"Huch, das kann doch nicht sein". Doch ich hatte richtig gelesen. Dort stand:
"Die sicherste Methode zur Festlegung von Belastungsbereichen in Ausdauersportarten basiert auf der Laktatbestimmung bei Labor- oder Feldstufentests und der Berechnung der Geschwindigkeit und HF (Herzfrequenz) an der aeroben und anaeroben Stoffwechselschwelle.
Die Umsetzung der leistungsdiagnostischen Ergebnisse erfolgt in den Ausdauersportarten vorwiegend anhand der abgeleiteten Herzfrequenzwerte und weniger nach den ermittelten Leistungs- oder Geschwindigkeitswerten. Die Frage ist, ob die Beanspruchung bei einer Ausdauerbelastung im vorgegebenen Herzfrequenzbereich vergleichbar ist mit einer Ausdauerbelastung im vorgegebenen Geschwindigkeitsbereich.
Dazu wurde eine intermittierende Dauerbelastung über 4 x 10 min auf einem über die Herzfrequenz steuerbaren Laufband durchgeführt Die Ergebnisse zeigten von der 10. bis zur 40. Laufminute eine hoch signifikante Abnahme der Geschwindigkeit von 1,3 km/h bei den Frauen und Männern bei gleicher Belastungsherzfrequenz. Auch die Laktatkonzentration nahm in diesem Zeitraum hoch signifikant um 1,0 mmol/l bei den Frauen und 1,2 mmol/l bei den Männern ab (Abb. unten).
Die signifikante Veränderung der Laktatkonzentration bei Dauerbelastungen im Herzfrequenz-Steady-State ist trainingsmethodisch relevant. Bei der Belastungssteuerung nach Herzfrequenzvorgaben wurde dieser Effekt bisher kaum berücksichtigt, obwohl bekannt ist, dass mit zunehmender Belastungsdauer die Anforderungen u. a. an die Thermoregulation, die Muskulatur und das Stütz- und Bewegungssystem steigen und sich dies in einer Erhöhung der Herzfrequenz äußert.
Das Risiko der Überforderung bei einer beanspruchungsorientierten Intensitätssteuerung mittels der Herzfrequenz ist dadurch reduziert. Dies ist für das fitnessorientierte Ausdauertraining von Bedeutung. Die abnehmende metabolische Beanspruchung der Muskulatur bei einem herzfrequenzgesteuertem Training kann im Leistungssport hingegen zur Stagnation der Leistungsentwicklung führen."
Diese Zeilen stammen aus dem neuen Buch von Hottenrott/Neumann "Die Methodik des Ausdauertrainings" Warum ich erst so ungläubig war, dass ich mich schon längst damit abgefunden hatte, dass ich auf ewig gegen Windmühlen rede. Und jetzt nach den vielen Jahren wird anerkannt, dass ich Recht hatte. Da ist man doch wirklich platt. Immer wieder kommen erst die Praktiker auf den Plan und berichten von kontroversen Erfahrungen in Bezug auf bisherige wissenschaftliche Untersuchen. So etwas wird fast ohne Ausnahme abgeschmettert.
Wer wissenschaftlichen Annahmen widerspricht, bekommt Druck von der scheinbar wissenden Seite: "So ein Unsinn!" "Den kann man doch nicht ernst nehmen." "Einzelfälle sind Anekdoten und keine evidenzbasierte Studie." "Spinner!"
Grafiken: Hottenrott/Neumann 2008
Wer hier der Spinner ist, ist wohl nicht mehr fraglich. Seit Jahren kämpfe ich gegen die Pulsgläubigkeit. "Die Herzfrequenz ist ein Betrüger", diesen Satz habe ich oft genug geschrieben. Jetzt stellt plötzlich ein Wissenschaftler (Hottenrott) klar, was in der Umgangssprache übersetzt heißt: Wenn du gleichmäßig nach Puls läufst, wirst du immer langsamer und auch deine Stoffwechselleistung sinkt ab, wie du an den Laktatwerten sehen kannst.
In unseren individuellen Plänen geben wir als Belastungssteuerung Puls und Zeit an. Und was denkst du, wie oft wir schon gehört haben: "Bei mir passen Puls und Zeit nicht zusammen. Nach was soll ich mich denn nun richten?" Ohne Ausnahme war meine Antwort: "Laufe nach Zeit, dann trainierst du richtig". Du solltest wissen, dass wir das Tempo unserer Pläne nach der persönlichen Leistungsfähigkeit des Einzelnen steuern. Dazu nutzen wir die aktuellen Wettkampfzeiten.
