Dank vieler guter Ratschläge und Empfehlungen aus der Greif-Community (vielen Dank nochmals dafür!), habe ich mein fast zwei Jahre andauerndes Piriformis- und Sitzbein-Problem in den Griff bekommen. Die Sitzbeinreizung ist komplett abgeklungen und der Piriformis lässt sich mit täglichen Dehnungsübungen so weit beruhigen, dass ich täglich ohne Schmerzen trainieren kann. Tatsächlich, nach fast 2 Jahren bin ich wieder ins Training eingestiegen. Die ersten 9 Wochen sind absolviert und liefen komplett nach Plan. Auch die ersten beiden Testläufe über 10 km sind gelaufen.
In den letzten 2 Jahren wurden bekanntlich sämtliche Lauf-Weltrekorde über die langen Straßendistanzen ab 5 km nahezu pulverisiert. Der Hauptgrund dafür liegt vor allem in der neuen Technologie der Carbon-Wettkampfschuhe. Ich hatte an dieser Stelle am 11.05.2021 rein theoretisch darüber berichtet. Aufgrund meiner Verletzung waren die Schuhe komplett an mir vorbeigegangen. Daher war es jetzt für mich an der Zeit, sie selbst zu testen und mir ein Bild davon zu machen. Um es schon mal vorweg zu nehmen:
UN-FASS-BAR!!
Aber der Reihe nach. Das Training im Greif-Club startete am 29.11.2021. Zwischen Silvester und dem 05.01.2022 stand nach 5 Wochen der erste 10 km Testlauf auf dem Trainingsplan. Ich lief am 03.01.2022 eine Zeit von 40:55 min. Es blies an diesem Tag ein ordentlicher Wind mit ca. 24 km/h. Ich hatte mit meiner nicht vorhandenen Form keine große Lust gegen den Wind anzukämpfen und wählte deshalb eine Punkt-zu-Punkt-Strecke mit überwiegend Rückenwind, vor allem auf den letzten 6 km. Die folgende Faustformel ist ziemlich korrekt: Läufst du bei einem Wind der ca. deiner Laufgeschwindigkeit entspricht, gewinnst du mit Rückenwind ca. 4 sec und verlierst gegen den Wind ca. 8 sec pro km. Die Laufgeschwindigkeit lag also bei ca. 15 km/h, der Wind war etwas stärker. Daher kann kann ich davon ausgehen, dass mir der Rückenwind ca. 5 sec/km Zeitgewinn eingebracht hat. Entspricht also einer realen Zeit (bei Windstille) von ca. 41:45 min. Das war etwa das, was ich auch erwartet hatte und eine Zeit mit der der Stryd-Race-Calculator als schnellstes gerade noch einverstanden war. Der Stryd-Leistungsmesser zeigte bei diesem Testlauf eine Durchschnittsleistung von 280 Watt an.
280 Watt waren also die Leistung die ich auf die Straße gebracht hatte. Dabei lief ich, wohlwollend gerechnet, "real" ca. 4:10 min/km.
3 Wochen später, am letzten Montag, stand der 2. Testlauf auf dem Programm. Bereits 5 Tage vorher hatte ich die Carbon-Racer das erste mal bei einem TL-Programm von 2-4-1-3 km an den Füßen. Ich kam bei diesem Training nicht mehr aus dem Lachen heraus. Diese Schuhe sind unwirklich. Komplett andere Dynamik, Rückfederung und Abrollverhalten. Laufen wie auf einer Sprungfeder mit Trampolineffekt! Im Anschluss an das Training fragte mich jemand im Strava-Club, ob bei mir im Plan etwa nicht stand, dass ich nicht schneller laufen sollte als angegeben, auch wenn ich es locker kann. Das lag wohl daran, dass ich den 1000 m Abschnitt statt in 3:51 min in 3:32 min gelaufen war. Es ging mit den Schuhen nicht langsamer ;-) Eine Woche später lief ich in normalen Schuhen mit Hängen und Würgen wieder 3:53 min.
Nun aber zum zweiten Testlauf. Diesmal war es mit 3 km/h Wind quasi windstill. Also die Carbon-Racer an und diesmal 2 Runden zu je 5 km auf meiner Trainingsstrecke über das Feld. Ergebnis diesmal: 39:32 min. Huch, was war das? Der Stryd-Leistungsmesser zeigte 288 Watt Durchschnittsleistung bei einer Geschwindigkeit von 3:57 min/km an.
