Es gab einmal einen Läufer, der sich bei Temperaturen oberhalb von 20 Grad sinnbildlich in die Hose machte. Bei Wärmebedingungen wollte er eigentlich niemals antreten, um sich von den diversen Holgers zerssägen zu lassen. Dieser Läufer war ich.
Es war schrecklich für mich, in Rennen mit Sonnenschein zu gehen. Es gelang mir, mich geradezu in eine Hitzephobie zu steigern. Schon vor dem Wettkampf jammerte ich umher, weil es mir wieder einmal zu warm war. Und somit witterte die Konkurrenz dann auch gleich Morgenluft.
Irgendwann aber hatte ich die Nase voll und fing an zu denken, was dem Vernehmen nach manchmal doch hilfreich sein soll. Wenn jemand die Hitze scheut dachte ich, dann sollte er sich nicht verstecken, sondern nach Möglichkeit unter Hitzebedingungen trainieren.
So setzte ich diesen Gedanken in die Tat um und suchte statt schattigem Wald die offene Fläche bei Sonnenschein. Und ich sage dir, es dauerte keine vier Wochen und meine Hitzephobie war verschwunden.
Zum ersten Mal konnte ich meinen Hauptholger schlagen. Was eigentlich ganz lustig war, denn als ich in das Ziel kam fragte ich die dort Stehenden, wo er denn abgeblieben war. Denn erwartet hatte ich ihn deutlich vor mir und man versicherte mir dann aber, dass er zwei Minuten nach mir in das Ziel gekommen war. Ich konnte es nicht fassen.
Das Training bei hohen Temperaturen wurde fortgesetzt, soweit es ging. So war es dann auch möglich, Rennen zu gewinnen, die eigentlich nicht zu gewinnen waren.
Anfang der Achtzigerjahre siegte ich bei einem Marathon in Daverden (Nähe Bremen) unter schrecklichen Hitzebedingungen, auf einer praktisch schattenlose Strecke. Dieser Sieg war nicht aufgrund meiner Konstellation erlaufen, sondern durch den Glauben bei Hitze auch gut laufen zu können und den Mut zu haben mit hohem Tempo anzulaufen.
Aber jetzt auf meinen alten Tagen beginne ich an dieser Aussage doch etwas zu zweifeln, denn ein wissenschaftlicher Text aus Runners World von Alex Hutchinson, brachte mich auf eine ganz andere Spur. Dieser Autor zitierte mehrere wissenschaftliche Arbeiten die belegen, dass Training unter Hitzebedingungen auch eine deutliche Leistungssteigerung hervorrufen kann.
Nachfolgend einige Zeilen aus seinem Text: "Hitzetraining zur Steigerung der Ausdauerleistung. 2010 gab es dazu eine Studie der Universität von Oregon: Radfahrer trainierten zur Hitzeakklimatisierung 10 Tage lang - 100 Minuten pro Tag bei hohen Temperaturen. Am Ende der Studie wurde bei den Sportlern unter kühlen Trainingsbedingungen ein 5-prozentiger Anstieg der VO2max gemessen.
Mit anderen Worten: Hitzetraining macht Sie nicht nur besser im Umgang mit Hitze, sondern es macht sie auch besser, basta.
Die Forscher haben vorgeschlagen, dass Athleten diesen Trainingsansatz gerade in Höhentrainingslagern verwenden könnten, besonders, wenn sie durch eine kurzfristige Intervention ihre Leistung steigern wollen. Obwohl die Studie damals sehr diskutiert wurde, hatte ich nicht den Eindruck, dass Athleten und Trainer diese Idee wirklich aufgegriffen hätten.
Es hat sich herausgestellt, dass es inzwischen mehr Forschung zu diesem Thema gibt und Elite-Athleten diesen Ansatz durchaus in ihr Training einbeziehen.
Für eine neuseeländische Studie, die 2012 im European Journal of Applied Physics veröffentlicht wurde, absolvierten Elite-Ruderer ein etwas verkürztes Hitzetraining – an fünf Tagen mit 90 Minuten pro Tag. Die Ruderer trainierten in einem Raum bei 40° C und 60 Prozent Luftfeuchtigkeit; dabei ruderten sie mit einer Intensität, die gerade ausreichte, um sie auf eine leicht überhitzte Körperkerntemperatur von 38,5° C zu bringen.
