Wie viel Minuten oder sogar Stunden hast damit verbracht deinen letzten Wettkampf zu planen? Dein Anfangstempo festzulegen, die Wunschzeit zu errechnen oder auch eine ganze Tempotaktik festzulegen? Wir alle verbringen sehr viel Zeit damit, uns Gedanken zu machen, wie wir ein Rennen technisch abwickeln wollen.
Aber was ist mit deiner mentalen Einstellung? Machst du dir auch Gedanken darüber, wie du dich verhältst, wenn es einmal nicht so läuft, wie du es erwartest hast. Was machst du, wenn nicht der erwartete Holger vor dir ist, sondern plötzlich Thomas der Schleicher, der im Training immer weit hinter dir läuft?
Wie verhältst du dich, wenn dir im Marathon so langsam der Saft ausgeht und du anfängst dich selbst zu beschimpfen. "Mist, jetzt geht das schon wieder los. Na klar, du hast ja auch noch 3 kg Übergewicht und du hattest dir doch geschworen gehabt, dass du mit Idealgewicht an den Start gehst."
Alle deine Sünden fallen dir ein und du versinkst immer mehr im Elend deiner negativen Gedanken. "Ich habe es ja geahnt, der letzte Tempolauf lief auch schon nicht optimal und bei Tante Beates Geburtstag hast du absolut zu viel gegessen und getrunken."
Bist du in dieser Phase und du hast kein Konzept um diese negativen Gedankenraum zu verlassen, dann kannst du deinen Wettkampf getrost vergessen. Der wird dir ganz sicher kein überdurchschnittliches Resultat mehr bringen. Notfalls kicken dich deine miesen Gedanken sogar aus dem Rennen. "Es ging einfach nicht mehr!"
Wirklich nicht? Warum hast du nicht deine Gedanken gedreht, um dich in eine positive Gefühlslage zu versetzen? Dein Körper kann immer noch weiter und auch schneller, es ist nur dein Kopf der bremst. Aber wenn du kein Konzept hast, wie du aus deinem Gefühlsloch wieder heraus kommst, dann sieht dein Organismus gar nicht ein, dass er weitere Kräfte bereitstellen soll, wenn du ihm nicht mit einem Adrenalinstoß Beine machst.
Ein Beispiel möge dir das Umschalten von einer negativen Gefühlslage in eine positive Angriffshaltung zeigen. Ganz einfach, aber hier von außen initiiert: Oft stehe ich bei großen Marathon zwischen km 35 und 40 am Straßenrand. Du weißt selber, dass dieser Abschnitt der schwerste im Rennen ist.
Manche sind an diesem Punkt mit glühenden Bestzeitenaugen schon an mir vorbeigeflogen, schwer kämpfend oder locker, aber immer noch gut drauf mit der Hoffnung oder auch dem Wissen, ein Topprennen gelaufen zu sein.
Dann aber kommen Sie: Die Marathonzombies, die Scheintoten und die sich selbst Beweinenden. Gesichter, wie nach verlorenen Kriegen oder dem Abstieg aus der 1. Liga. Hilflos, kraftlos, verlassen.
Der Trauerzug der scheinbaren Versager ist lang und die Gesichter werden noch immer länger, wenn von hinten mit höhnenden Schritt die Olgas und Holgers kommen. "Komm mit!" Dieser fiese Halbsatz fast aller überholenden Holgers ist die größte Beleidung und der tiefste Stich in das Herz eines abka....den Marathoners. "Dieser Fuzzy, den ich bisher im jeden Rennen im Sack hattest, der zieht jetzt hier an dir vorbei. Du Versager."
Ich kann diese Gedanken von außen lesen, war ich doch oft genug in dieser Gefühlslage. "Alle sind stärker, ich bin hier der Schlappste zwischen km 36 und 42. Meine Zeit ist weg und alle gehen an mir vorbei." Mit diesen Gedanken wird der Betroffene noch ein paar cm kleiner und seine Gonaden schrumpfen auf Erbsengröße.
Und wenn mir, der da draußen steht, einer dieser Leidenden bekannt ist, dann schiebe ich ihn verbal an: "Du kannst noch, der da vorne ist viel fertiger als du. Den packst!" Oder: "200 m vorne läuft Thorsten Nachbarverein, der geht schon stückweise." Auch das klappt gut: "Du siehst noch frisch aus, bis zum Ziel kannst du noch 20 Plätze holen."
Dann geht meist ein Ruck durch den Athletenkörper und er kommt aus seinem Sarg und greift wieder an. Kopf hoch, Schritt lang und ab geht die Post. Dieser Mensch hat wieder ein Ziel und eine Hoffnung. Plötzlich erscheint ihm dieser schon abgeschriebene Marathon wieder lohnenswert. Die positiven Stresshormone schießen in sein Blut und die Jagd beginnt. Dann werden die vorne zu Nummern, abgezählt von der eigenen Platzierung. Holger wird überflogen, durch "komm mit" düpiert und Olga wird hinterseitig abgeklatscht.
