Jetzt in dieser Zeit der hohen Temperaturen mehren sich Mails an mich, in dem beklagt wird, dass die Puls-Vorgaben in unseren Trainingsplänen nicht mit den Zeitvorgaben übereinpassen. Ich weiß nicht, wie oft ich schon darüber geschrieben habe, dass dies aufgrund der Hitzebeeinflussung auch gar nicht möglich ist.
Und ich gestehe, dass ich nichts mehr hasse, als immer und immer wieder die gleichen Fragen beantworten und hier an dieser Stelle ständig das Gleiche schreiben zu müssen. Da frage ich mich, wieso ist das so. Diese Leute, die mich fragen, sind doch nicht auf den Kopf gefallen.
Ein Grund ist sicher, dass von den Herstellern und auch von den Verkäufern nicht klar und deutlich auf die Schwächen der Herzfrequenzmessung zur Trainingssteuerung hingewiesen wird. Das könnte ja den Verkaufserfolg schmälern.
So schleicht sich eine Pulsgläubigkeit ein, die in Bezug auf die eigene Leistungsfähigkeit von oben nach unten immer mehr zunimmt. Meist sind die leistungsstärkeren Läufer(innen) schon länger im "Geschäft" und damit auch besser informiert. In den unteren Tempo-Etagen unserer Gemeinschaft wird mehr der Werbung geglaubt als den Kritikern. Oder die Kritik ist gar nicht bekannt.
Aber was antworte ich den Clubmitgliedern denn nun, die sich beklagen, das Herzfrequenz und Zeitangabe im Trainingsplan nicht zusammen passen? Meist mache ich den Mitgliedern dann klar, dass im Augenblick bei den hohen Temperaturen die Thermoregulation ein großen Teil der Herz-Kreislauf-Leistung schluckt.
Der Kreislauf muss nämlich dafür sorgen, dass der Körper auf seiner Standardtemperatur von 37 Grad gehalten werden muss. Dazu muss er schwitzen, in dem er Wasser an der Hautoberfläche ausscheidet. Und das gibt es nicht umsonst. Das ist Arbeit und die verlangt Leistung.
Leider kann man sich diese Leistung nicht als Training aufschreiben, denn Training in unserem Sinne ist nur das, an dem auch Muskelarbeit beteiligt ist. Darum solltest du dir gut merken: Ich trainiere meinen Muskel und nicht meinen Kreislauf. Dieser folgt dem Muskel und nicht umgekehrt.
Das heißt mit anderen Worten: Wenn du deine Beine anstrengst, dann wird dir dein Herz auch die nötige Leistung liefern. Es nützt dir nichts, wenn du ein besonders leistungsfähiges Herz-Kreislaufsystem hast, aber deine Muskeln schlapp sind. Gerade diese "Denke" geht in ungezählte Köpfe nicht rein. "Aber ich trainiere doch mein Herz, davon werde ich stärker!" Leider Nein!
An dieser Stelle muss ich immer das Beispiel vom schlauen Otto bringen:
Vorsicht Satire: Er als älterer Läufer hatte den Stein der Weisen gefunden. Ihm taten schon die Knie weg, wenn er länger und schnell lief.
Nach genauem Literaturstudium in der "Apotheken-Schundschau" und in "Fit for Fat" kam ihm die geniale Idee: In der Sauna steigt die Herzfrequenz doch durch die Wärmebelastung erheblich an. Und bei "Fit for Fat" fand er, dass eine Trainings-Herzfrequenz zwischen 110 - 120 Schlägen in der Minute ideal ist. Und da stand auch noch, dass ältere Läufer auch noch mit niedrigerem Puls ihre Leistung verbessern können.
Otto rechnete und sein Entschluss stand fest: "Zwei von drei Trainingseinheiten mache ich jetzt in der Sauna!" Otto drehte den hauseigenen Schwitzkasten so richtig auf, nahm sein bestes Handtuch, den Pulser und setzte sich erwartungsfroh auf die Saunabank. Und das Wunder geschah vor seinen Augen. Die Herzfrequenz stieg bis auf 117. Otto jubelte.
Da unser Otto bekanntermaßen nicht auf den Kopf gefallen ist, überlegte er, dass man, um so richtig nach vorn zu kommen, auch Tempoläufe machen sollte. Doch die waren wegen seiner Knie schon lange nicht mehr in seinem Programm. Und dann hatte er die göttliche Eingebung: Der Aufguss, der muss es bringen, denn der müsste den Puls noch weiter nach oben treiben.
