Die Anreize zu den Themen an dieser Stelle werden mir meist von außen gegeben. So bat mich ein Greif Klubmitglied ganz dringlich darum, doch einmal etwas über den Ultralauf zu schreiben. Das werde ich hiermit machen, weise aber darauf hin, dass meine praktischen Erfahrungen mit Strecken die länger sind als Marathon, doch gering sind.
Mehr Erkenntnisse sammelte ich bei den von mir trainierten Läufern und Läuferinnen. Immer kam mal wieder jemand auf die Idee, einmal einen 100-Kilometer-Lauf oder auch einen langen Trail in den Alpen zu bestreiten.
Meist verdienten diese Sportler sich ihre Meriten auf den Unterdistanzen, fühlten aber den Reiz in sich, es einmal auf den Ultrastrecken zu versuchen.
Nach den ersten Ultra-Wettkämpfen waren sie überaus euphorisch. Nach einiger Zeit hatten sie aber im wahrsten Sinne des Wortes keine Lust mehr, diese langen Strecken zu laufen.
Sie kamen zurück zu den klassischen Distanzen und dann passierte etwas Unerwartetes. Sie stiegen wieder in ihr gewohntes Training ein und siehe da, statt den spritzigen Athleten früherer Tage, rumpelten ein paar Schleiffüße über die Bahn.
Deutlich war zu sehen, dass die Betroffenen ihre Knie nicht mehr so hoch bekamen wie früher. Zudem war die Schrittlänge verkürzt. Es war dann natürlich eine Aufgabe des Trainers, diesen „versauten“ Bewegungsablauf wieder zu heilen.
So musste ich mit diesen Menschen wieder Kindertraining machen. Leider war es im jeden Fall so, dass die Ex-Ultras frustriert waren. 1. weil sie die Leistungen auf den kürzeren Strecken von früher nicht mehr erreichen konnten. Und 2. obwohl sie doch vielmehr Kilometer trainiert hatten als vor ihrer Ultrazeit.
Noch mehr hassten sie die Laufschule, die vom Trainer gefordert wurde. Das Ende vom Lied war, dass sich insgesamt drei gute Leute von unserem Training verabschiedeten und in den Massen der Volksläufe langsam untergingen. Sie kamen niemals wieder zurück.
Eigene Erfahrung habe ich auf dem Kurs des Swiss Alpin gesammelt. Das war in den neunziger Jahren und damals wurde dieser Berglauf mit 67 Kilometer Länge angegeben. Später maß man nach und stellte fest, dass es 82 Kilometer waren.
Die zweite Negativerfahrung in unserem Verein war, dass wir in den Neunzigern mit einer ganzen Anzahl von Läufern und Läuferinnen den oben genannten Swiss Alpin Marathon gelaufen sind. Dieser fand immer Anfang August statt und unsere Idee war, diesen Ultra als Vorbereitung für den Berlin-Marathon zu nutzen.
Wir rechneten uns große Chancen auf den Marathon aus, weil wir vor dem Swiss Alpin 14 Tage vor Ort waren. Wir hofften auf den Effekt des Höhentrainings und versuchten möglichst auf den Höhenwegen zu trainieren.
Leider aber endete der Marathon in der Landeshauptstadt für uns nicht befriedigend. Nicht ein Einzige/r konnte in diesem Jahr eine Bestleistung erbringen. Das war überaus frustrierend.
Wir versuchten es dann im nächsten Jahr noch einmal, in der Hoffnung, dass die ganze Sache vom Vorjahr ein Zufall war. Leider war dies nicht so, denn wiederum erzielte niemand, der mit uns in der Schweiz trainiert hatte, in Berlin einen persönlichen Rekord.
Diese ganze Sache kann man natürlich von mehreren Seiten betrachten. Die erste Seite zeigt an, dass wir nach heutigen Erkenntnissen dieses Höhentraining völlig falsch angegangen sind.
Wenn man aus einem Höhentraining einen Erfolg ziehen will, dann braucht es mindestens drei Wochen in dem Trainingsgebiet. Dabei darf man die erste Woche nur im regenerativen bis extensiven Tempo laufen. Wir aber fühlten uns in der Höhe wohl und gut, so dass wir von Anfang bis Ende unser gewohntes Programm durchgezogen haben.
