Noch eines war höchst erstaunlich. Im Nationalpark Kilimandscharo ist Alkoholverkauf strikt verboten. Aber wo ein Verbot ist, gibt es auch eine Umgehung. So hatte einer der einheimischen Träger "Conjaki", den regionalen Schnaps im Gepäck.
Eingeschweißt in Folienkissen zu 100 g und einem Preis von 2 Dollar, kaufte einer aus unserer Gruppe dem Träger ein paar Kissen ab. Wir werteten damit unseren Tee etwas auf. Überraschend konnte ich persönlich nur einen Schluck davon trinken, ich ekelte mich geradezu vor dem Alkohol und das in so einer starken Verdünnung. Die anderen Gruppenmitglieder tranken etwas mehr, aber eine Wiederholung mit Conjaki gab es nicht.
Am Tag der nächtlichen Gipfelbesteigung sind wir dann gleich wieder herunter in unser Lager auf 4700 m. Dort gab es Essen. Niemand hatte aber so richtig Appetit, ich selbst aß gar nichts. Wir ruhten 2 h und dann ging es mit Schwung wieder nach unten.
In ca. einer Höhe von 3500 m überkam mich ein Hungergefühl, das war unglaublich. Ich verschlang innerhalb von Minuten fünf Greif-Riegel. Und im letzten Lager kamen wir dann - verbotenerweise - an ein paar Flaschen Bier. Jeder trank drei Halbe, die schmeckten göttlich und wir waren davon auch schon ziemlich schwindelig.
Höhenbergsteiger verlieren Substanz
Wenn man nun diese ganzen Erfahrungen zusammenfasst, dann scheint es so zu sein, dass unser Organismus bei steigender Höhenlage durch den Sauerstoffmangel immer mehr unter Stress gerät und dadurch darauf verzichtet Nahrung aufzunehmen, die er mit großem Aufwand erst verdauen muss.
Er greift so auf sein meist in reichlichen Mengen vorhandenes Körperfett zurück, welches er nicht erst verdauen muss. Dass er nicht die Kohlenhydratreserven wählt, liegt klar auf der Hand. Die dort gespeicherten Energiemengen sind lächerlich gering im Vergleich zu den Fettreserven.
Aber dabei bleibt es nicht. Wenn die Fettreserven auch zu Ende gehen, verdaut der Organismus auch seine Proteinreserven. Er zerlegt ganz einfach die Muskeln in stoffwechselgerechte Stücke und verheizt sie.
Dass dies in großen Höhen eigentlich Usus ist, erfuhr ich aus den Berichten von Christian S., einem langjährigen Clubmitglied. Er hat als erfahrener Höhenbergsteiger schon dreimal versucht einen 8000-er zu besteigen und scheiterte immer wieder am schlechten Wetter. Soweit ich weiß war es zweimal der Broad Peak und einmal der Gasherbrum.
Bei jedem Versuch musste er im Höhenlager auf ca. 6500 m jeweils 3 - 6 Wochen aushalten und war dennoch niemals in der Lage wegen der miesen Wetterbedingungen auch nur ein einziges Mal einen Angriff auf den Gipfel zu unternehmen.
Wenn er dann wieder hier in der Heimat war, er wohnt nur 20 km entfernt von Seesen, dann erschrak ich mich jedes Mal, wenn ich ihn sah. Er war so etwas von abgemagert, wie man es sich kaum vorstellen kann. Bein- und Armmuskeln waren um mindestens ein Drittel geschrumpft. Christian brauchte keinen Vergleich zu scheuen mit Bildern von Gefangenen, die wir nach dem 2. Weltkrieg zu sehen bekamen.
Laufen konnte er zwar, aber nur so langsam, dass es einem Leid tat. Er brauchte jeweils mehrere Monate um sich von den Strapazen zu erholen. Er kommentierte das mit den Worten: "Ich habe Luft im Überschuss, aber meine Beine kommen einfach nicht vorwärts." Dieser Satz von jemand, der an einem Muskelschwund leidet, sollte alle diejenigen von uns aufhorchen lassen, die meinen, dass ein Läufer(in) seine Muskeln nicht kräftigen muss.
Leider konnte ich Christian im Zuge des Schreibens dieses Textes nicht erreichen, um Genaueres zu erfahren. Es scheint so zu sein, dass er wieder am Fuße eines 8000-ers steht. Denn er hat geschworen, dass er mit dem Höhenbergsteigen erst aufhört, wenn er einen dieser dicken Brocken geschafft hat.
Was kannst du nun aus diesen Erfahrungen und wissenschaftlichen Untersuchungen mitnehmen?
1. Du kannst beim Bergwandern und -laufen schnell abnehmen.
2. Laufen solltest du in der ersten Woche deines Höhenaufenthalts nur im leichten bis mittelschweren Gelände und dies langsam.
3. Wenn du einen Wettkampf mit einer Zeitdauer von über 3 h in Höhen über 2000 m läufst, wirst du mit einem Substanzverlust rechnen müssen, der Monate andauern kann.
4. Willst du in ein richtiges erfolgversprechendes Höhentraining gehen, solltest du dir dafür mindestens 3 Wochen Zeit nehmen.