Im letzten Newsletter hatte ich das Thema Eigenerfahrung bezogen auf Trainings- und Wettkampffehler schon einmal angeschnitten. Dieses Thema liegt mir sehr am Herzen, denn als Trainer leidet man schier grausam unter der Verweigerung der Atheten(innen) bereits gemachte Erfahrungen anzunehmen.
Ich bin teilweise schon so weit gekommen, die von mir Betreuten erst gar nicht auf ein Gefahrenpotential hinzuweisen, sondern sie einfach in das "Unglück" laufen zu lassen. Dann haben sie ihre Erfahrung gemacht und werden es - hoffentlich - beim nächsten Mal besser machen.
Aus meinem Erfahrungsschatz kann ich von einer langen Kette von persönlichen Fehlern berichten, die begangen wurden, obwohl ich vorher darauf hingewiesen hatte, dass Ungemach dräute, wenn der Betroffene in einem bestimmten Rahmen handeln würde.
Ganz aktuell ein Fall: Ein junger Athlet nimmt an unserem Trainingslager in der Türkei teil. In jedem dieser Urlaube halte ich gegen Ende einen Vortrag und weise jeden darauf hin, dass bis 10 Tage nach Ende einer solchen Maßnahme Wettkämpfe sinnlos sind.
Ich erkläre auch, warum das so ist. In einem Trainingslager wird nach einem anderen Rhythmus trainiert als sonst zu Hause. Der Organismus wird bewusst überlastet, weil es ihm nicht gelingen kann sich nach so vielen belastenden Einheiten zu regenerieren und zu dem noch an höhere Leistungen anzupassen. Erst wenn man wieder in der Heimat auf sein altes Trainingspensum zurück geht, gelingt es dem Körper diese Anpassungen nachzuholen.
Man nennt dies eine zeitversetzte Adaption. Das hat aber zur Folge, dass man in der Woche nach Ende des Trainingslagers in eine Leistungsdepression fällt. Aber es geht auch bald wieder aufwärts. Wenn der Trainingsurlaub 14 Tage dauerte, dann meldet sich so ungefähr am 10. Tag nach der Heimkehr ein gar gewaltiger Leistungsaufschwung an, der auch mehrere Wochen anhält.
Einschränkend muss ich dazu sagen, dass die beschriebene Leistungsdepression auch mehr als 14 Tage dauern kann. Und dies besonders bei Läufer(innen), die mit geringen Trainingsvorleistungen in das Lager kamen und dort ihre Umfänge verdoppelten oder gar verdreifachten.
Ein idealer Zeitpunkt um in einen Wettkampf zu gehen ist bei Sportlern, die mehr als 100 km/Woche trainieren, 14 Tage nach der Trainingsmaßnahme. Alle anderen sollten besser 3 Wochen warten, bevor der wichtige Wettkampf angegegangen wird.
Aber was macht nun unser junger Athlet? Kommt mittwochs nach Hause und geht sonnabends in den Wettkampf. Das Ende vom Lied, der junge Mann versagt seinen Ansprüchen nach. Und jammert warum er denn nun so "schlecht" gelaufen ist. Ich fragte ihn: "Ich habe dir doch aber gesagt, dass so ein dichter Abstand zwischen Trainingslager und Rennen kaum jemals zu Erfolg führt. Meinst du, dass gilt nicht für dich?" "Ja, du weißt ja wie das ist!"
Ja, wie ist es denn? Es ist so, dass die meisten Läufer(innen) fest an sich glauben. Und zwar bezieht sich der Glaube auf das Anders sein. Dies mündet in der Annahme, dass die Warnung des Trainers für alle anderen gilt, aber nicht für mich. Denn ich bin anders! Diese Denkungsweise ist meist um so ausgeprägter, desto leistungsfähiger dieser Mensch ist.
Schon aus dieser erhöhten Fähigkeit zieht der Läufer(in) die Sicherheit in jeder Form anders zu sein. Sieht man ja auch. Denn er betont seine Individualität im Auftreten und grenzt sich oft ab. "Ich habe einen anderen Lebenspartner, bin besser in Schule oder Beruf, sehe anders aus, habe mehr Muskeln. Damit muss doch jedem Menschen klar sein, dass ich nicht zu den Normalen gehöre."
"Und dann soll das, was der Trainer sagt, auch für mich gelten? Es könnte sein, aber wahrscheinlich ist das nicht. Ich probiere es einfach mal aus, es so zu machen wie ICH es denke." Und dieses Ausprobieren ist es, die nicht nur junge Leute immer wieder auf die Schnute fallen lässt. Manche lernen daraus, andere nie. Der berühmte Trainer Bert Sumser, hat einmal gesagt: "Dumme Athleten machen immer die selben Fehler, die intelligenten machen immer wieder neue."
An einen meiner früheren Läufer, der ganz sicher nicht dumm war, erinnere ich mich wegen seiner Bockbeinigkeit. Dieser Junge hatte die Angewohnheit mehr zu trainieren als der Durchschnitt, was eigentlich zu begrüßen ist. Er lief dazu aber auch eine ganz ungewöhnlich hohe Anzahl von Wettkämpfen. Ich konnte reden so oft ich wollte, dass ihn sein Treiben überlasten und er irgendwann daran zerbreche würde. Seine Antwort war unisono: "Das mag für die anderen gelten, aber nicht für mich. Ich bin nicht so empfindlich." Das Ende vom Lied war, dass der junge Mann die Segel strich und aufhörte überhaupt zu laufen.
Nach einem guten Jahrzehnt begann er sich wieder an alte Qualitäten zu erinnern und fing abermals an zu trainieren. Er hatte auch schnell wieder Erfolg und lief jetzt auch Marathons. Sein großes Ziel war es einmal unter 2:30 h zu laufen.
Er erreichte ganz schnell ein Niveau, welches ihn hätte erlauben sollen, locker eine 2:25 h laufen zu können. Aber der junge Mann wollte außer seiner Marathonzeit auch noch an jedem Wochenende ein, manchmal zwei Rennen laufen. Er mutierte in seiner Region zum "Volkslaufkönig".
Auch jetzt wieder mein Rat: "Wenn du nicht aufhörst, diese hohe Anzahl von Wettkämpfen zu absolvieren, dann kommst du niemals unter 2:30 h. Du verbrennst deine Kraft auf den falschen Schauplätzen" Seine Antwort: "Macht mir nichts aus, auch wenn ich zwei Wettkämpfe in der Woche laufe." So blieb auch seine Reaktion auf meinen Rat gleich null. Der Volkslaufkönig lebte weiter und belebte somit den Marathonversager. Jeder Versuch endete mit einem Endeinbruch und er sammelte Zeiten zwischen 2:31 und 2:33 h. Kam aber niemals unter seine Traumgrenze.
Nach dem er es mehrere Jahre lang versucht hatte, strich er enttäuscht die Segel und gab wiederum das Laufen gänzlich auf. Er fiel danach in ein tiefes persönliches Loch, aus dem er sich jetzt wohl wieder befreit hat. Wenn er nur einmal die Bereitschaft gehabt hätte, einen Rat anzunehmen, dann wäre sein Leben sicher anders verlaufen.
Es heißt nicht umsonst: "Guter Rat ist teuer!" Teuer meistens für den, der den guten Rat nicht annehmen will.