bereit ist, seine Anfängererfahrungen zu den Akten zu legen und sich in ein strukturiertes Training zu begeben, kommt er dann wirklich wieder weiter.
Das ist dann der Punkt, an dem sich intelligente Leute an mich wenden und sich einen Trainingsplan bestellen. Praktisch ohne Ausnahme erzielen diese Läufer(innen) dann schon meist nach 2 Monaten strukturierten Trainings neue Bestzeiten. Die immer wieder von Erstaunen begleitet sind: "Das hätte ich nicht für möglich gehalten!"
Wie ist nun aber mit einer Formschwäche zu verfahren? Du denkst jetzt vielleicht: "Ich werde noch härter trainieren, ich komme heraus aus diesem Loch." Ja, du kommst heraus aus dem Loch, aber nur mit dem Gegenteil. Du wirst nur wieder zu Kräften kommen, wenn du deine Trainingsintensität senkst.
Deine 35 km hältst du weiter bei, streichst aber die Endbeschleunigungen, auch wenn sich alles in dir dagegen wehrt, weil du doch so gute Erfahrungen damit gemacht hast. Du kommst nicht aus der Formschwäche heraus, wenn du deinem Organismus solch einen starken Reiz anbietest.
Du wirst bemerken, dass du nach 1,5 Wochen Ruhe plötzlich wieder Lust hast, schneller zu rennen. Wenn dieser Zeitpunkt gekommen ist, gehe zurück in deinen Plan und absolviere dein gewohntes Vorbereitungsprogramm.
Hast du nun aber die Schwäche schon mehr als einen Monat am Hals, dann brauchst du längere Zeit zur Erholung. Dann musst du dich halt eine Woche mehr im ruhigen Dauerlauftempo bewegen. In der Regel sollte diese Phase etwa halb so lange dauern, wie die Zeit mit den unbefriedigenden Trainingsresultaten.
Auf eines sollte ich dich noch hinweisen: Als Formschwäche in dem hier beschriebenen Sinne gilt nicht eine Leistungsschwäche, die durch Trainingsausfall begründet ist. In dieser Zeit oft durch Erkrankung oder Verletzung verursacht. Hier hilft nur ein intensives und umfangreiches Training wieder auf die Beine.
Besonders die Umfangserhöhung bringt sicheren Erfolg. Einen Tag Training mehr in der Woche und die Steigerung der Wochen-km um 25% wirken Wunder. Du setzt dich dabei eventuell einer Verletzungsgefahr aus, aber das musst du eingehen oder auf eine gute Leistung verzichten.
Nur mache um Himmelswillen in diesem Fall nicht den Fehler, den so viele begehen: Hierbei wird versucht, die verlorene Zeit oder Form durch hartes Training bis kurz vor den Wettkampf zu kompensieren. Dieses "dicht herantrainieren" endet fast ohne Ausnahmen speziell vor einem Marathon mit einer Katastrophe. Du kommst schon kraftlos in den Wettkampf und wirst unterwegs vielleicht sogar "wandern" müssen.
Wie aber kommst du nun aus einer echten Formkrise, wie oben beschrieben, heraus? Da kann ich dir nur raten: Schließe die Läden zur Wettkampfszene und beginne mit einem Neuaufbau. So einem Aufbau werden 4 Wochen Regeneration ohne Tempoläufe und einem um ein Drittel reduzierten Umfang vorgeschaltet. Dann kannst du langsam wieder beginnen, etwas schneller zu laufen und auch den Umfang zu steigern.Dabei solltest du aber besonders beachten, dass dein Neuaufbau auch ein Ziel haben sollte. Dir wird es nicht viel nutzen, wenn du zum Beispiel im August in die Regeneration gehst, um dann im November in Hochform zu sein.