Eine Nachricht, die anscheinend so gar nichts mit unserem Sport zu tun hat, brachte mich in das Grübeln: "Lebensdauer: Warum weniger essen jung hält" (netdoktor.de vom Freitag, 21. September 2007). Die Autoren beschrieben, dass es schon länger bekannt ist, dass Menschen, die sich unterkalorisch ernähren (verminderte Kalorienaufnahme) länger leben.
Jetzt lieferten nun amerikanische Forscher eine Erklärung für diese seit Jahrzehnten beobachtete Tatsache. Das Team um David Sinclair von der Harvard Medical School hat in Säugetierzellen zwei Gene entdeckt, die in einer Stresssituation wie Kalorienreduktion die Lebensdauer der Zellen steigern können. Über ihre Forschungsergebnisse berichten die Wissenschaftler im Fachmagazin "Cell" (Ausgabe vom 21. September 2007).
Die neu entdeckten Gene greifen an einem Punkt in der Zelle an, der schon lange im Verdacht steht, für die Gesundheit und Lebensdauer der Zelle wichtig zu sein: den Mitochondrien. Als zelluläre Kraftwerke produzieren sie die für alle ablaufenden Prozesse notwendige Energie. Wenn ihre Leistung nachlässt, sind die Tage der Zelle gezählt.
Sinclair und seine Mitarbeiter fanden nun heraus, dass die Gene SIRT3 und 4 die Mitochondrien in Schuss halten können - gerade in kritischen Situationen wie etwa einer verminderten Kalorienzufuhr. Diese löst im Körper Signale aus, die in den Zellen das so genannte NAMPT-Gen aktivieren. In der Folge steigt in den Mitochondrien die Konzentration an NAD. Dieses kleine Molekül kurbelt seinerseits die Aktivität von Enzymen an, die von den Genen SIRT3 und 4 produziert werden - mit dem Resultat, dass die Mitochondrien kräftiger werden und vermehrt Energie liefern.
Dadurch verlangsamt sich der Alterungsprozess der gesamten Zelle. Noch sei unklar, welchen Mechanismus genau die erhöhten Spiegel an NAD sowie SIRT3 und 4 in der Zelle in Gang setzen, "doch wir sehen, dass sie das normale Selbstmordprogramm der Zelle abschwächen", sagen die Forscher.
Was hat nun das Kräftigerwerden der Mitochondrien mit unserem Sport zu tun? Eine ganze Menge! Die Fitheit der Mitochondrien, die auch als die Kraftwerke der Zelle bezeichnet werden, spielt eine entscheidende Rolle für die Lieferung von Energie unter Höchstbelastung, wie sie bei uns im Training und Wettkampf vorherrscht. Mitochondrien reagieren auf Training mit einer Vergrößerung. Besonders bei neuen starken Reizen erweitern sie sich, werden in Ruhe aber auch wieder kleiner.
Man nimmt an, dass der schnelle Leistungsrückgang in Ruhephasen zum großen Teil durch das "Abschlaffen" der Mitochondrien verursacht wird. Schon drei Tage ohne Training reichen aus, um einen messbaren Leistungsrückgang feststellen zu können.
Immer wieder erlebe ich in unseren Trainingsurlauben Erstaunliches. Da kommen Leute, die normalerweise 4-mal in der Woche trainieren und plötzlich laufen sie 13-mal in 7 Tagen. Nicht das sie das sollen, sie machen es einfach und kommen damit zu ihrem eigenen größten Erstaunen zurecht. Und rennen zudem plötzlich innerhalb dieses Trainings neue Bestzeiten, wie zum Beispiel über 10 km. Eine Einheit, die wir in jedem Trainingsurlaub anbieten.
Statt völlig erschöpft zu sein, laufen diese Läufer(innen) zur Hochform auf und rennen ohne jede Vorbereitung unter härtester Trainingsbelastung schneller als jemals zuvor im Wettkampf. Unmöglich? Nein, das kommt nicht selten vor. Und zwar fast ausschließlich bei Sportlern(innen), die nicht so gut trainiert sind. Bei den anwesenden Spitzenläufern(innen) ist das ganz selten der Fall.
Das Erklärungsmuster sieht folgendermaßen aus: Die relativ gering trainierten Teilnehmer reagieren auf die ungewohnten Trainingsreize mit einer deutlichen Vergrößerung der Mitochondrien. Das hat zur Folge, dass diese nun in der Lage sind vermehrt Energie zu liefern. Die dichte Folge der Trainingsreize verhindert, dass sich die Mitochondrien wieder zurückbilden. Sie bleiben insgesamt auf einem vorher nie gekannten Leistungsniveau.
Obwohl in einem solchen Trainingsurlaub tüchtig gegessen - und auch getrunken - wird, nehmen viele der Läufer(innen) ab. Manche gehen mit einer ziemlich spitzen Nase nach Hause. Sie haben sich somit auch unterkalorisch ernährt und werden auch von der oben beschriebenen Aktivierung des NAMPT-Gens profitiert haben.
