Dass unsere Elite-Langstreckenläufer international in der Bedeutungslosigkeit versunken sind, weiß jeder, der sich etwas mit dieser Materie auskennt. Genauso bekannt ist, dass es die Afrikaner sind, die die Szene beherrschen. Wie aber kommen wir wieder einmal bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften auf das Treppchen? Einige schlaue Köpfe haben dieses Problem mit ein bisschen Häme schon gelöst: "Wir schenken allen Afrikanern Pulser und in 5 Jahren sind die genau so schlecht wie wir".
In der Maiausgabe 2006 der Zeitschrift "Leistungssport" setzten sich die italienischen Autoren Prof. Torre at all unter dem Titel "Eine Lehre aus den afrikanischen Lauferfolgen" mit dem Dilemma der europäischen Langstreckenläufer auseinander. Noch 1984 kamen 54% der weltbesten Läufer aus Europa und nur 21% aus Afrika. In 2005 waren nur noch 19% der Europäer in der Weltbestenliste zu finden, im Vergleich dazu aber 69% aus Afrika.
In dem "Leistungssport-Artikel" wird versucht Licht in das Dunkel zu bringen. Vielleicht können wir ehrgeizigen Durchschnittsläufer(innen) auch einige Anregungen aus der Analyse der italienischen Wissenschaftler und Trainer ziehen. Die Faktoren, die wir nicht beeinflussen können, wie das Leben der afrikanischen Läufer in der Regel über 2000 m Höhe, das andere soziale Umfeld und unterschiedliche genetische Merkmale, können wir außer Acht lassen, da sie kaum von uns zu beeinflussen sind.
Die Autoren machen klar, dass es in Europa gemessen an der maximalen Sauerstoffaufnahme genug Talente gibt, um den Afrikanern Paroli zu bieten. Was aber macht den Unterschied aus? Die Trainingswissenschaftler legen dies mit 3 Punkten fest:
1. Die Praxis des vielen Laufens in der Jugend
2. Die unterschiedliche Mentalität beim Ertragen der trainingsbedingten Ermüdung
3. Die Unterschiede in der Trainingsmethodik
Wenn wir uns mit diesen Punkten auseinandersetzen, dann keimt schon beim ersten fast Hoffnungslosigkeit auf. Wenn die Afrikaner zur Schule hin und zurück laufen, manche äthiopische Kinder kommen so bis an 100 Wochenkilometer, fahren unsere Nachkömmlinge oft noch nicht einmal mehr mit dem Rad, sondern werden meist von den Müttern mit dem Auto zur Schule gebracht. Die Folge ist, die Kinder werden fett und haben danach noch weniger Lust auf Bewegung.
Uns und unseren Regierungen fehlt der Wille und Phantasie, etwas an diesem körperlichen und gesundheitlichen Werteverlust zu ändern. Warum rufen wir nicht einmal eine Aktion auf wie "Run to School" (bitte entschuldige die Anglizismen, Kindern werden wahrscheinlich eine Aktion "Zur Schule rennen" nicht akzeptieren). Wir könnten auch Joggen oder Traben nehmen, die Kinder würden schon so laufen, wie es ihrem Naturell entspricht.
Beim zweiten Punkt, dem Ertragen der trainingsbedingten Ermüdung wird es dann für uns besonders interessant, weil auch der Langsammacher Nr. 1, der Pulser mit in das Spiel kommt. Afrikanische Läufer halten im Training eine höhere Intensität aus. Sie können bei einem 10 km-Lauf 93 - 94% ihrer maximalen Sauerstoffkapazität nutzen, Weiße hingegen nur 87 - 88%. Das heißt mit anderen Worten auch: Die Schwarzen strengen sich mehr an. Sie trainieren intensiver! Weiße Südafrikaner übertrafen den 80%-Wert der maximalen Sauerstoffaufnahme mit 14% der Gesamtkilometer, die Schwarzen rannten aber 36% der Gesamtkilometer im Training schnell.
Dem Autor dieser Zeilen kommt bei diesen Realitäten die Galle hoch, erinnert er sich doch an die häufige Kritik aus den Reihen der Bedenkenträger und Möchtegerntrainer: "Greif Training ist zu hart und zu intensiv!" Gegen das, was die Afrikaner machen, sind doch meine Programme ein etwas flotteres Rehatraining.
