Den Text fortsetzend, der an dieser Stelle in der letzten Woche über den Artikel der italienischen Autoren Prof. Torre at all unter dem Titel "Eine Lehre aus den afrikanischen Lauferfolgen", Maiausgabe 2006 der Zeitschrift "Leistungssport" erschien, möchte ich anknüpfen, mit der Mentalität vieler deutscher Läufer(innen), die sich wohl in einem Zitat eines früheren Eliteläufers, der jetzt als Trainer von Jugendlichen arbeitet, am besten widerspiegelt:
"Als ich noch ein Kind war und unser Übungsleiter uns damals die Zeiten für Wiederholungsläufe gegeben hat, dann war es unser aller Ziel, diese Zeiten möglichst weit zu unterschreiten. Wir wollten nur eines: Schneller sein als die Vorgaben. Wenn ich heute meinen Jugendlichen Laufzeiten anweise, dann halten sie diese so genau wie möglich ein. Ich kann es nicht fassen, was hat sich da gewandelt und warum?"
Die Mentalitätskrise beschreibt auch ein Gespräch, eigentlich eine Flachserei, zwischen einigen zuschauenden jungen norddeutschen Spitzenläufern und mir, direkt an der Strecke des Hamburg-Marathons in 2005: "Na, ihr Säcke, was steht ihr hier herum, ihr sollt mitlaufen und nicht zuschauen. Sonst werdet ihr hier nie gewinnen!" (lachen). Einer antwortet: "Das mit dem Gewinnen wird sowieso nichts, dazu habe ich nicht die richtige Hautfarbe!"
Das beschreibt alles: Die mentale Krise, ist eine Krise der Mutlosigkeit und des sich selbst Aufgebens. "Was sollen wir überhaupt noch auf hohem Niveau trainieren, gegen die Schwarzen kommen wir so oder so nicht an." Dass es aber in früheren Jahren durchaus europäische und deutsche Läufer gab, die auf höchstem Niveau den Schwarzen Paroli bieten konnten wird vergessen. Es scheint sich in den letzten 20 Jahren etwas in den Köpfen gewandelt haben.
Ja, was hat sich da geändert? Ist es unsere Idee alles kontrollieren zu wollen? Spielt dabei der Pulser die stärkste negative Rolle? Hindert er den Nachwuchs, von Älteren beeinflusst, daran richtig frei und unbeschwert zu rennen, um die eigenen Grenzen kennen zu lernen? Ich bin mir ganz sicher, dass die Herzfrequenz-Messung der Leistungsminderer Nr. 1 ist. Der immer und immer wieder wiederholte Hinweis, durch die Herzfrequenz-Messung bestimmte Schwellen nicht zu überschreiten, killt die Lust auf Grenzerfahrung.
Die Haupt-Zielgruppe von Pulser-Herstellern ist natürlich nicht gleichzusetzen mit der Zielgruppe dieses Newsletters. Die zahlenmäßig größte Gruppe der Pulsmess-Geräte-Träger sind die gesundheitsorientierten Läufer(innen) und nicht wie bei uns, die ehrgeizigen und fortgeschrittenen Langstreckenläufer(innen). Das Problem dabei ist eigentlich der Wissenstransfer durch die Pulsorientierten.
Wenn 75% der Lauftreffmitglieder mit Pulser laufen, dann muss doch den Kindern klar werden, dass ein Herzfrequenzmessgerät ein unverzichtbares Beiwerk des sportlichen Laufens ist und dass das Tempo jedes Trainings genausten kontrolliert werden muss. Kannst du dir aber in irgendeiner Form vorstellen, dass afrikanische Eltern oder schon "fertige" Läufer(innen), Kinder auch nur einmal darauf hinweisen, ihr Training einer größtmöglich Kontrolle zu unterziehen und ja nicht zu schnell zu laufen? Niemals wird es so etwas geben, die rennen einfach und zwar so schnell und lange bis sie nicht mehr können.
In unserem Lande hingegen, muss ein Training intelligent, leicht, durchdacht, gesundheitsfördernd und eventuell auch noch "Own Zone" orientiert sein. Dabei vergessen alle, dass es hauptsächlich um eines geht: Um harte Arbeit bis zur Ermüdung!