Dann wollen wir mal rechnen. Der Leistungszuwachs aus dem Training betrug 8 Watt (288-280 Watt). In dem Tempobereich entspricht bei mir 1 Watt ziemlich genau 1 sec/km. Das bedeutet, ich bin 8 sec/km oder insgesamt 80 sec bzw. 1:20 min schneller gelaufen als beim ersten Test. 1:20 min Verbesserung sind liegen genau in dem Bereich, in dem sich auch viele andere Club-Mitglieder bei diesem Test bewegten. War also durchaus zu erwarten. Also die reale Zeit von 41:45 min aus dem ersten Test minus 1:20 min = ca. 40:25 min bzw. 4:02 min/km. Das wäre anhand der Trainingsergebnisse gerade so möglich gewesen.
Ergibt sich zwischen 4:02 min/km und 3:57 min/km eine Differenz von 5 sec/km. Diese 5 sec/km sind das Ergebnis der Schuhe. Diese Carbon-Racer machen mich 5 sec/km schneller! Es sind tatsächlich dieses 5 sec/km die ich im ersten Newsletter theoretisch ermittelt hatte.
Da ich lediglich 1 Training und einen Testlauf in den Schuhen absolviert habe, fehlen mir naturgemäß Daten für belastbarere Aussagen. Andere Untersuchungen sprechen von bis zu 4% Energieeinsparung bei gleicher Geschwindigkeit beim Laufen in den Carbon-Schuhen. Oder andersherum, bei gleicher aufgebrachter Leistung läufst du einfach schneller. Aus meinen wenigen Daten, habe ich mal einigermaßen vergleichbare (Streckenlänge, Windbedingungen) gegenüber gestellt. Diese sind aus 2 Trainings im Zeitraum von einer Woche, um trainingsbedingte Leistungssteigerungen auszuschließen. In Tabelle 1 ist gut zu erkennen, dass bei gleicher angezeigter Leistung auf dem Stryd-Leistungsmesser, im Ergebnis eine schnellere Pace stand.
Power in W | Pace in min/km Normalschuhe |
Pace in min/km Carbon-Racer |
---|---|---|
308 | 3:38 | 3:32 |
291 | 3:58 | 3:51 |
246 | 4:48 | 4:40 |
Tabelle 1: Pace in Normal- und Carbon-Schuhen bei gleicher Leistung
Die 1000 m in Carbon-Racern liefen also in 3:32 min bei 308 Watt, eine Woche später in 3:53 min bei 296 Watt. 12 Watt Differenz. Mit meinen ca. 1 Watt pro 1 sec lassen sich die 21 sec wiederum nicht allein erklären.
Interessant für mich war auch, dass dies eben nicht (wie in mehreren Quellen beschrieben) nur für Geschwindigkeiten jenseits der 4:00 min/km galt. Die in der Tabelle angezeigten 4:40 min/km bei 246 Watt stammen aus dem lockeren Einlaufen zum zweiten Testlauf. Eine Woche später versuchte ich mich in normalen Laufschuhen auf gleicher Strecke, bei vergleichbaren Bedingungen in 4:40 min/km auszulaufen. Dabei hatte ich 255 Watt auf der Uhr. Der Unterschied ist schon signifikant. Im Ergebnis bleibt es eindeutig.
Bleibt die Frage was ich davon halte. Als Lauf-Purist bin ich da gespaltener Meinung. Schnelle Zeiten sind natürlich schön. Freut sich jeder darüber. Aber wenn ich mir z.B. den Sprung unter 40 min über 10 km „erkaufen“ kann? Oder wenn ich bei Meisterschaften gar keine andere Wahl habe als diese Schuhe zu tragen, weil alle Konkurrenten damit unterwegs sind? Aber die Regeln sind nun mal so wie sie sind. Wenn, dann hat der internationale Leichtathletikverband versagt, als er versäumte dieser Entwicklung einen Riegel vorzuschieben.
Noch ein Hinweis: die Belastung für Wade und Achillessehne ist in diesen Schuhen deutlich höher. Ich persönlich hatte 3 Tage lang nach dem ersten Training leichte Probleme mit dem Sprunggelenk und der Achillessehne. Sie sollten daher aus meiner Sicht reine "Wettkampf-Geräte" bleiben. Selbstredend mit dem notwendigen Herantasten vor Wettkämpfen.