Dabei lüge ich niemals in solchen Situationen, um jemanden aufzumuntern. Nur wenn ich in dem Körper des Betroffenen noch körperliche Möglichkeiten erkenne, dann mache ich ihr/ihm ein kleines Lagerfeuer unter dem Hintern. Jemand, der erkennbar "fertig" ist, schon humpelt oder schon auf die Hälfte seiner normalen Körperhöhe geschrumpft ist, lasse ich zufrieden. Diese Menschen fühlen sich dann vielleicht verhöhnt.
Aber diese "wahren" Schwächen sind selten. Mindestens 75% aller, die dicht vor dem Ziel den Leistungshahn schon verschlossen haben, "können" noch. Sie sind noch durch externe oder interne Maßnahmen motivierbar schneller zu laufen. Sie müssen nur auf den richtigen Knopf in ihrem Kopf drücken oder der Trainer muss diesen von draußen mit dem Hammer treffen und schon kommt die gewünschte Leistungsflut.
Manchmal hilft auch der große Hammer nicht. Es gibt Ausschlusskriterien, wo ein Mensch nicht mehr von sich selbst oder von außen in Richtung höhere Leistung beeinflussbar ist. Ich erinnere mich an den Essen-Marathon 2008. Dort wollte Robert Jäkel - er ist mein Assistent in unseren Trainingslagern - an dieser Stelle die 2:30 h knacken. Dieses alles bei einer bisherigen Bestzeit von 2:30!!
Robert lief in einer Gruppe mit, die alle das gleiche Ziel einer Zeit von unter 2:30 h hatten. 3:32/km war angesagt und wurde von dem Tempomacher Alexander Lubina auch gut eingehalten. Als er nach der ersten Runde weg war, ging die Hetzerei los. Einige km unter 3:30 min nahmen Robert die Kraft. Er fiel etwa bei km 30 aus der Gruppe heraus und lief allein. Ihn auf dem Fahrrad begleitend versuchte ich ihn aufzumuntern und ihm neue Ziele aufzuzeigen.
Robert reagierte kaum und ich wusste auch warum. Er war grau! Und dies meine ich nicht sinnbildlich, sondern er war wirklich grau im Gesicht. Grau bedeutet, fertig, hoffnungslos kaputt. Niemals konnte ich erleben, dass jemand diese Farbe wieder in einen anderen Ton hat wandeln können. Der Hintergrund ist die mangelnde Versorgung der nicht zum Laufen benötigten Körperteile mit Blut. Dazu gehört auch das Gesicht. Alles was der Körper an Sauerstoff und Energie noch hat wird vom Blut in die arbeitende Muskulatur getragen.
Für die Mimik ist kaum mehr etwas über. In solchen Zuständen antwortet der Läufer kaum noch auf Fragen, er achtet nicht mehr auf die Ideallinie des Kurses und nimmt Zurufe vom außen nicht mehr erkennbar wahr. Diese Grauheit sieht man aber nur bei Leistungssportlern, der "normale" Läufer(in) kommt in der Regel nicht in diese Leistungsbereiche. Da ist meist beim hochroten Kopf schon die Leistungsgrenze erreicht.
Ein anderes Ausschlusskriterium waren die Augen von Thomas. Damit meine ich Thomas Bartholome, einer der besten Läufer, den wir jemals in unserem Verein, der LG Seesen hatten. Ihn baute ich auf und brachte ihn die erweiterte deutsche Spitze. Obwohl jetzt schon in der M40, ist er immer noch in der nationalen Spitze vertreten und holt in seiner Altersklasse auch noch regelmäßig hochwertige Titel.
Dieser Thomas drückte seine Leistungsfähigkeit und -willen durch seine erweiterten Pupillen aus. Wenn er "was drauf" hatte, dann konnten seine Augen selbst eine Polarnacht erhellen. Dann mussten wir alle: "Heute ist Thomastag!". Aber es gab auch schlechtere Tage. Dann rief ich den anderen Betreuern, meist bei den übersichtlichen Cross-Meisterschaften zu: "Seine Scheinwerfer sind aus!" Ich konnte das ganz sicher schon aus der Entfernung erkennen.
Dann wussten alle, dass Thomas platt war. Und kein Anfeuern und Ermuntern konnte ihn wieder in die Leistungsspur zurück bringen. Bei ihm hieß dann eigentlich "Scheinwerfer aus, gleichzeitig Birne kaputt, nicht mehr einschaltbar". Und mit Birne meine ich den Leuchtkörper und nicht den so umgangssprachlich beschriebenen Kopf. Was aber in diesem Fall das Gleiche war.
Im nächsten Newsletter werden wir dann deutlicher darauf eingehen, wie du deine mentalen Fähigkeiten trainierst, um sie dann im Wettkampf und auch im Training einsetzen zu können.