In der losen Folge unserer Serie "Taktik" hast Du bereits jede Menge Anregungen bekommen, wie du deinen ganz persönlichen Holger Meier im Wettkampf platt rennst. Ob nun als Frontrunner oder als Lutscher, du hast Möglichkeiten für den sofortigen Sieg über ihn an der Hand.
Du hast aber noch weitere Chancen zur Genugtuung zu kommen. Während die ersten beiden Varianten, die wir in zurückliegenden Newslettern beschrieben, sich insbesondere mit Holger selbst und seinen eventuellen Schwächen befassen, geht es heute ausschließlich um dich. Niemand ist unwichtiger als Holger Meier!
Wenn du in der Lage bist, "cool" zu bleiben, dich um nichts und niemanden außer dich selbst im Rennen zu kümmern und es schaffst, deinen Stiefel durchzulaufen, dann könntest du Holger besiegen, in dem du dir ein realistisches aber hohes Zeitziel setzt für den Lauf. Egal, was unterwegs passiert, du rennst das geforderte Durchschnittstempo von Beginn an und einfach bis zu Ende. Je präziser du dich einschätzen kannst, je wahrscheinlicher kann diese Taktik aufgehen! Von dir ist dabei allerdings eins gefordert: Disziplin!
Banal? Na dann setze es einfach mal um. Du kannst eiskalt nach deinen geplanten Zwischenzeiten laufen und am Ende sehen, was dabei heraus kommt. Das ist eine durchaus sinnvolle und erfolgreiche Renntaktik. Khalid Khannouchi lief damit in Chicago 1999 mit einer Zeit von 2:05:42 h Weltrekord, folglich gewann er in diesem Lauf gegen alle seine Holgers und damit die Dollars. Er lag nach meiner Erinnerung noch nach der Streckenhälfte um etwa 1:30 min hinter der Spitzengruppe zurück und lies sich nicht nervös machen.
Ahnst du, welche Disziplin du an den Tag legen musst, wenn du diese Taktik anwenden willst? Du weißt ja noch gar nicht, was Holger alles veranstaltet, um dich zu schlagen. Wenn er Stärke zeigen und dich irritieren will, dann rennt er voraus und will dich beeindrucken. Nach Zeit zu laufen bedeutet ganz klar, ihn eiskalt ziehen zu lassen, wenn sein Tempo nicht mit deinem realistischen Durchschnittstempo übereinstimmt.
Sein Vorsprung, und sei er noch so groß, darf dich nicht beeindrucken. Vorausgesetzt, du rennst im Bereich deiner geplanten schnellen Zeiten. Holger ist ja auch deshalb dein Holger, weil ihr möglicherweise sehr ähnlich im Leistungsvermögen lauft. Und deshalb dürfte er jetzt gerade heftig überzocken!
Bei meinem Holger und mir steht es dieses Jahr 5:3 für mich. Die letzten beiden Rennen gewann er. Es bleibt spannend. Wenn er wie gewohnt am Start los stürmt, dann möchte ich hinterher rennen und sinnbildlich auf ihn eindreschen. Weil ich ihn aber kenne, lasse ich ihn laufen. Fast immer kam er zurück, ohne dass ich aktiv etwas dafür tun musste. Ich hielt einfach nur das Tempo und er brach ein. Naja, fast immer... Es kann auch sein, dass er dich beobachtet. Er hängt sich bei dir rein und will mitschwimmen mit deinem Tempogefühl. Er rennt nicht weg, mitunter keucht er auch schon sehr bedenklich, aber er klebt an dir wie Dreck.
Nicht nervös werden. Diese Taktik kannst du erfolgreich nur anwenden, wenn du grundsätzlich in der Lage bist, ein hohes Tempo einzuschätzen und durchzulaufen. Also irgendwo im Bereich deiner Jahresbestzeit auf der jeweiligen Strecke. In einer klassischen Holger-Lage ist das Tempo auch für ihn irre hoch und er streckt sich gerade, dass er dir eigentlich leid tun sollte. Der oder die Härtere von euch beiden kommt heute durch. Und weil du gerade das Heft des Handelns in der Hand hast, ist deine Ausgangslage ganz ausgezeichnet!
In dieser Art drückst du dich durch die Kilometer aufs Ziel zu. Du musst dein Tempo nur gut eingeschätzt haben und es diszipliniert gelaufen sein. Dann hast du den Sieg über deinen ganz persönlichen Gegner greifbar nahe. Nach etwa 80-90% der Wettkampfstrecke wird nun aber mit offenem Visier gekämpft. Es geht zur Sache. Holger oder du. Wettkampfsport dient dem friedlichen Wettstreit. Du solltest nun aber alles mobilisierbare Agressionspotenzial ausschöpfen und Attacken reiten gegen Holger. Deine Uhr spielt keine Rolle mehr. Der Grundstein ist gelegt worden, jetzt mach etwas draus.
Wie schaffst du denn nun eine präzise Einschätzung deines Laufvermögens? Erfahrung ist hier alles. Wer häufig Rennen läuft, der kennt den Rahmen seiner Möglichkeiten.
Im Vorteil sind hier wieder die Greif-Club-Mitglieder, die in ihrem Trainingsplan, wenn es drauf ankommt, immer wieder ganz bestimmte Tempoeinheiten haben, die dem Erlernen der eigenen Fähigkeiten dienen. Auf diese Weise können sie sich und ihr mögliches Lauftempo besser einschätzen. Wer immer gleichartig durch den Park joggt und den Kies platt tritt, hatte bisher keine Chance, etwas über seine läuferischen Möglichkeiten herauszufinden.
Je länger deine Wettkampfstrecke ist, je mehr kannst du es dir leisten, vom mathematischen Durchschnittstempo zu Beginn in den langsameren Bereich abzuweichen. Nur einige Sekunden pro Kilometer langsamer als der realistisch eingeschätzte Durchschnitt sorgt für ein gewisses Polster an Energie, was du in der Endphase abrufen kannst. Sollte dein Hausrekord noch widerspenstig sein oder Holger gegen Ende frech werden, kannst du so immer noch etwas drauflegen. Dein Zeitgewinn auf diese Weise ist in der Regel ein höherer, als sich zu Beginn eines Rennens ein "Zeitpolster" anzulaufen, was zum Kriechgang auf der Ziellinie (leider von dir, nicht von Holger) führen kann.
In der vorerst letzten Folge der Serie "Taktik" kommt es zur Königsdisziplin, der Taktik der "alten Haudegen", die mit einer unendlichen Vielfalt von Ideen ihr Rennen gegen gleichwertige oder leicht schnellere Gegner gewinnen konnten.