"Ich kann es nicht verstehen, mein Kumpel Thorsten trainiert 70 km/Woche und ich mit 120 km fast das doppelte. Im Marathon und Halbmarathon habe ich ihn immer im Griff. Aber über die 5000 m hängt er sich hinten dran und auf der Zielgeraden lässt er mich stehen. Was kann ich machen, um schneller zu werden?"
So die Anfrage eines Clubmitglieds. Ja, so geht es vielen von uns. Die Typen die wenig, kurz und schnell trainieren, "kochen uns am Ende oft ab." Da könnte man doch auf die Idee kommen, dass man einfach weniger und schneller trainieren sollte, um endlich einmal seinem Holger das Hemd auszuziehen.
Mit dieser Idee sollte man aber ganz vorsichtig vorgehen. Ich selbst habe einmal diese Vorsicht nicht walten lassen und bin fast in eine böse Falle gestürzt.
Zum Anfang meiner Laufkarriere musste ich mich einem Dieter (Name geändert) herumschlagen, gegen den ich keine "Schnitte" bekam. Ich konnte schnell starten oder langsam angehen, am Ende "zersägte" mich Dieter auf der Zielgeraden.
Das passte mir ganz und gar nicht. Ich müsste wohl, um ihn schlagen zu können, ganz schnelle Sachen machen. Sprint, 400 m-Läufe und immer wieder Steigerungen, so dachte ich. In die Tat umgesetzt, brachte das aber nicht viel. Dieter "kaute" mir auf der Zielgerade der Bahn immer wieder die Beine ab. Und meine Form fuhr Achterbahn. Einmal schlaff wie ein Küchenlappen, am nächsten Tag locker wie ein Balletttänzer die Laufbahn umrundend. Die Formkrisen drehten meinen Körper durch eine Mühle und meine Stimmung schwankte wie Getreidehalme im Wind.
Vom Ehrgeiz und der Dieter-Neurose getrieben absolvierte ich viel zu viel hochintensive Einheiten. Aber ich verlor nicht meinen Verstand. So gab ich dieses Experiment auf und experimentierte weiter mit längeren Einheiten und besonders mit langen Wiederholungsläufen.
Plötzlich passierte etwas völlig Überraschendes: Dieter war "wech"! Weit hinter mir. Meine Entwicklung war so dramatisch, dass ich den Guten schon überrunden konnte. Und meine Dieter-Neurose war geheilt.
Da wurde mir klar, welchen falschen Dampfer ich zu entern versucht hatte. Ich lief jetzt jetzt die 5000 m durchschnittlich schneller, als Dieter im Endspurt. Natürlich kamen dann andere, die mich am Ende von der Bahn "löffelten", aber das waren deutlich weniger als früher. Und die fabrizierten auch nicht so schwachsinnige Sprüche wie Dieter.
Insgesamt schraubte ich dann auch noch meine Umfänge gnadenlos nach oben. Bald kamen schon mal 200 Wochen-km zusammen. Da ging es mit meinem Endspeed doch ganz entscheidend nach unten. Was ich nicht verlor, war meine Fähigkeit isoliert kurze Strecken wie 200 m schnell zu laufen.
Als ich dann viele Jahre später als Trainer begann, startete mit K.W. eine Jugendliche bei uns in der LG Seesen, die sehr talentiert war und es bis in den Nationalkader schaffte. Sie lief zum Beispiel als 17-jährige Neunerzeiten über 3000 und 35-er-Zeiten über 10000 m. Aber wenn es in einem Meisterschaftsrennen zum "Knacken" auf der Zielgerade kam, dann war es um sie geschehen.
Sie war einfach nicht in der Lage einen Endspurt auch nur zu entwickeln. Wenn die Konkurrenz auch nur einmal "ruckte", waren sie vorbei. Natürlich arbeiteten wir an dieser Schwäche, aber alles Mühen war nutzlos. K.W. konnte einfach nicht spurten und sprinten. Später im zweiten Teil ihrer Karriere nach abgeschlossenen Medizinstudium, kam sie noch einmal zurück als Marathonläuferin.
Und dies mit Erfolg. Außer ihrer persönlichen Bestleistung von 2:47:31, gewann sie auch zwei deutsche Meistertitel mit unserer Mannschaft von der LG Seesen, je einmal im Halbmarathon und Marathon. Auf diesen Distanzen konnte sie ihre Fähigkeiten entwickeln, wenn sie die nötigen Umfänge absolvierte. Endspurtfähigkeiten waren auf diesen Strecken nicht unabdingbar nötig.
Woran liegt es denn aber nun, dass bei Läufern die Endspurtfähigkeit mit steigendem Trainingsumfang ganz allgemein abnimmt? Nachfolgend zitiere ich aus dem Buch "Sportbiologie" zu diesem Thema. Besser kann ich es nämlich auch nicht ausdrücken:
Anmerkung: Mit ST-Fasern sind nachfolgend die ausdauernden, langsamen zuckenden roten Fasern in unseren Muskeln gemeint. Im Gegensatz dazu die FT-Fasern, die schneller zucken, aber auch früher ermüden.
"Jahrelanges, umfangreiches und intensives Ausdauertraining (Spitzensport) fuhrt zu einer Umwandlung von FT-Fasern in ST-Fasern und erhöht über die Zunahme der ausdauerspezialisierten ST-Muskelfaserfraktion die aerobe Ausdauerleistungsfähigkeit (Howald 1984, 12).
Entscheidend fur die Umwandlung der FT-Fasern ist die Änderung des muskulären Innervationsmusters: Wird den FT-Fasern über ein tägliches, mehrere Stunden dauerndes Ausdauertraining das kontinuierliche Innervationsmuster der ST-Fasern auferlegt, so wandeln sie sich in diesen Fasertyp um; beim Ausbleiben der gewohnten Trainingsreize setzt sich das ursprüngliche Innervationsmuster wieder durch, und es kommt zur Rückverwandlung.
