Geht es dir auch auf den Keks, wenn die Alten dir erklären, dass früher alles besser war? Ich hatte das Glück, noch mit drei vorhergehenden Generationen leben zu können. Urgroßeltern, Großeltern und Eltern, jeder dieser Generationen warf der Nachfolgegeneration vor, sie mache fast alles falsch. Wir können also davon ausgehen, dass diese Art der Hinsicht auf die sich entwickelnde Generation ein soziales Naturgesetz ist.
Aber sind denn diese Vorwürfe berechtigt? Nein, denn sie sind in der Regel zu 75 % Quatsch, aber es gibt auch Gegebenheiten, die wirklich im letzten Jahrtausend besser waren als im heutigen.
Der Schreiber dieser Zeilen ist einer von diesen Alten, der behauptet, dass es früher leichter war Läufer zu trainieren als heute. Und es ist auch belegbar, dass diese in ihrer Gesamtheit deutlich schneller und fleißiger waren als heute. Und das auch unter dem Umstand, dass wesentlich weniger Menschen damals Langstrecken trainierten.
Wäre ja alles kein Problem, wenn die Spitze heute genauso schnell wäre wie zum Beispiel 1983 vor 30 Jahren. Ist aber zu meinem größten Bedauern leider nicht so. Spitze und Breite im deutschen Langstreckenbereich sind eingegangen wie eine Primel in der Frühlingssonne. Ich möchte die Sache hier nicht groß diskutieren, sondern einmal aufzeigen, wie du nicht auf das allgemeine Geseiere in der Laufszene hörst und versuchst dich autark zu entwickeln.
Nachfolgend werde ich einmal darüber schreiben, was für Ideen Trainingsplan-Besteller heute so haben und was in der Szene falsch gemacht und gedacht wird und wie du dich einfach dagegen wehren kannst. Mit andern Worten: Folge nicht dem Trend der Meister des geringsten Widerstands, diese wollen ohne jeden Schmerz, mithilfe von leckeren Eiweiß-Shakes, "den neuen geilen Einheiten" und möglichst wenig Umfang an das Ziel kommen. Kommen Sie auch, aber verdammt langsam.
Ein aktuelles Beispiel: Eine Vielzahl der Greifclub Mitglieder läuft im Frühjahr einen Marathon. Fast alle sind sich darüber einig, dass man bei dieser langen Strecke pro Woche einmal 35 oder auch 40 km laufen muss. Wenn der Frühjahrsmarathon absolviert ist, setzen wir die längste Strecke auf 25 bzw. 20 km bei anderen Plänen herab. Weil die meisten dann nur noch 5000 m bis Halbmarathon laufen.
Es gibt natürlich auch welche, die wollen nur 10 km laufen. Die schreiben mir dann sofort, warum sie denn 25 km laufen müssen, wenn sie nur einen Halbmarathon bestreiten möchten. Es gibt sogar Läufer, die verlangen maximal 20 km für die Halbmarathonstrecke. Begründung: Wir sind ja auch im Marathontraining keine 42 km gelaufen, dann müssen für Halbmarathon 20 reichen.
Wie soll ich so etwas nennen? Faulheit, Unwissenheit, Ignoranz oder was noch? Ein Neumitglied storniert seinen Trainingsplan, weil ich ihm diese 25 km zumuten wollte. Für mich ist diese ganze Jammerei eine elende Arbeit, weil sie meist über E-Mail geht und ich dann antworten muss.
Wenn Sie mich wenigsten anrufen würden, dann könnte ich erklären, warum gerade diese langen Läufe wichtig sind. Noch schlimmer wird es, wenn ich den Klubmitgliedern, die nach Marathonplänen trainieren, empfehle auch außerhalb der Saison mindestens jeden Monat einmal ein 35 Kilometerlauf zu absolvieren, um die Ausdauerleistungsfähigkeit über die lange Strecke zu erhalten.
Es ist kaum glaublich, was uns Morgen dann für Post erreicht. Jede zweite Mail beginnt mit dem Text: Warum soll ich dann 35 km laufen, wenn ich gar keinen Marathon mehr in diesem Halbjahr vorhabe? Solche Mails machen mich einfach mürbe, weil es so viele sind. So muss ich noch einmal zurück auf die vorhergehenden Zeilen mit "damals war alles besser" kommen.
