Hast du auch schon mal über den einen oder anderen Neueinsteiger in deiner Gegend gewundert, der dich dann für dich überraschend in einem Wettkampf abgezogen hat. So wie der Läufer der mir folgende Email schrieb:
Ich (wir) beobachte immer wieder dieses Phänomen bei Wettkämpfen, dass irgend so ein Schlappschuhtreter mit Schlabberhose, schlechtem Laufstil und nur 2-5 Jahren Lauferfahrung (Späteinsteiger) dich in deiner Altersklasse abzieht. Doch zumeist ist nach 1-3 Jahren von diesem Läufer nichts mehr zu hören und zu sehen. Teilweise sind es Läufer, die nie wirklich intensiv Sport gemacht haben, teils geraucht haben, leicht ein paar Pfunde zu viel haben und nun sehr intensiv in das Laufgeschäft eingestiegen sind. Man selber trainiert sich die Beine krumm und muss besagten Personenkreis ziehen lassen. Und hier meine Frage dazu: Kann es sein, dass es eine maximale persönliche Leistungsspanne von etwa 5-15 Jahren gibt, in denen man (altersunabhängig) seine Bestleistungen erzielt und dann nicht mehr an das "Eingemachte" kommt. Ich meine hier nicht den altersmäßigen Laufhöhepunkt zwischen 20 und 35 Jahren, sondern einen begrenzten Zeitraum des Altersklassen unabhängigen Leistungshöhepunktes. Natürlich fällt es mir immer schwerer, mich nach 35 Laufjahren immer noch zu motivieren und im Wettkampf alles zu geben oder mir jede Woche auf der Bahn "die Kante zu geben". Ebenso 5 mal wöchentlich die Schuhe zu schnüren. Die Frage ist also: Gibt es eine Art "inneren Verschleiß", der einen gegenüber "Neueinsteigern" bei gleichem Training schlechter aussehen lässt?
Das es so einen persönlichen Zeitraum der max. Leistungsfähigkeit gibt, steht wohl außer Frage. Das kann man in sämtlichen Sportarten beobachten. Wie lang dieser Zeitraum ist, hängt sicher von etlichen Parametern ab. Vor allem aber von deinem Einstiegsalter, deiner Motivation, deinem Trainingsaufwand und der Kontinuität deines Trainings (hast du ggf. zwischenzeitlich z.B. mal ein Jahr pausiert?).
Unabhängig von Alter in dem du beginnst, hast du etliche Jahre bis du deine persönlichen Leistungshöhepunkt erreicht hast. Ich möchte mich da gar nicht festlegen, das können 5, 10 aber auch 15 Jahre sein. Nach dem Erreichen dieses Leistungshöhepunktes, kannst du dieses Leistungsvermögen noch ein paar Jahre halten. Damit dir dies gelingt, musst du mehr Aufwand betreiben und/oder immer wieder neue unbekannte Reize setzen. Auch im höheren Alter kannst du noch viel ändern um dich zu verbessern. Im Einzelnen wären das:
- Mehr Trainingstage pro Woche
- planmäßiger trainieren
- Umfang und/oder Intensität steigern
- neue Reize (z.B. jedes Jahr 1 oder 2 neue, deinem Körper unbekannte Einheiten)
- mehr Krafttraining
- mehr Gymnastik
- bessere Ernährung (auch NEMs, zum Beispiel für bessere Regeneration)
Es gibt eine Menge Möglichkeiten. Vor allem musst du dafür aber die Motivation dafür hoch halten. Das ist vermutlich am schwersten. Vor allem nach vielen Laufjahren. Durchaus verständlich das man es da ruhiger angehen läßt. Diesbezüglich hat es der „Neueinsteiger“ deutlich einfacher.
Wenn es dir, wie dem Läufer oben, nicht mehr gelingt dich zu motivieren 5 mal pro Woche die Schuhe zu schnüren oder dir jede Woche auf der Bahn die Kante zu geben, dann hast du gegen den Neueinsteiger schlechte Karten. Er ist nämlich hoch motiviert, da er sich noch auf dem aufsteigenden Ast befindet. Mit jedem Training geht es für ihn leistungsmäßig voran, er kennt seine persönliche Grenzen noch nicht. In jedem Wettkampf läuft er eine neue Bestzeit. Er ist voll im Flow und voll motiviert. Wir kennen natürlich auch sein Talent nicht. Wer weis was für ihn vor 20 oder 30 Jahren möglich gewesen wäre. Um dagegen zu halten (falls du das möchtest), müßtest du nicht 5 mal, sondern 6 oder 7 mal pro Woche trainieren und neue Trainingsformen ausprobieren. Das geht aber nur mit einer großen Portion Motivation. Da reicht es wohl nicht, sich vorzunehmen, in seinen 37. Marathon das Ziel zu erreichen. Dafür braucht es größere Ziele.