Das Training selbst war nicht besonders hart: Ziel war es, die Ruderer zwar zu überhitzen, doch nicht zu überanstrengen, zudem startete diese 5-tägige Akklimatisierungsphase zwei Wochen vor einer großen Meisterschaft. Das Ergebnis war ein 1,5-prozentiger Anstieg der Ruderleistung auf 2.000 Metern.
Im Gegensatz zu allgemeinen Trainingseinheiten sollte beim Hitzetraining nicht zu viel getrunken werden.
Es gibt viele verschiedene Mechanismen, die hier im Spiel sein könnten. Daher werde ich mit meinen eigenen Worten versuchen, ein paar vereinfachende Schlussfolgerungen zu ziehen:
(1) Der größte Vorteil der Hitzeakklimatisierung könnte die Vergrößerung des Blutplasmavolumens sein. Genauso wie Höhe den Körper stimuliert, mehr rote Blutkörperchen zu erzeugen, regt Hitze den Körper an, mehr Blutplasma zu produzieren.
Das Ergebnis ist eine größere Herzleistung und höhere VO2 auf einem bestimmten Belastungsniveau. In der neuseeländischen Studie hat das Blutplasma im Ruhezustand um 4,5 Prozent zugenommen, obwohl die Sportler schon zu Studienbeginn ein sehr hohes Plasmavolumen hatten; in der Untersuchung aus Oregon hat sich das Volumen des Blutplasmas um 6,5 Prozent erhöht.
(2) Eines der wichtigsten Signale, das Ihrem Körper sagt, sich so anzupassen, könnte die Dehydrierung sein. Also, wenn Sie beim Hitzetraining übervorsichtig auf ausreichende Wasserzufuhr achten, könnte Ihnen dieser Vorteil entgehen.
In der Studie aus Neuseeland wurden den Athleten während des 90-minütigen Trainings 100 ml Wasser erlaubt - genug um das Gefühl einer starken Dehydrierung zu vermeiden, aber auch nicht genug, um ausreichend hydriert zu bleiben.
Einige Sportler verwenden die Faustregel: Wenn man nicht um mindestens 2 Prozent dehydriert ist, hat man zu viel getrunken; 3 Prozent sind gut; 4 Prozent sind zu viel. (Hinweis: Dies bezieht sich nur auf die Hitzeakklimatisierungsphasen und ist keine Regel für allgemeine Trainingseinheiten!)
Das allgemeine Fazit hieraus ist, dass man seinen Körper diesen trainingsbedingten Belastungen ruhig mal aussetzen sollte, anstatt heroische Anstrengungen zu unternehmen, um jegliche körperliche Beschwerden von vornherein abzuwehren.
Das ist auch ein Thema der jüngsten Forschung in einer Vielzahl von Gebieten - wie der Ernährung (z.B. die Vorteile der körperlichen Anpassung durch das Training mit niedrigen oder entleerten Energiespeichern), und der Erholung (z.B. das Potenzial von Eisbädern und Antioxidationsmitteln, welche die Signale unterdrücken, die dem Körper sagen, dass er sich anpassen und stärker werden soll).
Das bringt mich zu der Erkenntnis, dass man in Situationen, in denen Sicherheit und Gesundheit nicht gefährdet sind (also nicht während Ultra-Läufen und Hitzewellen!), die rettende Wasserflasche ruhig mal zuhause lassen könnte."
Wenn ich die vorhergehenden Zeilen lese, dann waren wir damals eigentlich der Wissenschaft schon voraus. Außer dem Hitzetraining wurde von meiner Seite immer und immer wieder empfohlen nicht zu viel zu trinken.
Vielleicht ist es möglich das Hitzetraining zu etablieren, aber diese Sauferei bei den langen Wettkämpfen wird wahrscheinlich bis auf den letzten Tag fortgesetzt werden. Besonders die Leistungsschwächeren unter uns glauben an den zugeschütteten Magen. In diesem Sinne: Prost!
Dazu möchte ich noch hinzufügen: Wir sind auch im Sommer unsere 35 km ohne Trinkflasche gelaufen. Wir schämten uns sogar diese Dinger mitzuschleppen.
Vielleicht können wir den harten und schlauen Läufer bald wieder an der fehlenden Trinkflasche erkennen!!!