Afrikaner bevorzugen unabhängig von der individuellen Klasse ein Gruppentraining. In einer Gruppe setzt sich jeder härter ein als im Sololauf. Das Gruppentraining führt um so mehr zum Erfolg, desto besser es den Gruppenleiter gelingt, die Mitglieder zu höherer Leistung anzuregen.
Auch da kann ich aus eigener Erfahrung berichten. Als ich 1981 aus Berlin wieder in meine Heimatstadt Seesen zurück kam, übernahm ich dort eine kleine Gruppe von Langstreckenläufern als Trainer, rannte aber jede Einheit mit. Wenn ich das Tempo erhöhte, gingen alle mit und wenn ich noch 5 km hinten dran hing, kamen die meisten auch mit.
Wir bekamen so eine einmalige Dynamik in das Training. Selbst im Winter liefen wir manchmal mit 35 Leuten in einer Gruppe los und kamen auch zusammen an. Da wurde gekämpft, dass die Fetzen nur so flogen. Die Folge war eine kaum jemals gesehene Leistungsdichte. Nur ein ganz geringer Anteil dieser Läufer kam im Marathon nicht unter 2:45. Niemand(!) lief über 3 h.
Ein anderes Beispiel von Gruppentraining ist ein Trainingslager. Du kannst dir kaum vorstellen, welche wundersame Leistungsfähigkeit Läufer(innen) in unseren Trainingsurlauben entwickeln. Da treffen dann plötzlich 30 - 100 mehr oder weniger unbekannte Läufer(innen) aufeinander. Und die rennen plötzlich alle Zeiten im Training, die sie überhaupt nicht fassen können. Wie oft ich diesen Satz schon gehört habe, kannst du dir gar nicht vorstellen: "Ich fasse es nicht, wie schnell ich hier laufen kann, zu Hause schaffe ich das nie!"
Teilnehmer, die alles andere als hochleistungsfähig sind, machen plötzlich Leistungssprünge, die unglaublich sind. Das liegt nicht allein darin begründet, dass mehr und intensiver trainiert wird, sondern sie sehen plötzlich, dass sich auch die "Guten" für ihre Leistung schinden müssen. Und dies tun diese meist in weitaus stärkerem Maße als die Langsameren. Auch in Deutschland gilt: Die überlegenen Läufer(innen) geben mehr Gas im Training und zeigen mehr Einsatz und Herz.
Das heißt für uns, dass wir uns auch einmal von Pulser und Trainingsmethodik verabschieden müssen und nur rennen sollten bis die Schürsenkel reißen. Nur so lernen wir die Ermüdungswiderstände zu überwinden, die unserer Strecke dienlich sind. Als Beispiel sei angeführt, die von mir propagierte 35 km mit Endbeschleunigung. Am Ende dieses langen Trainings wird alle Zurückhaltung über Bord geworfen und die Post geht ab, was die "Pferde" hergeben. Das heißt nichts anderes, als im Zustand der größten Ermüdung diese zu überwinden. (Greif'sche Endbeschleuniger sind die Afrikaner Mitteleuropas!)
Aus dem zitierten Artikel: "Die Kenianer verwenden häufig das Berganlaufen, mit Kriterien und Zielen, die ganz wenig mit physiologischen und biomechanischen zu tun haben, die für Trainer der weißen Läufer typisch sind. Das Hauptziel der afrikanischen Läufer besteht einfach darin, im Laufen eine maximale Schwierigkeit zu überwinden (manchmal sogar auf allen Vieren) und eíne größtmögliche Ermüdung zu ertragen.
Sicher ist jedenfalls, dass derjenige, der im Training gewohnheitsmäßig in ausgeprägtere Ermüdunsgrade gelangt, nicht nur fähig wird, höhere Leidensgrade mental besser zu vertragen, sondern vor allem auch im eigenen Organismus größere Adaptionen bewirkt als der, welcher nie über eine bestimmte Ermüdung hinaus gekommen ist."
Die Folge für uns kann nur sein: Wir müssen lernen fundamentale mentale Grenzen und Barrieren zu überwinden. Weg mit den Mauern, niederreißen, wir können alle mehr. Überwinde deine Ermüdung: Training wirkt dann am besten, wenn du am müdesten bist.
So liegen zum Beispiel auch bei einer Einheit von 4 x 2000 m 50% der Trainingswirksamkeit in der letzten Wiederholung. Vorher verrichtet der Organismus nur seine gewohnte Arbeit, er spürt nicht den Zwang zu Anpassung. Wenn du deinen Organismus aber nicht zur Anpassung zwingst, dann wird er auf ewig weiterschlafen.