Die Form steigt in diesen Wochen und die ersten Wettkämpfe stehen an. Natürlich möchte man seine Form für gute Zeiten nutzen. Möglichst natürlich für eine neue Bestzeit. Aber was ist die beste Strategie, dies zu erreichen? Langsamer oder schneller starten als in der geplanten Durchschnittsgeschwindigkeit? Oder eben genau mit dieser Pace? In welcher Geschwindigkeit soll man also das Rennen nach dem Start angehen?
Das Ganze ist natürlich abhängig von der Wettkampf-Distanz. Planst du einen Marathon oder einen 10 km bzw. 5 km Lauf? Dementsprechend unterschiedlich können und sollten die Tempo-Strategien aussehen. Jetzt kann man sich natürlich Beispiele von Elite-Läufern bei Weltrekord-Läufen anschauen (werden wir weiter unten auch einmal machen), allerdings ist dies nicht immer hilfreich. Oft sind die km-Splits dieser Rennen einfach das Resultat der Rennsituation, der "Fähigkeit" der Tempomacher usw. Gerade am Anfang ist das Feld dicht beieinander und der spätere Weltrekordler ist nicht allein unterwegs.
Die Schwierigkeit bei der exakten Planung z. B. eines 10 km Laufes besteht schon darin, dass man nach 3 Monaten Wintertraining seine mögliche Leistungsfähigkeit gar nicht exakt kennt. Was hat das Training gebracht? Wie groß wird der Leistungssprung sein? Klar, man hat ein Gefühl aus dem Training und den Trainingsergebnissen. Aber was wirklich möglich ist, kann man nicht wissen. Das sehe ich an den Ergebnissen der Greif-Club-Mitglieder. Einer bleibt 5 sec unter seiner alten Bestzeit, ein anderer ist völlig überrascht, dass er seine 10 km Zeit auf einen Schlag um 2,5 min verbessert.
Marathon
Für einen Marathon ist die Strategie mit konservativer erster Hälfte und negativem Split die erfolgreichste Strategie. Darüber haben wir oft geschrieben. Das haben unzählige Beispiele im Elite-Bereich und im Volkssport-Bereich gezeigt. Das heißt, die erste Hälfte des Rennens wird in etwa im bzw. leicht über (langsamer) PB-Tempo angelaufen. Auf der zweiten Hälfte versucht man dann zu beschleunigen. Das Marathon-Tempo kann man im Allgemeinen recht gut planen, da man im Vorfeld in der Regel bereits einen HM und/oder einen 10 km Wettkampf als Test absolviert hat. Dieses Konzept der "Aufwärmung" auf der ersten Hälfte funktioniert, da man sich vor dem Rennen nur minimal einläuft bzw. erwärmt und das Tempo relativ langsam ist. Der Körper erwärmt sich also auf der ersten Hälfte des Marathons immer noch. Daher sollte man sich hüten, auf dem ersten km zu schnell anzugehen. Jede Sekunde die du am Anfang (erste 1-2 km) zu schnell losläufst, bezahlst du am Ende mit einem Mehrfachen davon. Es ist nicht einfach sich zu bremsen, da die Taper-Phase beim Marathon lang und der Körper max. ausgeruht ist. Außerdem steht dir das Adrenalin am Start Oberkante Unterlippe. Die Euphorie ist groß. Ich habe da die Bilder vom Berlin-Marathon in den 90er Jahren im Kopf, als die Läufer ganz vorn der Reihe mit den vornweg sprintenden Spielern aus dem American-Football hinterher hetzten. Ich habe unzählige Läufer gesehen, die sich ihren Marathon auf dem ersten km komplett zerstört haben, weil sie 15-20 sec zu schnell losgelaufen sind.