Darum steht auch gerade heute eine Empfehlung von uns wie eine Eiche: "Das Training nach Zeit ist für einen erfahrene/n Läufer oder Läuferin dem nach Puls vorzuziehen."
Erinnerst du dich noch an meinen Artikel "Puls und Lakat" vom 27.05.2008?
".....beim Marathon kann man eine leidlich zutreffende Aussage für den Anfangspuls machen. Bei gut trainierten Läufern(innen) (< 3:00 h) sind 85% vom Höchstpuls immer ein guter Tipp. Keinesfalls aber sollte dieser Puls über die ganze Strecke gehalten werden. Das würde dazu führen, dass das Tempo am Ende immer weiter absinken würde.
Ich bin vor Jahren einmal einen Marathon gelaufen, bei dem ich während des ganzen Wettkampfs einen Pulser trug, diesen aber im Rennen nicht beachtete. Die grafische Auswertung ergab einen Puls auf den ersten 15 km mit einer Tendenz von 156 Schlägen (ziemlich genau meine 85% vom HP). Die Tendenz lief bei behutsam erhöhtem Tempo langsam bis km 25 auf 159 Pulse, um danach aber bei jetzt gleichbleibender Geschwindigkeit immer steiler anzusteigen. Bei km 30 waren es schon 162.
Ab diesem Punkt wurde ich jeden km etwa um 2 - 3 sec langsamer und der Puls stieg unerbittlich weiter an. Am Ende waren 168 erreicht, bei bis zum Ziel leicht abfallender Renngeschwindigkeit.
Ähnliches kann man im Training bei den 35 km erleben. Am Anfang laufen Puls und Geschwindigkeit parallel. Oberhalb der 25 km fängt das Herz bei gleichbleibender Geschwindigkeit immer schneller an zu schlagen und kann auch die 88 - 92% vom Höchstpuls erreichen, obwohl das Tempo bei solch einem Trainingslauf niemals in die Nähe des Renntempos kommt."
Dieser im Kasten stehende Text ist Antwort auf die Frage eines Greif-Club-Mitglieds aus dem Jahr 1997. Vor 11 Jahren war mir schon klar, dass eine Pulsmessung im Wettkampf nicht funktionieren kann und auch das Training nicht korrekt gesteuert werden kann.
Aber Schwamm drüber, wir sollten uns auch nicht beklagen. So ist eben das System. Viel wichtiger ist, was du mit den Resultaten anfangen kannst: Wenn du es gewohnt bist nach Puls zu trainieren, dann kannst du es auch weiter so machen. Du solltest nur deinen Belastungspuls alle 15 min um 2 Schläge erhöhen.
Wenn du mit etwa 130 Puls deinen extensiven Dauerlauf beginnst, dann würde sich folgende Belastungsreihe ergeben:
Zeit nach min | 0 | 15 | 30 | 45 | 60 | 75 | 90 | 105 | 120 |
Puls | 130 | 132 | 134 | 136 | 138 | 140 | 142 | 144 | 146 |
So läufst du in etwa leistungsgleich und hast einen entsprechenden Trainingseffekt. Diese Tabelle ist bar jeder Wissenschaftlichkeit. Sie beruht einfach auf Erfahrung. Ich rechne aber nicht damit, dass sie allgemeingültig ist. Genauso nehme ich an, dass es die Kurve von Hottenrott nicht ist. 1,3 h/km pro 10 min Laufbelastung langsamer bei gleichem Puls? Danach können wir kaum trainieren.
Überlege einmal: Wenn jemand nach 10 min Laufen bei 10 h/km (6 min/km) landet, dann ist er laut den Untersuchungen von Hottenrott nach 20 min bei 8,7, nach 30 min bei 7,4, bei 40 min bei 6,1 und bei 50 min bei 4,8 h/km. Das heißt nichts anderes: Dieser Mensch geht. In der Praxis will doch aber jemand der laufen will nicht gehen. Er wird weiter aufdrehen, um laufen zu können.
Dass heißt doch nichts anderes als, dass die Probanden bei der Studie von Hottenrott Anfänger waren. Darum bin ich auch ganz vorsichtig und möchte seine Resultate nicht auf uns, die leistungsorientierten Läufer und Läuferinnen übertragen.
Darum habe Acht: Probiere erst einmal meine Belastungsreihe aus. Und berichte mir doch bitte, wie du damit zurecht gekommen bist. greif@greif.de. Besonders interessant sind Erfahrungen von jemand, der einen "Läufertacho" mit Pulser besitzt und ständig Tempo und Herzfrequenz vergleichen kann.