Eigentlich ist der Herbst die Jahreszeit der Siege und Bestzeiten. Ich selbst freue mich immer wieder darauf, dass so viele Leute ihre persönlichen Schwellen überschritten haben und mir schreiben, wie zum Beispiel: „2:57, daran hätte ich vor zwei Jahren noch nicht einmal zu träumen gewagt und jetzt ist es wahr geworden“.
Wie viele Personen jetzt Bestleistung laufen, kannst du auch in diesem Newsletter nachlesen. Im Schnitt sind die Mitglieder des Greifclubs über 45 Jahre alt. D.h., sie sind schon in den Altersklassen versunken, aber dennoch laufen sie Rekorde, wie sie eigentlich für junge Leute üblich sind.
Und diese Erfolge sind das Brot meiner Seele. Aber dennoch gibt es Läufer und Läuferinnen, die enttäuscht sind, obwohl sie gut trainiert hatten und ihre ganze Hoffnung in das Rennen gelegt haben. Darunter sind natürlich auch Marathoner, die zwar eine Bestleistung erzielt haben, aber dennoch nicht zufrieden sind, weil sie mehr erwartet hatten.
Und das verstehe ich eigentlich nicht so richtig, denn persönliche Rekorde gibt es nur wenige in unserem Läuferleben, und wir sollten uns auch alle darüber freuen, wenn es nur ein paar Sekunden Verbesserung sind. Was sagt der Erfahrene dazu: “Bestzeit ist Bestzeit!„
Aber wie gelingt es den scheinbaren Versagern, nach gutem Training dennoch eine nicht befriedigende Endzeit zu erzielen. Da sollte sich erst einmal der oder die Betroffene fragen, welche Maßnahmen denn im Training getroffen wurden, die nicht im Plan standen. Da gibt es vieles, was so locker bewusst oder unbewusst in das geplante Training eingemischt wird.
Marathon-Training ist immer ein "Eiertanz". Um einen überdurchschnittlichen Erfolg zu erzielen, ist man einerseits gezwungen, schnell und umfangreich zu trainieren und andererseits aber auch manchmal sehr langsam zu laufen, um seine Kräfte zu schonen. Ich selbst habe schon eine Vielzahl von Läufer(innen) erlebt, die sich im Marathontraining, so wie ich es nenne, "verbrannt" haben. Damit meine ich nicht eine Verbrennung der Haut, sondern das Ausgebranntsein nach falschem Training.
Dieser Fehler tritt insbesondere nach zu langer Vorbereitung auf. Wer schon 12 Wochen lang vor dem Marathon und mehr schon auf höchstem Niveau trainiert, hat in der Regel keine Kraft mehr im Wettkampf. Wer schon drei Monate vor dem Rennen beginnt, auf höchstem Intensitätsniveau zu trainieren, der kann sicher sein, seinen Formhöhepunkt schon am Wettkampftag überschritten zu haben. Das gilt insbesondere für die Herbstmarathonläufe, weil man dort mit einem höheren Leistungsniveau in die Vorbereitung steigt.
Um die letzte Leistungsstufe vor einem Marathon vorzubereiten, braucht man sechs Wochen! Weitere zwei Wochen vor dem Wettkampf dienen schon wieder der Regeneration. Wie oft muss ich mir anhören: „Beim Halbmarathon vier Wochen vorher bin ich so eine tolle Wettkampfzeit gelaufen, und jetzt musste ich bei Kilometer 30 schon aussteigen. Was habe ich falsch gemacht?“
Es gibt typische Generalfehler, die du nächstes Jahr ausmerzen kannst. Die begehen sehr gerne besonders ehrgeizige Typen von Läufern, fast niemals Frauen. Diese Typen, denen ich diesen Fehler zuordne, sind die sogenannten 35-km-Hetzer!
Die zentrale Einheit eines Marathon-Läufers(in) sind nun einmal die 35 km. Wer diese Stecke nicht läuft und dennoch über die 42,2 km an den Start geht, muss entweder mit zeitlichen Qualitätsverlusten rechnen oder das Risiko eingehen, sein Rennen nicht laufend beenden zu können.
Nun ist es so, dass in den individuellen Greif-Club-Plänen und unseren anderen Trainings-Anweisungen die Endbeschleunigung zum Wettkampf hin immer länger wird. Damit kommt es auch zu einem höheren Durchschnittstempo über die gesamten 35 km. Dieses ständig sich erhöhende Tempo reizt nun eine bestimmte Art Mensch. Dieser hat immer die Stoppuhr im Blick, stoppt jede Pinkelpause und jedes Ampel-Rot raus. Weiß noch vom vierten langen Lauf im Herbst 2002 die Zwischenzeit bei km 23 und kann ohne zu stottern die zehn schnellsten Zeiten auf seinen 35 km aufsagen.
Für diesen Menschen ist es eine innere Befriedigung, jeden 35er schneller gelaufen zu sein, als die davor liegende lange Einheit. Wichtig ist ihm nicht die Endbeschleunigung, sondern die Zwischenzeiten über die ganze Strecke. Schon vom Trainingsanfang wird das Tempo hoch gehalten und der Kampf mit der Uhr aufgenommen. Jeder Teilstreckenrekord wird begeistert kommentiert und die erwartete Endzeit im Wettkampf in immer höhere Regionen geschraubt.
Und im Wettkampf selbst? "Irgendwie lief es von Anfang an nicht, ich weiß auch nicht, woran es gelegen hat?" oder "Bis 25 lief es, dann war ich fertig!" Diese Läufer(innen)-Typen übernehmen sich aus Ehrgeiz, verschleißen ihre Kraft und versagen im Wettkampf. Sie finden nicht den Ausgleich zwischen Belastung und Erholung. Leider ist denen in der Regel auch nicht zu helfen. Sie haben immer ein schlechtes Gewissen, wenn sie langsam laufen. Trainieren sie einen einzigen extensiven km unter der Vorgabezeit, werden diese Typen schon kribbelig und schlafen schlecht mit dem Gedanken, ein Versager, Sparläufer, Schleichsocke, Softei oder Schmuseläufer zu sein.
Wenn du nicht zu diesen Typen gezählt werden möchtest, gebe ich dir folgende Tipps (aber nicht an deinen Holger weitergeben!):
1. Laufe nur einmal, maximal zweimal in der direkten Marathon-Vorbereitung die 35 km so schnell es geht. Dies mache aber nur, wenn du dich nach Beginn des Trainings besonders gut fühlst. Planen Sie einen solchen Rekordlauf niemals!!!
2. Ansonsten schone dich im "Anlauf" auf die Endbeschleunigung, wenn dein Körpergefühl dir das vorgibt. Laufe bis zum Startpunkt der Endbeschleunigung im regenerativen Bereich, und drehe erst dann auf.
3. Wenn es dir an dem Tag des angesetzten 35 km-Laufs mit Endbeschleunigung körperlich nicht gut geht, laufe nur langsam durch und vergesse die Steigerung auf dem Endabschnitt. D.h., höre auf deinen Organismus!
4. Regeneriere am Folgetag des 35ers ganz bewusst und lasse dich nicht von deiner Umgebung zu hohem Tempo reizen. Wenn im Lauftreff am Folgetag wieder einmal jemand verrücktspielt, dann lasse ihn laufen. Du weißt, was du kannst, und du musst es ihm an diesem Tag ganz bewusst nicht zeigen.
Dein Tag wird kommen, an dem Holger weint und der Lauftreff staunt. Bis dahin bleibe ruhig, trainiere hart, aber quäle dich nicht dauerhaft.