Bist du schon einmal einen Marathon zu schnell angegangen und hast dafür am Ende bitter gebüßt? Wenn du schon einige 42,2 km Läufe absolviert hast, dann lautet deine Antwort wahrscheinlich ja. So etwas passiert uns allen. Nicht immer sind wir in der Lage uns und die Umstände richtig einzuschätzen und bestreiten die erste Hälfte des Marathons zu schnell, um im zweiten Abschnitt dann körperlich und seelisch so langsam dahin zu sterben.
Es gibt aber ein taktisches Marathonverhalten, welches mich regelmäßig auf die höchste Palme treibt, der verbale Ausdruck dieses Verhaltens lautet: "Was ich habe, das habe ich!" So wird eine schnelle Halbmarathon-Durchgangszeit mit einem anschließenden Tempoabfall auf den nächsten 21,1 km ausgedrückt.
Hintergrund ist der Glaube, dass man durch die Ermüdung, egal wie man auch immer angeht, auf dem 2. Abschnitt langsamer wird. Dieser Mythos wird in diversen Foren auch noch fleißig gepflegt. Die Erfahrung von 1000-en erfolgreichen Marathonläufern(innen) beweist aber, dass nichts falscher ist, als eine zu schnelle erste Hälfte auf den 42,2 km.
Einer der Jünger dieser schnellen ersten Hälfte war das Clubmitglied Siegfried Kreuzer, dem ich schon seit Jahren predige: "Laufe langsamer an, dann bist am Ende schneller. Siggi aber wollte nicht glauben, er bretterte vorne los und blätterte hinten ab.
Nun aber ist er geheilt und schrieb nach dem Hamburg-Marathon:
Lieber Peter,
kurzer Bericht von meinem HH-Marathon. Wir hatten uns ja vorher über die Taktik unterhalten und ich hab mich entschlossen es diesmal gaaanz langsam angehen zu lassen. Ich wollte es endlich einmal hinbekommen, meine 2. Hälfte mit einem geringeren Abstand zur 1. Hälfte zu laufen. Bisher waren es oft bis zu 5 Minuten.
Das Training war über den Winter 2006 mäßig, das heißt ziemlich beschissen. Wenig Tempo, keine bis wenig Intervalle. Aber die Langen konnte ich einigermaßen regelmäßig laufen. Vorgabe und Bestzeit aus Köln 2006 waren 3:08:05, aber ich dachte kaum dran, das zu verbessern. Es waren mindestens 250 km weniger Vorbereitung und wie gesagt, ich fand kaum einen Trainings-Rhythmus. Mit diesen Vorgaben prognostizierte Hansi auf der Messe auch eine 3:08 bis 3:10.
Frust danach bei mir, weil mein Gefühl von ihm per Daten auch noch bestätigt wurde. Meine Taktik war dann, entgegen Hansis Empfehlung eine 4:24 einzuschlagen, um dann nach Greif Taktik bei 15 etwas zu forcieren. Etc. Zwar war der erste 10er dann etwas schneller, aber es war, dies vorweg, der langsamste 10er in meinem ganzen Lauf. Ich bin dann einfach mein (langsames) Tempo so durchgelaufen und war beim HM dann schon satte 2 Minuten langsamer als in Köln. Bestzeit zu diesem Zeitpunkt ade! Alles vorbei, leg ein anständiges Rennen hin, entäusche den Peter nicht, und mache deine Bestzeit beim nächsten Mal.
Bis km 30 folgte dann aber der schnellste 10er im Lauf! Und siehe da, der zweitschnellste 10er von 30 auf 40 km. Der Rest, die 2,195 km waren dann schon etwas grenzwertig, vor allem der 400m Endspurt, den ich locker unter 1:30 runtergerast bin (siehe Endzeit weiter unten, das lies ich mir dann doch nicht nehmen).
Nun kommts: Mit diesen Split-Zeiten war mein 2.HM um ca. 35 sek schneller als mein erster und von 2 min Rückstand bei HM habe ich auf der 2. Hälfte eine Zeit von 3:04:59 herausgelaufen, die um satte 3:06 min besser war als meine bisherige Kölner-Bestzeit.