Es muss demnach festgestellt werden, dass die trainingsbedingte Veränderung des angeborenen Verteilungsmusters reversibel ist: Bleiben die spezifischen Ausdauertrainingsreize aus, dann kommt es zur Umkehr der Umwandlungsvorgänge und damit zu einer Rückkehr zum ursprünglichen Fasermuster (Howald 1984, 12).
Eine Umwandlung von ST-Fasern in FT-Fasern ist durch Training jedoch kaum zu erzwingen, weil in den Ruhephasen zwischen zwei Trainingseinheiten die ST-Fasern unweigerlich wieder unter dem ihnen eigenen Impulsmuster mit niedrigfrequenter Dauerstimulation stehen.
Deshalb beschränken sich die Anpassungsvorgänge bei Kraft- und Intervalltraining auf die metabolische Funktion der Muskelfaser und auf deren Durchmesser (Howald 1984, 12).
Ein guter Langstreckenläufer wird aus diesen Gründen nie ein hervorragender Sprinter werden können, während das Dauerleistungsvermögen eines Sprinters durch entsprechendes Training sehr wohl ganz entscheidend verbessert werden kann, allerdings unter Einbußen in der Schnelligkeit."
Der zweite Punkt, warum manche von uns einfach nicht richtig schnell laufen können, wird nachfolgend aufgeführt:
"Wird das Dauerlauftraining länger durchgeführt (1-2 Stunden Dauer), dann sollte im Bereich der »aeroben Schwelle« - sie liegt bei einem Laktatwert von 2 mmol/l, entsprechend einer mittleren Herzfrequenz von 160 SchlägenImin - trainiert werden.
Diese Form des Ausdauertrainings - auch als extensives Dauerlauftraining zu bezeichnen - kann im Sinne einer Verbesserung der Herz-Kreislauf-Parameter (bei Herzfrequenzen von etwa 140/min wird bereits ein zur Herzvergrößerung notwendiges hohes Schlagvolumen erreicht) bzw. als »Fettstoffwechseltraining« sowie als Regenerationsmaßnahme durchgeführt werden.
Bezüglich des Muskelstoffwechsels lässt sich zusammenfassend sagen, dass je nach Belastungsintensität und Trainingsdauer unterschiedliche Wirkungen erzielt werden: Bei Herabsetzung der Belastungsintensität geht der Kohlenhydratabbau immer mehr in einen Fettabbau über, und umgekehrt wird bei einer Anhebung der Intensität der Kohlenhydratabbau verstärkt.
Bis zum aeroben Schwellenwert bestehen niedrige energetische Flussraten, die fast ausschließlich über den Fettabbau abgedeckt werden können (Keul/Kindermann/Simon 1978,26); im Bereich des anaeroben Schwellenwertes sind hohe energetische Flussraten erforderlich, die fast nur über den Kohlenhydratstoffwechsel abgedeckt werden können.
Zur Verbesserung der Herz-Kreislauf-Parameter ist sowohl das extensive als auch das intensive Dauerlauftraining geeignet. Allerdings ist der Einsatz der extensiven Methode aufgrund der geringeren psychophysischen Beanspruchung in dieser Hinsicht ökonomischer."
Bitte nimm die oben zitierten Pulswerte nicht für bare Münze. Der Puls ist derart individuell, dass eine generelle Anweisung nur falsch sein kann. Alles andere, was oben beschrieben ist, zeigt sich auch im Alltag.
In der Praxis findet man aber, dass eine gleichzeitige optimale Entwicklung des Fettstoff- und Kohlenhydratstoffwechsels nicht möglich ist. Wahrscheinlich auch deshalb, weil ein hochintensives Training ein gleichzeitiges anspruchsvolles Umfangstraining im Amateurbereich nicht zulässt.
Ich versuche bei unseren Greif-Club-Trainingsplänen immer den Eiertanz, beide Stoffwechselformen zu entwickeln. Das machen wir mit der Maßnahme, in der wir erst in den Wintermonaten ein Umfangstraining einsetzen und dann vor der Saison mit einem intensiven Training auch den Kohlenhydrat-Stoffwechsel entwickeln.
Das ist auch der Grund, warum ich immer wieder mahne, sich möglichst schon in den Herbstmonaten November/Dezember einen Greif-Club-Trainingsplan zu bestellen. So ein Programm bringt natürlich auch bei einem Start mitten im Jahr Erfolg, aber zum Jahresende hin ist es optimal, weil man dann im Frühjahr die Bestzeitenernte sofort einfahren kann.
Darum bleibt die weitere oft genutzte Option der Wahl eines 12-Wochen-Plans zur Marathonvorbereitung auch immer suboptimal. In diesen 3 Monaten kann man zwar eine ganze Menge aus sich herausholen, aber es wird bei weitem nicht das erreicht, was mit einem Jahresplan möglich ist.
Was bleibt als Fazit nach diesen Zeilen? Wenn du kein Sprinter bist, wirst du es auch mit größten Bemühungen nicht werden. Aber auch ein reiner Ausdauertyp kann seine Endgeschwindigkeit steigern. Kraft-, Sprint- und Koordinationstraining helfen.
Du darfst nur nicht den Fehler machen, deinen Schwerpunkt zu sehr auf diese Übungsfelder zu legen. Setze besser auf deine Stärken. Sprintstarke Läufer kann man auch durch hohes Tempo zermürben. Wenn du 100 m Vorsprung auf der Zielgeraden hast, dann kann dein Holger sprinten wie Usian Bolt, er wird dich dennoch nicht mehr erreichen können.