Zu welcher Sorte von Läufer(innen) gehörst du denn. Eher zu denen, die immer nur in einem Tempo durch den Wald traben oder wechselst du häufig das Tempo oder rennst du gar planmäßig nach Programm?
Wenn du zum Typ "Dauerlaufwalze" gehörst, dann bist du arm dran, denn jeder, der ständig in einem gleichmäßigen Tempo läuft, hat es schwer. Das Gehirn legt den Betroffenen ein Laufmuster bereit, welches in seiner Schlichtheit kaum zu übertreffen ist. Das hat zur Folge, das jedes Tempo außerhalb des gewohnten Rahmens als schwierig und belastend empfunden wird.
Das geht so weit, dass es wirklich Leute gibt, die über 10 km, Halbmarathon und Marathon fast das gleiche Tempo laufen. So etwas macht die Betroffenen nicht glücklich. Sie wissen genau, dass etwas mit ihnen nicht stimmt und möchten heraus aus diesem Dilemma. Wie aber kann man so etwas handhaben? In den nächsten Wochen werde ich an dieser Stelle Praxistipps beschreiben, die helfen aus der Stereotypiefalle heraus zu kommen.
Warum eignet sich ein Mensch eigentlich solch ein gleichförmiges Bewegungsmuster an? Das liegt in unseren Genen, denn jeder Mensch ist ein Genie. Es gelingt ihm aber sehr gut, seine Bewegungsgenialität zu verstecken. Instinktiv kann er kurz nach der Geburt wohl krabbeln, aber schon aufrecht laufen muss er erst lernen. Auch jeder andere Bewegungsablauf muss erlernt werden und wird als bekanntes Bewegungsmuster im Gehirn abgelegt.
Als Beispiel sei der Kurzschritt-Gang der ländlichen arabischen Bevölkerung angeführt. Das Gehen in langen engen Gewändern lässt keine großen Schritte zu. Und so lernen sie zwangsläufig sich kleidungsangepasst mit kurzen Schritten zu bewegen. Tragen diese Leute dann europäische Bekleidung, laufen sie mit ihren kleinen gewohnten Schritten weiter, obwohl jetzt große Schritte möglich wären. Aber solche Schritte sind für diese Menschen ungewohnt, unangenehm und belastend.
Man nennt so etwas ein stereotypisches Bewegungsmuster. Kein Problem aus diesem Muster wieder heraus zu kommen. Jeder kann das lernen, es erfordert nur Willen und Fleiß. In der Praxis heißt das: Immer und immer wieder die großen Schritte üben. Dann lernt das Gehirn die neue Bewegung und speichert es als zusätzliches bekanntes Muster ab.
An diesem Bewegungsmuster ist natürlich nicht das Gehirn allein beteiligt, die eigentlichen Hauptdarsteller in diesem Lernprozess sind die Muskeln. Jeder einzelne Faser muss die Bewegung erlernen, die von ihr verlangt wird. Dazu werden auch andere bisher nicht genutzte oder für andere Bewegungen benötigte Fasern rekrutiert.
Je öfter die Muskeln eine neue Bewegung nun üben müssen, desto geschickter können sie sie ausführen. Besondere Geschicklichkeit, die sich in einem flüssigen und gleitenden Bewegungsablauf ausdrückt, erfordert wenig Energie und Sauerstoff. Sie wird somit als leicht machbar empfunden. Der große neu antrainierte Schritt aus unserem obigen Beispiel wird plötzlich als angenehm empfunden.
Nun aber kommt noch ein Punkt hinzu. Lange kann der große Schritt noch nicht bei behalten werden. Es fehlt an Ausdauer. Diese wird nun auch durch ständiges Wiederholen trainiert. Dazu brauchen die Muskeln aber Nährsubstrat, welches ihm das Blut liefert. Mit diesem werden die Muskeln versorgt, in dem Kapillaren zum Bluttransport aktiviert werden. Auch das geschieht durch ständige Wiederholungen. Schließlich sind sich Gehirn und Muskel einig: "Wir können alle Anforderungen, die an uns gestellt werden, erfüllen."