Der 2. Punkt ist die Frage, was denn nun das Ausschlaggebende beim nachfolgenden Marathon war. Die 14 Tage nicht korrekt absolviertes Höhentraining oder die zu starke Belastung beim Swiss Alpin.
Wir sind später noch im Sommer ein paar Jahre nach Davos gefahren. Haben dann aber nur noch den 28 Kilometer langen Landwasserlauf bestritten.
Nachfolgend hatten wir dann einige Erfolge in den späteren Marathons erzielen können. Highlights waren aber nie dabei. Aus diesen Erfahrungen haben wir dann die schweizer Abenteuer komplett gestrichen.
Irgendwie vermisse ich aber noch heute die damaligen Erlebnisse und kann die Ultraläufer und -läuferinnen gut verstehen. Sie gehen oft nicht wegen ihrer Platzierungen in diese Wettkämpfe, sondern wegen der so beeindruckenden Naturerlebnisse.
Unser früherer Mitarbeiter Hansi Köhler hat seine Lebensgefühle bei Ultrakurs bzw. Ultra-Trail einmal hier an dieser Stelle beschrieben:
„Streckenvermessung? Nicht immer, aber oft Fehlanzeige. Und auch nicht relevant. Internationale Wettkampfregeln und andere leichtathletische Vorschriften? Passt hier nicht und deshalb nicht vorhanden.
Fast unendliche Freiheit wird von den Trailläufern genossen. Und erwartungsgemäß bunt ist die Szene und sind die Charaktere, die hier anzutreffen sind. Für viele von ihnen steht eine hohe sportliche Leistung im Vordergrund, jedoch nicht die Hatz nach Sekunden und Bestleistungen auf Normstrecken.
Während manche Hobbysportler beim Stadtmarathon bewusst Sightseeing betreiben, genießen Trailläufer auf die gleiche Weise ihre Umgebung – jedoch im Unterschied zum Cityläufer die prachtvolle Natur.
Ich erinnere mich an einen Ultralauf, der mich durch meine heimischen und auf jedem Meter bekannten Wälder führte – in der Nacht. Ich lief allein in meiner Position des Rennens und der Genuss der mir wohl bekannten Landschaft war endlos.
Während die visuelle Wahrnehmung zwangsläufig auf den Schein der Stirnlampe beschränkt war, sind alle weiteren Sinne hellwach. Die Geräusche der Tiere im Wald erleben zu können, war unbeschreiblich schön, keineswegs bedrohlich.
Es war, als würde plötzlich eine schon immer parallel existierende Welt erwachen, in deren Ausdehnung man klein und unbedeutend ist. Ein Erleben unseres Sports, das mit nichts Anderem vergleichbar ist.
Der Trubel und das Getröte eines Stadtmarathons hingegen, in dessen Verlauf bei ambitioniertem Anspruch nichts als die Zeit an der nächsten Kilometermarke mit Weitblick auf die Endzeit zählt, erscheint in solchen Momenten vollkommen unbedeutend. Sogar die Zivilisation an sich kann manchmal als störend empfunden werden.
Der sportliche Wert von Trail-Läufen tritt dabei allerdings keineswegs in den Hintergrund. Im konkreten Fall ging es damals um den Gesamtsieg des lokalen Rennens, um den sich meine Gedanken trotz des Naturgenusses in erster Linie drehten. Wer darüber hinaus eines der weltweit bedeutenden Toprennen gewinnen will, muss definitiv sogar eine Weltklasseleistung bringen.“
Das gibt noch einen weiteren Grund, einen Ultralauf zu bestreiten. Wer so eine langen Kanten hinter sich hat, kann sich vor Glücksgefühlen kaum bremsen. Diese ähneln den künstlichen Rauschgefühlen. Nur hält dieses deutlich länger an.
Oft hörte ich von den Ultraläufern, dass sie sich mehr als 48 Stunden auf den Wolken zu schweben wähnten. Das Ganze ist auch unmittelbar messbar.
Die Euphoriehormone Endorphin und Morphin vermitteln den eigentlich so gequälten Sportlern den Himmel auf Erden. In diesem Sinne solltest du selbst entscheiden, ob du das Abenteuer Ultralauf wagen möchtest oder besser vorsichtig bei den klassischen Distanzen bleibst.