Ich muss aber hier hinzufügen, dass diese läuferischen Höhenflüge auch ihre Folgen haben. In der zweiten Woche eines solchen Trainingsurlaubs gehen die schwächeren Läufer(innen) so langsam "in die Knie". Sie lassen dann die eine oder die andere Tempoeinheit aus, kommen aber dennoch in der Regel gut durch und laufen den abschließenden 35 km-Lauf ebenso in der Regel schneller als den ersten.
Nur wenn sie dann nach Hause kommen, wird es ganz schrecklich. Sie fallen in die von mir so getaufte "Nachtrainingslager-Depression". Das bedeutet: Sich 10 Tage lang furchtbar fühlen und dann auch noch den Spott und Hohn der Kameraden ertragen zu müssen, die es ja schon vorher wussten, dass das nicht gut gehen kann. Dazu kommen dann die Zweifel, ob man sich nicht übertrainiert hat.
Und danach platzt die Bombe! 10 - 14 Tage nach dem Ende des Trainingsurlaubs kommt es zu einem Leistungs-Höhenflug. Es werden danach oft Traumzeiten gelaufen. Als aktuelles Beispiel mag Heike Ziegler, Mühltal, gelten. Die bei unserem Herbst-Trainingsurlaub in diesem Jahr in Wolfshagen dabei war. Am 23.09.2007 lief sie in Bensheim bei einem bisherigen Hausrekord von 1:36:07 eine 1:31:31 über die 21,1 km.
Warum ich eigentlich auf die Auswirkung von unterkalorischer Ernährung gekommen bin, liegt an persönlichen Erfahrungen. Wenn ich mich in früheren Jahren auf einen wichtigen Wettkampf vorbereitete, dann erhöhte ich die Umfänge und aß etwas weniger als nötig. Dadurch ging es mir dann fürchterlich schlecht im Training. Ich bekam kaum einen Fuß vor den anderen und hatte immer Hunger.
Aber so nach 10 Tagen passierte etwas, was ich mir damals eigentlich nicht so recht erklären konnte. Ich konnte mit einer Intensität rennen, die mit der Leistung vor der Kalorieneinsparung nichts zu tun hatte. Ich war dann zwar schon 1 - 2 kg leichter, aber das konnte diesen Formsprung nicht allein auslösen. Da musste noch etwas anderes eine Rolle spielen.
Nun hat mir die oben beschriebene Aktivierung des NAMPT-Gens mit der nachfolgenden Vergrößerung der Mitochondrien eine Antwort darauf gegeben. Jetzt kann ich mir auch plötzliche Leistungssprünge von anderen Athleten(innen) erklären. Wir haben zum Beispiel bei uns im Verein eine Läuferin, die aus beruflichen Gründen sehr unregelmäßig trainieren kann.
Es konnte schon einmal vorkommen, dass sie einige Monate ganz aussetzen musste und dann natürlich zunahm. Wenn sie dann wieder anfing, achtete sie darauf weniger zu essen und quälte sich fürchterlich im Training. Man konnte manchmal gar nicht hinschauen. Aber dieses Elend dauerte nicht lange und wie vom Himmel gesandt, bekam sie regelmäßig einen Formstoß und rannte wieder wie ein Hase. Und das war nicht der Zeitpunkt, an dem sie schon ihr Wettkampfgewicht erreicht hat.
Ich konnte das einfach nicht fassen, aber weil ich es schon so oft erlebt hatte, führte ich es auf eine individuelle Stärke dieser Athletin zurück. Aber nun haben sich mit den biologischen Hintergründen die Nebel etwas gelichtet. Obwohl zugegebenerweise viel Spekulation hinter diesen Analysen steckt, kann ein Versuch mit einer kurzfristigen unterkalorischen Ernährung nichts schaden. Insgesamt hat man es in einer solchen Situation mit einem multifaktionellen Geschehen zu tun. Allein die vergrößerten Mitochondrien, werden es nicht sein, die diese Leistungssprünge auslösen.
Wenn man sich Spitzenläufer ansieht, dann machen praktisch alle einen unterernährten Eindruck. Es erscheint logisch, dass auch sie von der Aktivierung der Mitochondrien profitieren. Besonders Frauen mit ihrem natürlichen stärkeren Unterhautfett können dieses nur verlieren, wenn sie weniger essen als sie benötigen.
Im Nachsatz möchte ich hier betonen, dass sich alle, die mir wieder schreiben, dass ich der Magersucht Vorschub leiste, sich ihre Mails sparen können. Ich beschreibe hier nur die schon vorhandenen Fakten. Niemand muss gesundheitsschädlich hungern, um einiges an Kalorien zu sparen. Es reicht einfach aus, seine regulären Mahlzeiten zu beenden, bevor man vollständig satt ist. Und wie erforscht, lebt man auch noch länger.