Vielleicht verstehst du jetzt, wie ungemein wichtig es ist, sich im Training in verschiedenen Geschwindigkeitsbereichen zu bewegen. Und du wirst auch verstehen, dass einmalige Ausflüge in bisher unbekannte Tempobereiche so gut wie wirkungslos sind.
Selbstverständlich wird dir auch klar, dass es zum Lernen von dir bisher unbekannten Laufgeschwindigkeiten einer sehr belastenden Anzahl von Wiederholungen bedarf.
In unseren Trainingsplänen legen wir deshalb auch immer wieder Wert auf ein häufiges Training in bestimmten Wettkampftempobereichen. Je öfter diese geübt werden, desto ökonomischer kann ein gewünschtes Tempo abgerufen werden. Je weniger das angestrebte Tempo an Energie und Sauerstoff verbraucht, desto länger kann die Laufleistung aufrecht erhalten werden.
Das ganze Jahr über üben wir diese Tempobereiche. Im Winter, wenn es zum Beispiel noch nicht möglich ist ein 10 km-Renntempo über mehrere km im Training laufen zu können, kürzen wir die Wiederholungen so weit ab, dass wir doch am Ende eines Trainings das gewünschte Wettkampftempo über viele km lang gelaufen sind.
Ich achte streng darauf, dass wir im Jahresverlauf immer wieder kehrende Einheiten absolvieren, die einen bestimmten Tempobereich abdecken. Wer neu in unsere Trainingspläne einsteigt, braucht manchmal mehrere Monate um sich an ein solches Training zu gewöhnen. Denn er muss sich erst an neue, für ihn völlig ungewohnte Geschwindigkeiten, gewöhnen.
In dieser Zeit wird er von heftigen Unlustgefühlen geplagt. Sein bisheriges gewohntes Bewegungsmuster wird durchbrochen und das wird wie oben beschrieben, als belastend und unangenehm empfunden. Diese anfänglichen Missempfindungen sind der Grund dafür, dass immer wieder einige Leute behaupten, mein Training wäre zu hart.
Verständlich ist das auch, denn die neuen Anforderungen verleiden einem für eine gewisse Zeit die Freude am Laufen. Man sehnt sich nach dem schönen Gefühl zurück, in einem bestens gelernten Bewegungsmuster, ganz locker laufen zu können. Wer dann nicht den nötigen Erfolgswillen hat oder an dem Trainingsprogramm zweifelt, der ist schnell wieder raus diesem und gibt sich dem Genuss hin wieder im alten Trott zu trotteln.
Ich gönne jedem diesem Genuss und es muss auch nicht jeder leistungssportlich orientiert trainieren. Ich wünsche mir dann aber auch, dass die gleiche Toleranz von der Joggerseite an den Tag gelegt wird. Manchmal ist es wirklich ganz gut, einmal die Klappe zu halten, wenn es um etwas geht, was man nicht anstrebt und von dem man meist auch noch nicht einmal etwas versteht. Laufen hat viele Seiten und man kann es von noch mehr Seiten aus betrachten.
Leistungssportlich orientiertes Training ist fordernd, hart und erzeugt auch vorübergehende Müdigkeit. Aber es produziert Erfolgserlebnisse, die prägend für das ganze Leben sind. Es versetzt uns Läufer nach dem Erfolg in einen wahren Glücksrausch. Diesen Glücksrausch kannst du dir mit allem Geld der Welt nicht erkaufen. Den kannst du dir nur erarbeiten und dazu brauchst du noch sehr viele Wiederholungen in eben so vielen Tempobereichen.
Auch in der nächsten Ausgabe wird es sich um Wiederholungen drehen. Bis dahin kannst du dir ja schon einmal überlegen, in welchem Tempobereich du deine Schwächen hast, die du beseitigen möchtest.