Fazit: Gigantisch einfach, lauf langsam und du wirst schneller sein.
Grüße Siegfried
PS: Meine Frau meinte, ich solle mich nicht so haben mit meiner Zeit, wenn ich alle deine Tipps bisher schon befolgt hätte, wäre ich längst bei 2:45. Da siehst du mal, keine Ahnung vom Laufen die Frauen. ;-)
Mit der schnelleren zweiten Hälfte war Siegfried aber nicht allein, die Splits des Männersiegers Julio Rey weisen eine schnellere 2. Hälfte aus. Auch die so großartige Steigerung des 22-jährigen (nicht wie berichtet 23-jährig) Greif-Clubmitglieds Tobias Sauter, von 2:34 auf 2:26 kam durch ein langsames Angehen zu Stande. Tobi lief die ersten 10 km nur in 35:17.
Von der taktischen Leistung von Tobi bin ich ganz bezaubert, denn ich hätte nicht gedacht, dass er es in seiner Aufregung schafft, sich auf dem Anfangsabschnitt zurückzuhalten. Denn aufgrund seiner Vorleistungen hätte der Leonberger auch schneller laufen können als die jetzigen 2:26. Aber unsere Taktik war, einfach ein Sicherheits-Rennen hinzulegen, um erst einmal eine "Hausnummer" stehen zu haben. "Nicht schneller als 3:30 min/km angehen", war seine Vorgabe.
Solch eine Vorsichtsmaßnahme ist besonders bei noch unerfahrenen Läufer(innen) nötig. Denn es ist in der Regel so, dass nicht immer eine zu einer Unterdistanz adäquate Marathonzeit herausschaut, wenn der Leistungssprung zu groß wird. Mit anderen Worten: Man muss sich seiner bestmöglichen Bestzeit schrittweise nähern. Und diesen ersten Schritt hat Tobias Sauter mit Bravour getan und kann jetzt im Herbst auch etwas mehr Risiko wagen.
Nur aber zurück zu: "Was ich habe, das habe ich!" Warum wählen denn nun so viele Läufer doch ein zu schnelles Anfangstempo. Das ist eigentlich leicht erklärt: Ein Läufer weiß ganz genau, dass er im Training in der Regel auf der zweiten Hälfte der Distanz langsamer wird. Diese Erfahrung projeziert er nun in den Wettkampf herein und dort muss er dann aufgrund seiner Erfahrung zwangsläufig schneller angehen, um die gewünschte Endzeit zu erreichen.
Leider unterschätzt er dabei aber die Kraft der Hormone im Wettkampf. Die Stresshormone, hauptsächlich Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol oder kurz die Katecholamine sind die Leistungsputscher im Rennen. Wer den Kampf mit Zeit und Gegner sucht, den stattet das Gehirn mit einer gehörigen Menge von Katecholaminen aus. Und das Schöne daran ist, dass der Gehalt dieser Stresshormone im Verlauf des Rennens immer weiter ansteigt.
Gleichzeitig ist unser Organismus, so freundlich uns mit Endorphinen zu versorgen. Diese Hormone regeln Empfindungen wie Schmerz und Hunger, allgemein werden sie als körpereigenes Opium oder Morphin bezeichnet. So kann eine kleine Blase im Training schon größte Schmerzen bereiten und zur Beendigung des Trainings zwingen. Im Wettkampf kann aber unter Umständen der selbe Mensch selbst mit blutenden Füßen noch ohne große Schmerzen weiter laufen. Endorphine werden auch mitverantwortlich gemacht für die Entstehung einer Euphorie im Rennen. So fliegt dann ein Läufer von Stresshormonen aufgeputscht, von Endorphinen beglückt und schmerzbetäubt dem Ziel entgegen.
Wie du siehst, ist für die schnellere zweite Hälfte im Marathon alles geregelt. Du musst es nur glauben, wollen und die Nerven haben, dich am Anfang zurückzuhalten. Dann kannst auch du einmal das Glück erleben, die letzten 21,1 km schneller laufen zu können als die ersten.