Im Newsletter vom 02. und 09.08.05 berichtete ich bereits darüber, welche Macht die Hormone über unsere Leistungsbereitschaft haben.
Die angenehmste Art der psychischen Leistungsstimulation ist der Sieges-Tagtraum. Wenn es dir mal wieder so richtig schlecht geht im Training, wenn du schon am kleinsten Berg die Schwäche spürst und Holger Meier wieder weit vorne läuft, dann versenke dich einfach in deine Träume und unendliche Kräfte werden dir zuwachsen.
Stelle dir einfach vor, dass Holger dich wieder einmal gedemütigt hat. Da brauchst du nicht lange nachdenken, denn das macht er ja ständig. Damals als er dich auf der Bahn überrundet hat und so blöde grinste und der Tag, als dir beim Berglauf das Laktat an der Unterlippe stand und Holger an dir vorbeilief und sang: Das Wandern ist des Müllers Lust, das wandern, das wandern...! Und weißt du noch, als du ihm stolz Deine neue 10 km-Bestzeit mitgeteilt hast und er mit herablassender Handbewegung meinte: "So'ne Zeit läuft doch jeder Jogger!"
Bei dem Gedanken an diese Herabsetzungen wird dir sicher schon ganz heiß und du wirst schon schneller und lockerer. Jetzt schaltest du Traumstufe zwei ein: "Du näherst dich dem Ziel, noch zwei Hügel dann hast du es geschafft, wer ist der Läufer dort vor Dir? Holger! Der schwächelt anscheinend heute. Nie konntest du ihn schlagen, jetzt versuchst du es, du fliegst heran, bist in seinem Rücken. Er blufft doch, denkst du, nur um mich bei meinem ersten Überholversuch auszukontern, dann aber stöhnt Holger und du greifst ihn an, kommst knapp vorbei, nun kommt sein Konter, er ist schon wieder neben dir und du gibst noch einmal Gas. Holger stöhnt, oochch, und du bist weg. Weg, weg, weg, den nächsten Berg fliegst du hoch, rast dem Ziel im Rausch entgegen, du hörst den Lautsprecher glasklar, mehr als 200 m hinter dir Holger, Beifall, deine Familie und deine Kumpels haben die Arme oben und skandieren deinen Namen. Eine Gänsehaut läuft dir über den Rücken, als du als Sieger mit neuer persönlicher Bestzeit ausgerufen wirst. Und tiefe Befriedigung erfasst dich, als der Sprecher nochmals die Stimme hebt und deinen Traum ausspricht: "Oh, das ist eine Überraschung, der 6-malige Gewinner des Volkslaufs "Rund um die Heimatstadt" Holger Meier, nur auf Platz 2 hinter dem neuen Sieger, dein Name!"
Nach dem du diesen Traum genossen hast, ist dein Schritt leicht und federnd, du fühlst dich unschlagbar, deine Stimmung ist erhellt und die Zukunft liegt in rosigen Farben vor dir: "Jetzt kommt Bekele dran!" - Ja, und es sind wieder nur die Hormone, die dir die Kraft geben und die positiven Gefühle vermitteln.
Eine andere Möglichkeit der Leistungsanregung führt über die Aggression. Wir hatten in den 90er Jahren hier in Seesen mit Werner X, einen Läufer, der bei jedem langen Tempolauf die Aggressionen nutzte, um seine läuferischen Fähigkeiten nach oben zu treiben. Wir liefen damals zur Winterszeit in jeder Woche montagabends um 18 Uhr in der Dunkelheit einen 15 km Tempo-Dauerlauf. So ein Training ist wirklich nicht jedermanns Sache und man muss schon sehr mit sich ringen, das geforderte Tempo zu bringen, da kommt schnell Lustlosigkeit auf. Wir liefen aber in einer Gruppe und da war die Konkurrenz der große Motivator, so dass Kälte, Dunkelheit und eiskalter Wind nicht so bemerkt wurden.
