Die ersten Wettkämpfe sind in diesem Frühjahr gelaufen und eine sehr große Anzahl an Greif-Club-Mitgliedern meldet uns neue persönliche Bestzeiten. Nach den großen Läufen in Berlin und Freiburg quillt unser Email-Eingang fast über von eingehenden Rekordendzeiten.
Die Mails oder Anrufe von verzweifelten Läufern kurz vorm Marathon reißen aber auch nicht ab. Viele haben bis dato gut trainiert und waren guter Dinge hinsichtlich Endzeiterwartung beim läuferischen Frühjahrshöhepunkt und nun kommt eine Krankheit, eine Verletzung oder ein sonstwie verursachter größerer Trainingsausfall dazwischen. Und das so kurz vorm Lauf.
Diese Panik vorm möglichen Verfehlen der selbstgesteckten Ziele ist völlig nachvollziehbar. Du hast wochenlang, vielleicht monatelang beinhart trainiert, von Traumzeiten geträumt, in Askese gelebt. Hast versucht, das Tempotraining zu lieben und bist die lange Runde im Schneeregen gern gelaufen. Das alles soll für die Katz sein, weil du unter den eingetretenen Umständen vielleicht nur eine für dich zweitklassige Zeit laufen kannst?
Vor wenigen Wochen veröffentlichten wir bereits einen Newsletter, der sich nach solchen Ausfällen mit dem Wiedereinstieg ins Training beschäftigt. Doch für solche Gedanken ist es nun zu spät. Wer jetzt keine Gelegenheit mehr hat, seiner Ziele entsprechend anspruchsvoll zu trainieren, wird zumindest bei einem Marathon jetzt im April seine rein körperlichen Fähigkeiten nicht mehr steigern können und muss zwangsläufig das Beste aus dem machen, was er sich vor dem Ausfall antrainiert hat. Und das kann ja unter Umständen ganz ausgezeichnet sein.
Wie gerufen kommt am 3. April diese Email von Club-Mitglied Christian Schwab, der sich im Februar eine schmerzhafte Knochenhautentzündung zuzog und 2 Wochen pausierte:
"Hallo Hansi,
auf auf die Gefahr hin, dass mein Plan angepasst werden muss: Am Wochenende konnte ich meine 10 km Bestzeit deutlich verbessern. Bei der Oberfänkischen in Burgebrach hetzte ich nach enttäuschenden 40:43 im letzten Jahr, diesmal auf 36:53 min. Dabei bin ich eigentlich noch gar nicht wieder richtig im Plan drin nach meiner kurzen Auszeit."
Christian beweist also, dass ein Ausfall nicht automatisch zu einem schlechten Ergebnis führen muss. Er hat seine Verletzung vollständig auskuriert, konnte anschließend nach und nach wieder halbwegs nach Plan trainieren und rennt nun einen persönlichen Rekord! Es geht also.
Eins sei jedoch deutlich gemacht: Wenn du akut mit einer Krankheit oder Verletzung zu tun hast, die durch die Teilnahme am Rennen droht schlimmer zu werden, gehörst du definitiv nicht an den Start. Was soll passieren? Dein Endergebnis wird eingeschränkt durch die Umstände und höchstwahrscheinlich nicht deinen eigentlichen Erwartungen entsprechen. Sollte deine Verletzung durch die Teilnahme schlimmer werden können, ist anschließend womöglich das ganze Jahr oder länger läuferisch "im Eimer". Durch einen sinnlosen Startversuch verzögerst du die Heilung erheblich und es ist möglich, dass du erst sehr viel später wieder bestzeitentauglich trainieren kannst. Was soll das Ganze also?
Damit du unter den Bedingungen eingeschränkten Trainings ein optimales Ergebnis erreichst, ist es dringend angeraten, sich rechtzeitig einige Wochen vor dem wichtigen Lauf mental mit dieser Situation zu beschäftigen. Wir gehen hier davon aus, dass du wieder gesund bist, jedoch jede Menge Trainingsausfall hattest. Eine Situation, in der sich wahrscheinlich so mancher Läufer zur Zeit befindet.