Wir haben übrigens auf unserer Seite einen Marathon-Taktik-Rechner, da kannst du deine Taktik sekundengenau berechnen:
Halbmarathon
Auf den kürzeren Distanzen sind dagegen auch andere Strategien erfolgreich. Der Halbmarathon verzeiht schon etwas mehr. Auch wenn hier aus meiner Sicht ein nahezu konstantes Tempo mit einem schnelleren Schlussabschnitt ideal wäre, werden dir zu schnelle 5-10 sec auf den ersten 1-2 km nicht das Genick brechen. Aber: alles was du am Anfang zu schnell läufst, macht es dir am Ende nicht leichter. Die km am Ende werden zäh. Du gewinnst am Anfang zwar 20 sec, die können aber auch innerhalb von 2 km wieder weg sein. Wenn du konventionell angehst, kannst du die 20 sec auch auf den letzten 5 km noch gut rauslaufen. Allerdings sehe ich auf Strava oder Garmin so gut wie alle die ersten 1-2 km beim HM deutlich schneller als in der Durchschnittspace anlaufen. Natürlich spielt die Situation am Start mit dem Adrenalinausstoß eine große Rolle. Ehe sich dann die einzelnen Gruppen gefunden haben, sind schon 1-2 km gelaufen. Spätestens ab diesem Zeitpunkt sollte man sich auf seine Durchschnittspace eingependelt haben.
Meine HM-Bestzeit von 1:12:19 h in 1993 bin ich übrigens mit folgenden 5 km Splits gelaufen:
16:20 - 16:58 - 17:23 - 17:48 min
Fürchterlich ;-) Zwischen 15 und 20 km habe ich also ca. 1:30 min im Vergleich zu den ersten 5 km verloren! Bis km 12 lief ich in einer Gruppe, die ich dann ziehen lassen musste und allein im Wind stand. In dem Rennen lief ich Bestzeiten über 10 km, 15 km, 20 km und den HM. Trotz des konstanten Rückganges der Geschwindigkeit, lief ich am Ende genau die HM-Zeit, die aufgrund der später in der Saison folgenden 10 km Bestzeit maximal möglich war. D.h. ich wäre auch mit einer konstanten Geschwindigkeit nicht schneller gelaufen. Aber: ich nehme an, es wäre am Ende deutlich angenehmer gewesen. Die km zwischen 15 und 20 waren die pure Quälerei! Das Ganze resultierte aber aus einer Ankündigung: 1 Woche vor dem Rennen lief ich mit einem Freund im Trainingslager in Spanien als Abschluss im Training 5000 m auf der Bahn. Zeit: 16:20 min. Meine Ankündigung: das laufe ich nächste Woche an. Bei km 10 im HM schaute er sich kurz um. Ich werde seinen ungläubigen Blick niemals vergessen ;-)
10 km
In einer Studie aus Brasilien führten 24 Männer einen 10 km Lauf auf einem Laufband durch. Sie wurden basierend auf der Leistung in Gruppen unterteilt. Die langsamste Gruppe lief durchschnittlich etwa 41 Minuten, die schnellste Gruppe ca. 32 Minuten. Welchen Geschwindigkeitsverlauf fand man heraus? Die schnellen Läufer begannen auf den ersten 400 m sehr zügig und reduzierten das Tempo bis sie km 2 erreichten. Dann liefen sie ein konstantes Tempo, bis sie auf den letzten 400 m nochmal zum Endspurt antraten. Die langsameren Läufer starteten auch schnell, verloren aber kontinuierlich bis hin zu den letzten 400 m, bei denen auch sie nochmal antreten konnten. Die grundlegende Lektion aus dieser Studien ist das, was wir kennen oder bereits erlebt haben. Läufst du zu schnell los, wirst du am Ende "sterben"!
Das deckt sich zu 100% mit den beiden 10 km Bestzeiten die ich 1993 über 10 km im Abstand von 4 Wochen lief. Der erste Lauf war ein Citylauf in Berlin, mit einer Zeit von 33:06 min (Durchschnittspace 3:18,6 min). Die km-Splits:
3:07 - 3:07 - 3:16 - 3:20 - 3:24 - 3:14 - 3:24 - 3:30 - 3:29 - 3:12 min
Das entspricht dem Verlauf der o.g. Studie. Am Anfang schnell, ca. 11 sec unter Durchschnittspace, immer langsamer werdend mit einem Endspurt. Km 8 und 9 waren heftig! 4 Wochen später hatte ich keine deutlich bessere Leistungsfähigkeit, aber die Renneinteilung war nahezu perfekt. Das beste Rennen meines Lebens auf der Bahn:
3:16 - 3:14 - 3:15 - 3:18 - 3:18 - 3:14 - 3:16 - 3:18 - 3:18 - 3:10 min
Zeit 32:38 min (Durchschnittspace 3:15,8 min). Ich lief also ziemlich sicher allein aufgrund der Renn-Strategie ca. 30 Sekunden schneller. Das Tempo hier zu treffen war reicht einfach. Wir liefen in einer 5er Gruppe und es standen 3 Trainer an der Bahn die die exakten Rundenzeiten zuriefen. Da war alle 400 m eine kleine Korrektur möglich.