Leider aber konnte Werner von dieser Gruppe kaum profitieren, denn er war der Langsamste und kurz nach dem Start war er allein auf der Strasse. Aber überraschenderweise kam Werner immer mit guten Zeiten in das Ziel. Nur eines war verwunderlich, seine Augen glühten und er hatte nicht nur sinnbildlich Schaum vor dem Mund. Werner schimpfte ohne Ausnahme im Ziel auf irgendwelche Umstände, einmal waren es die Hunde, dann Leute, die nicht zur Seit gegangen waren, Autos, die ihn geschnitten hatten und andere, das war sein Lieblingsthema, die ihn blendeten.
Werner nutzte völlig unbewusst seine Aggression wegen des vermeintlichen Unrechts, um seine Leistungshormone zu stimulieren, denn Aggression lässt die Stresshormone auch nur so in das Blut schwallen. Das gleiche passiert auch bei Angst, auf dieses Thema möchte ich aber nicht eingehen, es ist nicht angebracht sich selbst Angst zu machen, um schneller laufen zu können. Angst bremst auch die Lockerheit, führt zu Verkrampfungen.
Mir selbst ist es einmal durch eine plötzlich aufkommende Aggression gelungen, ein schon völlig verkorkstes Rennen noch mit einem befriedigenden Resultat zu beenden. Das war während meiner Studienzeit in Berlin Anfang der 70er-Jahre. Dort gab es einen regelmäßigen 30 km-Länderkampf zwischen Frankreich, der Schweiz und Deutschland. In dem beschriebenen Jahr fand dieser auf einem Kurs im Verlauf des Kronprinzessinenweges am Grunewald statt.
Wir, das waren die zweit- und drittklassigen Läufer, durften auch an diesem Rennen teilnehmen, um das Feld etwas aufzufüllen. So startete ich innerhalb unserer Mannschaft vom SSC Charlottenburg dort auch. Aber irgendwie war es nicht mein Tag, nichts rollte und das angestrebte Tempo konnte ich auch nicht laufen. Schnell sank meine Lauflust in das Uferlose und ich beschloss auf einen flotten Trainingslauf umzuschalten. So trabte ich dahin, bis dann ein Läufer versuchte, mich direkt innerhalb der Wende zu überholen. Da ich schon deutlich langsamer war als er, versuchte er mich von der Innenbahn zu verdrängen. Obwohl nur noch mit einer verminderten Leistungsbereitschaft ausgestattet, wollte ich das nicht, die Innenbahn war meine. Dies sah aber mein Gegner ganz anders und es kam zu einem Kampf der Ellenbogen, begleitet von diversen nicht gerade schmeichelhaften und auch nicht zitierfähigen verbalen Attacken.
Da hatte aber meine Konkurrenz einen Fehler gemacht, mir schossen die Hormone in den Körper und das Blut in die Beine: "Dich mache ich jetzt fertig, nur über meine Leiche kommst du vorher in das Ziel," dachte ich. Unmittelbar ging ich nach vorne und legte los, die schweren Beine, die Lustlosigkeit waren verschwunden, mit Leichtigkeit trennte ich mich von meinem Gegner, interpretierte noch einige miese Charaktereigenschaften in ihn rein und strebte mit einem nie für möglich gehaltenen Tempo dem Ziel zu. Bis dort hatte ich diesem miesen Kurvenkämpfer noch zwei Minuten abgenommen und kam mit 1:48 h, in einer nach dem langsamen Anfangstempo noch befriedigenden Zeit in das Ziel.
Natürlich habe ich mich mit meinem damaligen Gegner sofort wieder vertragen, wir sind heute noch Freunde und freuen uns jedes Mal, wenn wir uns, meist zum Anlass des Berlin-Marathons, wieder sehen.
Eine Bitte noch: Nutze die Agression als Mittel zum Zweck nur in deiner Phantasie und nicht direkt gegen deine Mitläufer(innnen), die haben es außer Holger Meier meist nicht verdient.