Am 19.05.2020 schrieb ich an dieser Stelle etwas über die Steigerung der Motivation über neue Ziele. Das ist ein Gedanke, der mich gerade in jetziger Zeit nicht loslässt. Vor diesem Hintergrund sehe ich im Moment eine Vielzahl von verschiedenen Typen unter den Läuferinnen und Läufern. Da sind einerseits die vielen Teilnehmer unserer Challenge, die trotz aller ungünstigen Umstände in den letzten 3 Monaten Bestzeiten gelaufen sind und die Greif-Club-Mitglieder die sich seit Wochen in beeindruckender Weise kontinuierlich verbessern. Auf der anderen Seite gibt es die Läufer die seit 8 Wochen nicht gelaufen sind und in der Zeit 15 kg zugelegt haben.
Da ich selbst, wie die meisten mitbekommen haben, seit einigen Wochen aufgrund von Piriformis-Problemen (zuviel sitzen vor dem Rechner) nicht laufen konnte, habe ich die Corona-Zeit mit Radfahren, Inlineskaten, Treppensteigen, zügig gehen, Athletiktraining und Dehnung verbracht. Dabei habe ich mir eher harmlose Ziele gesetzt. Ich wollte einmal 50 km am Stück skaten und einmal den HM-Lauf-Weltrekord auf Skatern knacken. Ersteres habe ich an einem Samstagmorgen in 2:26 h geschafft. Zweiteres ist noch offen, da ich beim ersten Versuch aufgrund von schlechtem Material und ungünstiger Streckenführung 37 sec. zu langsam war.
Letzten Freitag ging ich ein spezielles "Projekt" an, welches ich mit 3 Jahren vor mich her geschoben habe. Da ich aufgrund der aktuellen Situation meine Eltern in Berlin seit 3 Monaten nicht mehr besucht hatte, machte ich mich morgens um 4 Uhr mit dem Fahrrad von Zwickau auf den Weg nach Berlin. Ziel war es, die knapp 300 km bis spätestens zur Dämmerung am Abend geschafft zu haben. Da hatte ich gut 16 h Zeit zum Nachdenken ;-) Die Erlebnisse und Eindrücke waren vielfältig. Vom jungen Fuchs neben dem Radweg, riesigen Graureihern und Rehen auf den Feldern, bis zum über 50 m parallel zu mir fliegenden Greifvogel traf ich auf jede Menge verschiedene Tiere. Dazu Erkenntnisse, dass wir über ein wunderbar ausgeschildertes Radwege-Netz verfügen, die Radwege in Sachsen zum Teil ihre Bezeichnung nicht wert, dafür in Brandenburg großartig sind.
So kam ich gegen 20:30 Uhr nach genau 290 km in Berlin an. Die Erkenntnis war wieder immer, dass selten der Körper aufgibt (z.B. bei Verletzungen) sondern immer der Kopf. Ich hatte eine Strecke gewählt, die länger war als die kürzest Mögliche. Dafür führte sie ausschließlich über Radwege oder kleinste Nebenstraßen, nicht einmal fand ich mich auf einer Bundesstraße wieder. Trotzdem bestand die Möglichkeit (Versuchung?!?), überall vom Rad zu steigen und in den Zug zu klettern. Klar, als ich nach 10 oder 12 h bei sonnigen 28 Grad und Gegenwind einen schnurgeraden, scheinbar bis zum Horizont reichenden Radweg über die topfebenen brandenburgischen Felder radelte, noch 100 km vor mir lagen und die einzelnen km nur sehr langsam hochzählten, da gingen auch mir schon merkwürdige Gedanken durch den Kopf. Ich denke jeder Ultra-Läufer oder auch Marathon-Läufer kennt dies. Der Kopf gaukelt uns da schon manchmal einiges vor.
Ich wollte es aber unbedingt schaffen. Es war nicht so, dass es körperlich sehr anstrengend war. Es wurde nur irgendwann etwas öde und so versuchte ich mich, an jeder Kleinigkeit zu erfreuen.
Ich denke, solange du noch "offene Rechnungen" hast und dir diese wichtig sind, wirst du dich motivieren können. Das ist beruflich oder privat genauso wie im Sport. Daher setze dir eine Reihe, im Moment "unerreichbar" erscheinende Ziele. Gewonnen hast du schon, wenn aus dem „einmal im Leben Marathon“ bereits bei km 35 mit schmerzenden Muskeln in diesem Lauf ein „jetzt gehts erst richtig los“ geworden ist. Dann fällst du auch nach Erreichen dieses „Lebensziels“ nicht in ein monatelanges Motivationsloch.
Zugegeben, wenn dein einziges ehrgeiziges Ziel im etwas vorangeschrittenen Alter die Verbesserung im Marathon von 2:40 h auf 2:38 h ist, du dafür die perfekte Form, einen guten Tag, beste Bedingungen, eine flache Strecke und eine starke Gruppe im Wettkampf benötigst, dann kann es schwer werden mit der Motivation, wenn wie in den vergangenen Wochen keine entsprechenden Wettkämpfe in Sicht sind. Warum dann nicht auf ein verrücktes Ziel wie 3 Marathons in 4 Wochen in jeweils 2:50 h umschwenken (du weißt wie ich es meine).
Plane also deine läuferische Entwicklung langfristig, halte diese Ziele auch schriftlich fest oder erzähle deinem Umfeld davon, gehe in kleineren überschaubaren Schritten, manchmal auch über Umwege, voran.