Die besten Ergebnisse ergeben sich aus ziemlich gleichmäßiger Geschwindigkeit (natürlich mit entsprechenden Anpassungen für Gelände und Wind). Negative Splits machen Spaß, positive Splits werden zu Quälerei.
Passend dazu einmal die Strategie von Kenenisa Bekele bei seinem 10.000 m Weltrekord 2009 mit 26:17 min (Durchschnitt 2:37,7 min). Er lief deutlich langsamer los, pendelte bis km 7 immer um die Durchschnittsgeschwindigkeit, holte dann auf den schwierigen km 8 und 9 nochmal Luft um zu einem überragenden Finish anzusetzen.
Abbildung 1: Kenenisa Bekeles 10.000 m Strategie (Quelle: Sports Performance Bulletin)
Freie Energie
Das alles zeigt im Grunde, was Trainer lange gepredigt haben. Auf der Marathondistanz musst du unbedingt eine vernünftige Einschätzung deines Zieltempos haben, sonst zahlst du spät im Rennen einen großen Preis für ein zu schnelles Anfangstempo. In kürzeren Rennen kann man ETWAS schneller angehen, du musst dich aber schnell nach dem Start zähmen und dich auf etwas "einpendeln", was deinem Zieltempo nahe kommt.
Rick Lovett hat einmal das, was bei kürzeren Rennen beteiligt sein kann, als "freie" Energie bezeichnet. Obwohl dieser Begriff in der wissenschaftlichen Literatur nicht verwendet wird, ist das Konzept einfach. Der Körper verfügt über mehrere Energiesysteme, die in Rennen unterschiedlicher Länge in Gang kommen (siehe Abbildung 2). Langstreckenläufer neigen dazu, hauptsächlich in Bezug auf das sogenannte aerobe Energiesystem zu denken, obwohl das anaerobe System für Endspurts nützlich ist und auch in Rennen wie 800 m und 1500 m ins Spiel kommt. Aber es gibt zwei andere Systeme, die Sprintern besser bekannt sind: gespeichertes ATP (Adenosintriphosphat, das Molekül, das der Körper verwendet, um Stoffwechselenergie für alle Zwecke zu speichern) und gespeichertes Kreatinphosphat (ein weiteres hochenergetisches Molekül). Am Anfang steht dein Körper und hat beides auf das maximale Niveau gebracht. Sehr hilfreich für einen schnellen Start. Das hilft dir, nach dem Start zwischen 10 und 30 Sekunden mit deutlich höherer Geschwindigkeit zu laufen, ohne dass es sich am Ende negativ auswirkt. Höchstwahrscheinlich ist dies der Grund, warum die besten 800-m-Läufer in der Regel schnell sehr starten. Bei längeren Wettkampfstrecken hilft es den Läufern, schnell in die „innere Schiene“ zu gelangen, was bei Versuchen eine PB zu erzielen, wichtig ist.
Abbildung 2: Schematische Darstellung des Beitrags der Energiesysteme des Körpers im Laufe der Zeit (Quelle: Sports Performance Bulletin)
rosa = ATP-System; blau = CP-System; grün = Anaerobic-System (Laktatsystem); schwarz = Aerobic-System. Die ATP- und CP-Systeme können als Geschenk der Natur für einen schnellen Start angesehen werden!
Es gibt aber eine neuere Studie, interessant für Läuferinnen und Läufer, die über kurze Distanzen bis 5000 m starten. Sie stammt von einem Team unter der Leitung von Amy Gosztyla (damals von der University of New Hampshire) und Robert Kenefick vom US Army Research Institute of Environmental Medicine. Dabei untersuchten sie 11 Läuferinnen (durchschnittliche 5 km Zeit von ca. 21 min). Diese Frauen liefen auf dem Laufband im Laufe einiger Wochen fünf separate 5-km-Tests.