Otto lief trotz der Hitze eine Gänsehaut den Rücken runter. Eureka! Schon flossen gleich mehrere Liter Wasser über die Glut des Saunaofens. Er keuchte, es brannte auf seiner Haut, aber Otto gab alles. Der Puls ging noch einmal um 12 Schläge nach oben. Jubel in seiner Seele und Vorfreude auf kommende Altersklassensiege blitzten durch sein Gehirn.
Bald fiel aber die Herzfrequenz wieder, der Aufguss war verraucht. Otto grübelte, ja eine Wiederholung, Intervalltraining!! Mit Begeisterung goss er noch einmal auf und jubelte als sein Pulser abermals reagierte. Und Otto konnte immer noch! Ihm war zwar heiß wie einem Krebs im Kochtopf, aber er wollte es jetzt richtig wissen.
Der nächste Aufguss zur letzten Wiederholung wurde mit einem Glas Slibowitz und 50 Tropfen Minzöl gedopt. Diese Mischung ballerte er dann mit Glückserwartung über die Glut und floh dann von beißenden Dämpfen getrieben augenblicklich aus seiner Sauna. Vor der Tür stand er da und keuchte: "Das Tempo der letzten Wiederholung war eindeutig zu hoch."
Stolz trat Otto am nächsten Mittwoch bei seinem Lauftreff an und reihte sich wie gewohnt in Gruppe 6 ein, im Jargon "Gicht, Rheuma, Prostata" genannt. Ganz beiläufig berichtete er, dass er nun nicht mehr lange in dieser Gruppe bleiben könne, weil er ein Geheimtraining erfunden habe, welches ihn bald dazu befähigen würde, mindestens in Gruppe vier mitlaufen zu können.
Am diesem Tag lief Otto in seinem Rahmen, musste aber dennoch abreißen lassen, denn seine Kumpel erhöhten das Tempo merklich, weil er mit der bezeichnenden Handbewegung und kräftigen Worten andeutete, dass er schon in 2 - 3 Wochen die ganze Gruppe "zersägen" werde.
Aber auch in der vierten Woche hagelte der Hohn des Lauftreffs weiter auf ihn ein. "Na Otto, dein Geheimtraining ist wohl doch nicht das, was du dir davon versprochen hast?" Oder: "Otto, was ist denn los, wann fängst du denn nun mit dem Zersägen an?" Otto schmerzte dieser Hohn und er überlegte. Habe ich einen Fehler gemacht? Und er schaute noch einmal in der Pulser-Gebrauchsanweisung nach und auch daraus konnte er wiederum herauslesen, dass er alles richtig gemacht hat.
Nach weiteren Überlegungen wurde ihm dann endlich klar, woran es gelegen hatte. Der Slibowitz im letzten Aufguss war schon drei Jahre alt aus dem Kroatienurlaub 2007. Na klar, das war es, der Tempolauf war zu schlaff! Nun versucht es Otto weiter in der Sauna, verlegt diese aber gedanklich in den Wald, in dem er den Aufguss mit Fichtennadelöl aromatisiert. "Mir ist das Training im Wald schon immer besser bekommen als auf der Bahn." Und wenn Otto nicht gestorben ist, dann trainiert er voller Hoffnung weiter in der Sauna. Entschuldige bitte, dass ich etwas in die Satire abgeglitten bin. Aber dir wird dabei sicher klar geworden sein, dass du dein Herz so lange belasten kannst wie du willst, wenn du dabei keine Muskeln bewegst, wirst du keine Sekunde schneller werden.
Und so wirst du auch sicher verstanden haben, warum die Herzfrequenz steigernde Wirkung bei den jetzigen hochsommerlichen Temperaturen keine positiven Auswirkungen auf deine Leistung hat. Und auch keine negativen, wenn du die Angaben im Plan unterschreitest.
Negativ kann es nur werden, wenn du auf Dauer so schnell läufst, dass dein Körper die produzierte Wärme nicht mehr abführen kann und deine Körpertemperatur sich so langsam der 40-Gradmarke nähert. Dann musst du runter vom Gas und dich abkühlen, sonst wird es kritisch. Ein Hitzschlag droht.
Das heißt, immer mit Verstand laufen. Raus aus der Sonne, im Schatten ist es oft 10 Grad kühler. Auch einmal morgens vor dem Dienst laufen. Ist herrlich im Sommer.
Kommen wir zum Punkt zwei der Schwäche der Trainingssteuerung über die Herzfrequenz. Das ist die Forderung unabdinglich zu wissen, wie hoch der eigene maximal möglich Puls ist. In der Praxis Höchstpuls genannt. Dies ist der Punkt, an dem dein Herz nicht mehr schneller schlagen kann, egal was du von ihm forderst.