Kaum jemand versteht, dass es sich im Training nicht nur um den nächsten Wettkampf dreht, sondern das Wichtigste die kontinuierliche Weiterentwicklung der Fähigkeiten ist. Sie wollen einfach nicht glauben, dass sie bei einer gut ausgebildeten Ausdauer ihre Tempoläufe schneller und mit weniger Anstrengung absolvieren können.
In früheren Zeiten schrieb ich so etwas gar nicht in dem Plan rein, das machten unsere Läufer und Läuferinnen einfach von sich aus so. Irgendwann in den Sommerwochen, wenn sie Freude und Zeit daran hatten, liefen sie ganz entspannt unsere 35 km Strecke.
Wenn es dann im August wieder los ging mit der direkten Vorbereitung auf die Herbstmarathons, hatten diese Sportler absolut kein Problem die lange Runde zu bestreiten und dann auch in die Endbeschleunigungen zu gehen. Das waren keine Wunderläufer oder große Talente, sondern Fleißsportler.
Aber: Niemand bestritt einen Marathon über 3 Stunden, sogar die meisten Frauen aus unserem Verein blieben unter dieser Zeit und die einigermaßen Talentierten liefen um die 2:45 Stunden und die Männer um die 2:30 herum.
Und heute sitze ich hier und bin in meiner Läuferseele ziemlich versaut. Irgendwann gibst du dem Druck von außen nach, der heißt immer weniger Umfang und immer weniger Tempo. Du hast einfach keine Lust mehr auf pöbelnde Mails.
Wenn da nicht eine große Anzahl von Läufer und Läuferinnen wären, die ganz hart und erfolgreich trainieren, dann hätte ich manches mal Lust, mich aufs Altenteil zurückzuziehen.
Aber keine Angst, so schnell wird mich die Läuferszene nicht los. Ich mache weiter, bis entweder die Demenz zuschlägt oder der Mann mit der Sense kommt. So denke ich zwar im Augenblick aber schon morgen kann mich vielleicht jemand auf die Palme bringen, der verlangt, statt 400 Meterläufen nur 350 m zu trainieren. Weil das beim Marathon ja auch so...!
Entschuldigung, ich bin etwas abgeschweift vom Thema, aber ich habe noch zwei Sommertipps für dich:
1. Viele von uns fahren in der heißen Zeit in den Süden, wo sie dann auf richtige Hitze treffen. Da bemerken sie, erwartet oder nicht, dass man bei Temperaturen über 30° im Sonnenschein nicht oder kaum trainieren kann.
Dann werde ich gefragt, wie man denn seinen Trainingsplan auf diese Bedingungen anpassen kann. Meine Antwort: Vergiss den Trainingsplan und setze auf ein Erhaltenstraining. Das sieht so aus, dass du morgens nüchtern im beginnenden Sonnenaufgang 10 km läufst und das gleiche machst du abends noch einmal in der Dämmerung.
Damit entwickelst du dich zwar nicht weiter, aber erhältst deine Leistung und den Familienfrieden. Denn es gibt immer wieder Ärger in den Familien, wenn im Urlaub der eine Partner läuferisch unterwegs ist und der andere sich langweilt.
2. Immer wieder fragen mich Läufer und Läuferinnen welches Tempo sie dann in der Regeneration laufen sollen. Meist glauben sie, dass sie in diesem Zeitraum zu langsam laufen und damit alles verlieren, was sie sich in den letzten Monaten aufgebaut haben.
Dieser Gedanke ist ziemlich kontraproduktiv. Ein Organismus, der über mehrere Monate mit harten und langen Einheiten gequält wurde, braucht Erholung. Dafür ist er dankbar und gibt anschließend seine Höchstleistung wieder bereitwilliger her. Du solltest nie vergessen, dass dein Körper keinen der gelaufenen Kilometer in deinem Leben vergisst. Du brauchst sie nur kurz zu erinnern, dann steht er wieder für dich bereit.
Die Wahl des Tempos in der Regenerationsphase ist ganz einfach. Du machst es so, wie mir es gestern Abend bei einem Glas Wein R.B. erklärt hat: "Das mit dem Lauftempo ist doch simpel, du gehst raus und läufst einfach ganz entspannt. Du denkst nicht mehr an Tempo und Wettkämpfe, sondern läufst so, wie es dir dein Körper vorgibt. Mehr brauchst du dazu nicht."
Dem ist nichts hinzuzufügen.