Nun ist es aber bei uns beileibe nicht so, dass wir keine ehrgeizigen und fleißigen Läufer(innen) haben. Es gibt zahlreiche Sportler(innen) die klar zielgerichtet, geplant und mit hohem Einsatz trainieren. Schon die hohe und ständig steigende Anzahl der Marathonläufer(innen) zeigt, dass sehr viele Leute bereit sind umfangreich zu trainieren. Denn 42,2 km kann man nicht aus der "kalten Hose" laufen.
Aber der Schuss geht auch teilweise nach hinten los. Ein Punkt unseres Niedergangs ist auch in der teilweise völligen Marathonorientiertheit vieler Sportler zu suchen. Diese laufen einen Marathon im Jahr und sind die Helden im Büro oder "auf Arbeit". Ob jemand drei, vier oder zwei Stunden benötigt ist völlig egal. Hauptsache Marathon. Der fette Chef stellt dann diesen jungen "Athleten", als: "Das ist unser Marathonläufer" vor und der Betroffene ist geschmeichelt.
Das heißt mit anderen Worten, der Wert einer schnellen Zeit wird kaum noch anerkannt. Warum soll denn der "Athlet" sich dann noch weiter quälen, um schneller zu werden. Er ist doch schon ein "Elitesportler".
Was mich heute am meisten verwundert, dass ist die Abkehr vieler von Vorbildern. Selbst ich, der erst als Erwachsener in die Laufszene eintrat, brauchte meine Vorbilder. Mir haben die älteren und erfolgreicheren Langstreckler viel gegeben. Sie waren die anerkannten Führer.
Heute gibt es diese einheitliche Laufszene nicht mehr. Es haben sich viele Unterabteilungen abgetrennt, die ganz eigene Ideen vertreten und dabei teilweise sogar die Leistungsorientierten verunglimpfen. "Laufen ohne zu Schnaufen" ist Lebensziel geworden. Was man in Foren zu diesem Thema alles ließt, lässt manchem die Haare zu Berge stehen.
Wer langsam laufen will, soll das ohne schlechtes Gewissen tun. Nicht jeder kann und will seinen Laufsport in Richtung Leistung ausweiten. Was auch so völlig richtig ist, den meisten geht es doch nur um Gesundheit, Fitness und Schlankheit. Muss man denn aber die, die mehr tun und ehrgeiziger sind ausgrenzen? Der herablassend hingeworfene Satz - "Ich bin doch kein Profi!" - ist das Synonym für diese Denkweise.
Wir wollen aber nicht klagen, es kann nur noch besser werden. Die oben angeführten italienischen Wissenschaftler und Trainer weisen in ihrem Artikel auf den möglichen Weg hin: "Wer im Training höhere Ermüdungsgrade eingeht, wird in seinem Körper größere Adaptionen hervorrufen als der, welcher nie in diese Anstrengungsbereiche vorgedrungen ist."
Sie schreiben: "Für alle Mittel- und Langstreckenläufer (vielleicht mit Ausnahme der 800 m-Läufer)ist der über viele Minuten zu haltende hohe Prozentwert der maximalen Sauerstoffaufnahme zu ertragen, um dabei mehr von den Typ IIa-Fasern einzusetzen." Im praktischen Deutsch heißt das: Wir sollen möglichst lange, möglichst schnell laufen!
"Diese (weiße IIa-Schnellkraftfasern) müssen trainiert werden, dass sie den aeroben Mechanismus nutzen und bei gleicher Laufgeschwindigkeit weniger Laktat produzieren. Eine derartige Belastungsweise ist wahrscheinlich auch für Jugendliche sehr wichtig."
"Für den hochklassigen schnellen Mittelstreckler ist es andererseits bedeutungsvoll zu lernen, erhöhte Säurungswerte (d.h. niedrige pH-Wert) auszuhalten und negative Effekte schnell abzubauen. Das kann man nur erreichen, wenn der Organismus in Schwierigkeiten versetzt wird mittels Belastungen, die von erhöhten Ermüdungsgraden durch starke Laktatproduktion gekennzeichnet und von subjektiven Empfindungen begleitet sind, die sich von denen der vorausgegangenen Muskelarbeit etwas unterscheiden."
"Auch im Marathonlauf ist es wichtig, in den gezielten bzw. speziellen Trainingseinheiten die Intensität höher anzusetzen. Mit anderen Worten: Für einen Marathonläufer muss die "Quantität" (Umfänge) in hoher Intensität gelaufen werden."