Dazu gibt es Tests, die aber sehr unangenehm sind, weil man dort ohne Wettkampfmotivation seine maximale mögliche Laufleistung erbringen muss. Und damit fängt schon der ganze Quatsch an. Nicht wenige lassen einen Leistungstest von einem Sportmediziner vornehmen. Oft auf dem Fahrradergometer und das ergibt für einen Läufer dreifach falsche Werte.
1. Kann ein Läufer beim Radfahren, aufgrund des geringeren Anteils von arbeitender Muskelmasse gegenüber dem Laufen, seine maximale Herzfrequenz gar nicht erreichen.
2. Ist es dem Läufer nicht möglich seine volle Leistung zu erzielen, weil in der Regel sein Bewegungsablauf auf dem Rad nicht gut genug koordiniert ist.
3. Wird er sich wegen mangelnder Motivation nicht in den Bereich seiner höchsten Herzleistung begeben können. Simpel ausgedrückt: Er bekommt einfach nicht das nötige Adrenalin dazu.
Dennoch versichern, meist fälschlicherweise, die Untersucher, dass die erreichte maximale Herzfrequenz im Test, auch der Höchstpuls des Untersuchten ist.
Das hat bisweilen überaus kuriose Auswirkungen. So sandte mir in der letzten Woche ein Läufer ein Trainingsprotokoll mit den dazugehörigen Pulswerten. Und tatsächlich stand dort bei einer Einheit 106% der maximalen Hf (Herzfrequenz).
Leider verstand dieser Mensch vor seinem Kontakt mit mir nicht, dass man eine maximale Herzfrequenz nicht überschreiten kann. Ende ist Ende, tot ist tot und ein bisschen schwanger gibt es auch nicht. Ich musste ihm dann erklären, dass diese 106% wahrscheinlich seine maximale Herzfrequenz sein würde.
Zu erwarten ist aber, dass diese noch etwas höher liegt, als der 106%-Wert. Weil er nach eigener Aussage noch etwas schneller hätte können. Das bedeutet aber im Umkehrschluss: Dieser Läufer hat in der gesamten Zeit, in dem er sich nach der vermeintlich korrekten maximal möglichen Herzfrequenz gerichtet hat, im falschen Belastungsbereich trainiert.
Vielleicht meinst du, dass dieser Fall ein Ausreißer ist. Mitnichten! Er ist fast die Regel. Der Höchstpuls wird in den meisten Fällen zu tief ermittelt und führt zu einer falschen Trainingssteuerung.
Vielleicht ist das einer der Gründe, warum fast ganz Langstrecken-Läuferdeutschland immer mehr in den kollektiven Leistungsschlaf versinkt. Wir sind noch nicht drin in diesem Schlaf, aber eine große Anzahl von uns dämmert mit Blick auf ihren Pulser schon dahin.
Wecken wir uns auf. Werfen einen Blick auf den Pulser und dann rennen wir los und lassen ihn messen, was er will.
Ich muss noch ganz kurz auf einen Punkt eingehen: Immer wieder schreiben mir Greif-Clubmitglieder Mails so und ähnlich wie diese: "Ich soll über die 35 km einen Pulswert von durchschnittlich 148 laufen."
Wenn ich diesen aber einhalte, dann werde ich so ab km 22 immer langsamer. Mein vorgegebenes Lauftempo beträgt 5:25 min/km. Wenn ich den Puls einhalte, bin ich am Ende bei 6:15 min/km. Ich könnte aber ohne große Anstrengung weiter 5:25 laufen. Was soll ich machen, mich nach dem Puls oder nach der Zeit richten?"
Meine Antwort in so einem Fall. "Grundsätzlich steigt die Herzfrequenz bei jedem langen Lauf an. Sie ist der Ausdruck deiner gesteigerten Stoffwechselaktivität, in dem dein Organismus mit all den Schlacken fertig werden muss, die du produzierst. Das hat aber nur wenig Auswirkungen auf deine arbeitende Muskulatur. Die könnte probemlos weiter im alten Tempo laufen. Was du ja auch spürst. Darum renne weiter, vergiss den Puls.
Wenn du dieser Tempobremse nachgibst und den Puls herunterschraubst, wird dein Training deutlich weniger effektiv. Schon gar nicht darfst du auf ihn am Ende eines Wettkampfs reagieren. "Huch, mein Puls ist zu hoch. Ich bin zwar noch fit, aber jetzt muss ich langsamer machen, auch wenn die Bestzeit dabei flöten geht." So ein Verhalten ist schlicht weg Blödsinn.
Renne was du kannst, dann passt es.