Wenn unterwegs die Umstände eintreten sollten, die dich von deiner ursprünglichen Erwartung an dein Ergebnis abbringen, solltest du Lösungen parat haben. Diese kannst du jetzt bereits erarbeiten, so dass du sie unterwegs nur noch abrufen musst. Wenn du diese Lösungen nicht griffbereit hast, kann es möglich sein, dass du verzweifelst.
Hier ein selbst erlebtes Beispiel: Im Jahr 2002 startete ich bei einem etwas längeren Ultralauf. Zu dem Zeitpunkt war ich nicht völlig unerfahren auf diesen Distanzen, jedoch viele Jahre hier nicht mehr aktiv gewesen. Voller eigentlich realistischer Erwartungen und Ambitionen lief ich guter Dinge los und fand bald einen sympathischen Mitläufer, der vom Lebensalter jedoch beinahe hätte mein Vater sein können. Im Marathon lief ich mindestens eine Dreiviertelstunde schneller als er. Schon bei etwa Streckenhälfte spürte ich, dass mein Trainingszustand nach den Jahren noch nicht wieder ausreichend war für diese Aufgabe. Es kamen die erdrückenden Zweifel, die wohl viele von uns schon mal erlebten. Wenige Kilometer später konnte ich meinem deutlich lebensälteren und auf kurzen Distanzen viel langsameren Mitläufer nicht mehr folgen. Er war mir einfach zu schnell! Er wurde später Gesamtzweiter.
Dilettantischerweise war ich auf diese Umstände überhaupt nicht vorbereitet. Ich war vollkommen überrascht, schon zu diesem Zeitpunkt platt zu sein. Zu den Selbstzweifeln paarte sich die Verzweiflung, da noch über 70 km vor mir lagen. Zu einer runden Kilometeranzahl kamen wir wieder an einem zentralen Versorgungspunkt an und ich gab das Rennen auf. Es schmerzte nichts, die Anzahl der Blasen konnte ich noch zählen. Es war ausschließlich die schlechte mentale Vorbereitung meinerseits, die zum Abbruch führte. Darüber ärgere ich mich noch heute und war im gleichen Rennen 2 Jahre später besser vorbereitet. Körperlich und mental. Das Ergebnis war dann auch ein ganz anderes.
Welche Maßnahmen ergreifst du beispielsweise, wenn sich deine Verletzung die zum Trainingsausfall führte, unterwegs wieder meldet und du damit überhaupt nicht gerechnet hast? Wie gehst du mit der Erkenntnis um, wenn du trotz deines Trainingsausfalls versuchst, deine maximale Leistung zu bringen und bei km 28 merkst, dass der Trainingsrückstand dieses Ziel in keinem Fall mehr erreichbar macht?
Es gehören auch auf den ersten Blick banale Kleinigkeiten dazu, die nicht unbedingt von einem Trainingsausfall beeinflusst sind. Das kann schon die nervtötende Blase am Fuß sein, die dich schon ab Streckenhälfte fast in den Wahnsinn treibt. Die Blase an sich ist nicht schlimm, aber mit jedem Schritt schmerzt sie höllisch und, obwohl dir der Lauf bisher noch Spaß machte und du dich auf das Erbringen deiner Leistung konzentrieren konntest, spürst du nun hunderte von schmerzenden Schritten, bevor du überhaupt das nächste Kilometerschild siehst. Das Gefühl, dem Ziel näher zu kommen verlängert sich endlos.
Es können Pannen passieren, indem du beispielsweise unterwegs großen Durst bekommst, aber an der Verpflegung die Getränke verpasst. Was tun? Nochmal umdrehen mit Zeitverlust? Zuschauer anbetteln? Habe Lösungen parat.
Es geht hier keinesfalls darum, nach Manier der ewigen Skeptiker und Bedenkenträger möglichst jedes Horrorszenario durchzuspielen. Glaube realistisch an deine Fähigkeiten und gehe immer mit Zuversicht ins Rennen. Habe aber auch den "Plan B" im Kopf und sei gedanklich darauf vorbereitet, dass irgendetwas passieren kann und deine Reaktion erfordert.
Dann nämlich stehst du am Start des Laufes, auf den du so lange hintrainiert hast und kannst dir sehr sicher sein, dass du vorbereitet bist und die selbst gestellte Aufgabe voll im Griff hast.