Ganz nebenbei: glaube dem Schlabberhosen-Typ nichts was er dir über sein Training erzählt. Er trainiert mehr und intensiver als er zugibt. Nirgends wird so gelogen, wie beim eigenen Training in unserer Szene. 8 von 10 Läufern werden dir am Start eines Wettkampfes etwas von Verletzungen, Krankheiten, keine Zeit und wenig Training vorjammern. Kaum einer gibt zu das er gut trainiert hat und in Form ist. Nach dem Startschuss siehst du aber nur noch ihre Fersen.
Zurück zur Motivation. Suche dir ein großes Ziel und glaube daran! Dann gehe es mit aller Kraft an. Natürlich kann jenseits von 45 Jahren und schon vielen Laufjahren in den Beinen, eine „stagnierende“ Leistung ein großes Ziel sein. Diese ist immer als ein großartiger Erfolg zu bewerten. Denn normal wäre der ständige Rückgang der Laufzeiten mit zunehmendem Alter (ca. 1% pro Jahr).
Es gibt für mich viele beeindruckende Beispiele von Läufern, die auch z.T. über 2 Jahrzehnte und mehr ihre Motivation hochhalten konnten und bis in die höheren Altersklassen absolute Top-Leistungen abrufen konnten. Sie dienten mir immer als Vorbilder und motivierten mich ungemein.
Ein hervorragendes Beispiel ist natürlich unser Chef Peter Greif, der bekanntlich 12 Jahre nach Beginn seiner Läuferkarriere im Alter von 41 Jahren seine Marathon-Bestzeit von 2:24:12 h lief.
Aus meiner läuferischen Anfangszeit um 1988 in Berlin fallen mir auch 2 Berliner Läufer ein, die mich sehr beeindruckt und geprägt haben. Das sind Ingo Sensburg (Jg. 49) und Klaus Goldammer (Jg. 52). Ich nenne hier mal die Namen, da es für beide einen Wikipedia-Eintrag gibt. Beides Läufer mit einer Marathon-Bestzeit von 2:16 h.
Ingo Sensburg ist mit 166 Berliner Meistertiteln der erfolgreichste Berliner Leichtathlet (u.a. 3 mal Berlin-Marathon Sieger). Seine besten Zeiten stammen aus dem Jahr 1976. Unter anderem eine 28:42 min über 10.000 m. Da war er aber schon mindestens 10 Jahre unterwegs. Ich kann mich als Zuschauer an eine Berliner Meisterschaft 1991 oder 92 erinnern (also ca. 15 Jahre später!!), bei der Ingo immer noch mit einer Zeit um die 30 min um den Sieg kämpfte. Wie immer mit der Stoppuhr in der Hand. Seine Motivation war dort und auch später noch ungebrochen.
Mit Klaus Goldammer habe ich selbst noch die eine oder andere Trainingsrunde gedreht. Seine Marathon-Bestzeit von 2:16 h als reiner Amateur (!!!) stammt aus dem Jahr 1986. Die Motivation diese Mannes habe ich immer bewundert. Bis ins höherer Alter ging es fast jedes Jahr ins Höhentrainingslager. So lief er dann 1995 mit 43 Jahren und 9 Jahre nach der Marathon-Bestzeit, seine Halbmarathon-Bestzeit mit 1:06 h. Den Knaller lieferte er aber 1999 mit 47 Jahren ab. Ich erinnere mich wie heute und war damals auch in der Halle dabei: Hallen-Weltrekord über 3000 m in der M45 mit 8:36,64 min!! Eine unfassbare Zeit.
Fazit: Ärgert dich dieser Schlappschuhtreter nach vielen Laufjahren so sehr, das du ihm am liebsten (wenn du ihn erreichen könntest) in die Hacken treten würdest, dann muss ein neues großes Ziel her. Probiere neue Wege im Training aus (s.o.) und gehe das Ziel mit aller Kraft und Motivation an. Du legst dich damit ja nicht für die nächsten 10 Jahre fest. Ein Ziel in einem überschaubaren Zeitraum von 6-10 Monaten ist ideal.
Gern kannst du mir auch von deiner Leistungsentwicklung und dem Leistungsrückgang incl. Alter und Beginn deiner Läuferkarriere per Email berichten.
In der nächsten Woche verrate ich dir, wie es es gehandhabt habe und es gibt eine Ankündigung zu einem Selbstversuch.