Im Job kommt es nicht selten vor, dass man etwas gegen seine Überzeugung handeln muss. Der Chef(in) befiehlt und die Aktion wird in Gang gesetzt, obwohl die persönlich Überzeugung sagt: "Das kann nicht gut gehen!" Dann macht man fatalistisch mit dem Gedanken "auf mich hört ja keiner" gute Miene zu bösem Spiel.
Aber aus der Sicht des Chefs sieht die Sache natürlich ganz anders aus, denn er muss oft aus einer anderen Motivation als die Mitarbeiter handeln. Mir oblag es einmal eine ganze Trainingsgruppe auf einen bedenklichen Pfad zu führen, nur damit sie mir erst einmal folgten.
Ende Dezember 1980, zurückkommend nach 10 Jahren aus Berlin in meine Heimatstadt Seesen, übernahm ich das Training der Langstreckengruppe der Leichtathletikabteilung unseres örtliche Vereins. Das war die Hochzeit des "Laufarztes" Ernst van Aaken, seine Methoden und Empfehlungen beeinflussten diese Gruppe ganz stark. Der Waldnieler "Laufdoktor", Sportmediziner und Trainer setzte sich mit Vehemenz für den Langstreckenlauf und das Training der "reinen Ausdauer" mit hohen Kilometerumfängen ein. Anaerobe Läufe waren ihm ein Gräuel.
Nun kam ich nach Seesen und sah dieses Elend einer völlig gleichförmigen langsamen Lauferei. Es war keinerlei Struktur im Training. Kraft holte man sich durch Laufen in unseren Harzbergen. Aber dies immer möglichst an steilen Hängen, damit das Tempo nur nicht zu hoch wurde.
Meine erste Maßnahme war, weg von dem ständigen Steilhang-Berglauf zu gehen und mehr Schwung in das Dauerlauftraining zu bringen. "Wir müssen auch im Winter Tempo machen, es ist Schluss mit der Joggerei!" Was ich hörte war nur: "Aber van Aaken hat gesagt....!" Meine Antwort war: "Nun macht ihr einmal ein Vierteljahr das was ich euch sage und wenn ihr dann nicht fitter seid als vorher, dann machen wir mit dem van Aaken-System weiter.
Schon damals war mir klar, dass man mit einem umfangsbetonten Training und einigen Tempoläufen bis an die aerobe Schwelle den größten langfristigen Erfolg erzielen würde. Der Nachteil in diesem Moment war aber, dass dabei das Leistungsniveau erst einmal ganz langsam nach oben steigen würde. Der Knoten würde mittels dieses besseren Trainingssystems aber frühestens erst im März platzen.
Meine Gedanken damals waren: "Wenn du die Truppe nicht möglichst schnell in Form bringst, dann stehst du in 6 Wochen allein hier." Der kurzfristige Erfolg musste her. Um diesen zu produzieren, setze ich dann schon im frühen Winter auf schnelle Wiederholungsläufe mit einem hohen anaeroben Anteil.
Das hatte positive Folgen! Die ganz Truppe kam sprunghaft in Schuss, denn dieses Training wirkte nach dem jahrelangen reinen Ausdauertraining wie Wasser in der Wüste. Van Aaken war vergessen. Nun war auch der Glaube an die Fähigkeiten des Trainers da und ich konnte die Gruppe in den Folgejahren dann auch von dem Segen einer ruhigeren, auf langfristige Wirkung ausgelegte Vorbereitung überzeugen.
Das ist auch heute noch meine Empfehlung für jeden Läufer(in), auch wenn kein Marathon angestrebt wird. In diesem Sinne kommen wir jetzt auch zurück auf die Zeilen aus dem Newsletter vom 02.12.06:
"Wer keinen Marathon laufen will, hält sich oft für einen Sprinter und verlangt ein entsprechend intensives Training, wenig Umfang und vor allen Dingen sollte die längste Strecke möglichst kurz sein. Die Bitte jetzt im Herbst an mich lautet immer gleich oder ähnlich: "Ich will nächstes Jahr keinen Marathon laufen, ich möchte dafür aber schneller werden auf den kürzeren Strecken. Bitte stelle mich um auf einen B(ahn)-Plan." Ein B-Plan fordert 20% weniger Gesamt-km und die längste Strecke ist im Vergleich zum M(arathon)-Plan nur 25 statt 35 km lang."
Ich empfehle diesen Menschen dann ganz dringend nachfolgendes Vorgehen (siehe Kasten), welches sich in der Praxis als absolut überlegen erwiesen hat, um im Frühjahr auf schnelle Zeiten zwischen 5000 m und 21,1 km zu kommen:
Wenn du keinen Marathon laufen willst und deine Chancen im 1. Halbjahr auf Strecken zwischen 5000 m und Halbmarathon suchen willst:
- Trainiere von Dezember bis Mitte März mit hohen Umfängen wie ein Marathonläufer (Nutze als Greif-Trainingsplan-Bezieher dazu die Pläne der Gruppe M oder S)
- Laufe in dieser Zeit in jeder wettkampffreien Woche 35 km
- Absolviere ab Januar jeden Monat jeweils einen Cross- und/oder Straßenlauf
- Verringere ab März deine Umfänge und trainiere intensiver (Nutze dazu einen Greif-Trainingsplan aus der Gruppe B)
- Laufe in den kommenden Monaten bis Juni deine Wettkämpfe in zeitlichen Blöcken, damit du zwischen diesen immer wieder trainieren kannst.
Überraschenderweise bekommt man mit diesem Verfahren auch sogenannte Stagnierer und auch Leistungsrückschrittler wieder fit. Leute, die sich schon lange aufgegeben haben und nicht mehr an ihre eigene Leistungsfähigkeit glauben. Das lange und harte Training des Winters, gefolgt von einer Umfangsentlastung und Intensitätserhöhung im Frühjahr, schraubt selbst Uralt-Bestzeiten aus ihrer festgerosteten Fassung.