In den ersten beiden Versuchen wählten die Läufer ihr eigenes Tempo und liefen einfach so schnell wie möglich, um ihr Grundtempo zu bestimmen. Für die abschließenden drei Versuche gaben die Forscher das Tempo für die erste Meile (1,63 km) vor. Die Reihenfolge dieser Läufe variierte bei den Läuferinnen, aber alle liefen Tests mit den folgenden 3 Vorgaben:
- erste Meile im durchschnittlichen Tempo des ermittelten Grundtempos
- erste Meile 3% Prozent schneller als das ermittelte Grundtempo und
- erste Meile 6% schneller als das ermittelte Grundtempo.
Nach der ersten Meile wurden die Läufer dann losgelassen, um das von ihnen gewählte Tempo zu laufen.
Die Ergebnisse waren verblüffend. Acht der elf Läufer liefen ihre schnellste Zeit nach der superschnellen ersten Meile mit 6% schnellerem Tempo. Drei liefen ihre schnellste Zeit mit der 3% schnelleren ersten Meile. Niemand erzielte sein bestes Ergebnis, indem er mit dem Ausgangstempo begann (siehe Abbildung 3). Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass Läufer zur Optimierung der 5 km Leistung die erste Meile eines 5-km-Rennens in einem Tempo beginnen sollten, welches 3-6% höher ist, als ihr aktuelles durchschnittliches Renntempo.
Abbildung 3: Superschneller Rennstart und PBs (Quelle: Sports Performance Bulletin)
Für einen 5 km Lauf von 21 min, würde eine 6% schnellere erste Meile aber bedeuten, das das erste Drittel des Rennes satte 15 sec pro km schneller gelaufen wird. Das erscheint schon ziemlich hart und wird von Begutachten der Studie auch mit psychologischen Gründen begründet. Die Frauen in der obigen Studie wussten, dass ihre Leistungen überwacht wurden. Als sie also in einem scheinbar selbstmörderischen Tempo losgeschickt wurden, hätten sie eine starke Motivation gespürt, durchzuhalten - möglicherweise eine größere Motivation, als die meisten von uns in einem tatsächlichen Rennen aufbringen würden.
Die 3% halte ich dagegen für realistisch. Ich selbst bin bei meiner 5000 m Bestzeit von 15:43 min (Durchschnitt 3:08,7 min/km) gut 2% schneller angegangen. Die Splits waren damals:
3:06 - 3:05 - 3:09 - 3:12 - 3:11 min.
Dagegen spricht die überragende Rennstrategie von Kenenisa Bekele bei seinem 5000 m Weltrekord von 12:37 min im Jahr Jahr 2004. Er lief einfach jeden km schneller als den vorigen.
Abbildung 4: Kenenisa Bekeles 5000 m Weltrekord-Strategie (Quelle: Sports Performance Bulletin)
Fazit
Die Pace-Strategie beim Marathon sollte klar sein. Laufe vorsichtig los. Gern auch 5 sec auf dem ersten km langsamer. Das Rennen ist lang! Laufe die erste Hälfte in der Durchschnittspace der geplanten Zeit oder ein paar Sekunden langsamer. Versuche auf der zweiten Hälfte einen negativen Split hinzulegen. Natürlich alles abhängig von den äußeren Bedingungen wie Temperatur und Wind.
Auch den kürzeren Distanzen verspricht ein gleichmäßiges Tempo gute Ergebnisse. Allerdings kann man hier auch mal experimentieren und etwas mehr riskieren. Einen 5 oder 10 km Flop kannst du bereits eine Woche später korrigieren. Das richtige Tempo zu treffen ist oft nicht ganz so einfach. Zum einen sind da das Adrenalin am Start und die Gruppe an der man unbedingt dran bleiben will (und vielleicht sollte). Zum anderen die Einschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit, welche manchmal doch deutlich höher ist als man vermutet. Übertreiben ist nie gut. Daher belasse es nach dem Start bei einer Pace ca. 5 bis max. 10 sec schneller als die geplante Durchschnittspace und finde schnell in dein geplantes Tempo herein.