Schon in der Vorwoche hatte ich an dieser Stelle über Schwellenkonzepte mittels Laktattest berichtet und mich dabei auch auf den Artikel von Prof. Kai Röcker in 12/2008 der "Deutschen Zeitung für Sportmedizin" bezogen.
Röcker berichtet darin, dass sich der Begriff aerobe Schwelle wie wir ihn heute benutzen eigentlich nichts mit den Laktatschwellen zu tun hat. Er schreibt:
"In der internationalen Literatur findet sich die Beschreibung einer "Anaerobic 'Thresbold" erstmals bei Wasserman et al.. Von ihm wird die "Anaerobe Schwelle"' als jene Leistung beschrieben, oberhalb derer die oxidative Energieproduktion von anaeroben Mechanismen unterstützt wird. Diese BeIastungsintensität wird von einem Anstieg von Laktat und des Verhältnisses von Pyruvat/Laktat im Körper begleitet".
Diese ,.Anaerobe Schwelle" findet sich also bereits bei jener Leistung, an der die Blutlaktatkonzentration überhaupt erstmals messbar zu steigen beginnt. Als tatsächliche "Schwelle" ist dieser Punkt aber auch aus der Atemgasanalyse sehr klar abgrenzbar: Die zusätzliche Produktion von nicht-metabolischem Kohlendioxid aus der Bicarbonatpufferung ist auch als "Ventilatorische Anaerobe Schwelle" geläufig. Wenn also in der angelsächsischen Standardliteratur von "Anaerobic Threshold" oder "Lactate 'Threshold" die Rede ist, dann ist ganz grundsätzlich der genannte Wert gemeint.
......Der "deutsche" Beitrag ab etwa 1972 bestand dann vor allem darin, die Methode für Empfehlungen und zur Diagnostik im Leistungssport nutzbar zu machen. Gleichwohl musste man schnell feststellen, dass die Leistung an der "Anaeroben Schwelle" nach Wasserman'scher Definition weit unterhalb der tatsächlichen Dauerleistung selbst von Marathonläufern lag.
So wurde postuliert, dass das Gleichgewicht zwischen Laktatproduktion und Laktatabbau für diese Leistungslimitierung entscheidend sei. Als wissenschaftliche Definition findet sich jene Überlegung im maximalen Laktat-Steady-State (maxLASS) wieder. Nach diesem Konzept gibt es jeweils eine eindeutige maximale Leistung, oberhalb derer Laktat im Blut akkumuliert, unterhalb derer Laktat jedoch in einem Gleichgewicht zwischen Produktion und Elimination verbleibt.
Bereits früher war daher der Vorschlag erfolgt, als Referenz für dieses Gleichgewicbt und die Ausdauerleistungsfähigkeit die jeweilige Leistung bei 4 mmol/l Blutlaktat zu verwenden. Allerdings führte der Umstand, dass auch für dieses Konzept der Begriff "Anaerobe Schwelle" verwendet wurde, zur Verwirrung der Begrifflichkeiten zwischen dem international eher gebräuchlichen Konzept von Wasserman und dem hierzulande eher geläufigen Prinzip von Mader et al.
So problematisch die Verwechselbarkeit mit dem Wasserman'schen Konzept ist, so unterstellt auch das Konzept von Mader et al. eine Schwellencharakteristik, jedoch in einem deutlich höheren Bereich der Laktatleistungskurve. Tatsächlich zeigt die Relation zwischen Leistung und maximal möglicher Belastungsdauer ("power-duration curve") jedoch keine Schwelle, zumal keine, die man dem maxLASS zuordnen könnte.
Auch die Leistung am maxLASS ist ja in ihrer Dauer limitiert, ebenso wie eine Leistung 5% oder 10% oberhalb oder 5% oder 10% unterhalb dieser Größe.
Abbildung I, nach Röcker 2008
Auch zeigt die Charakteristik der jeweiligen "Laktatantwort" einen fließenden Übergang mit steigender Leistung. Jede Leistung bewirkt ihr eigenes Plateau der resultierenden Blutlaktatkonzentration über die Zeit. Derselbe Läufer bestreitet einen Marathon in einem anderen Tempo als einen 10000m-Lauf, einen Halbmarathon oder einen 30 km-Lauf (Abb.l).
Auf jeder Laufstrecke wirken die leistungslimitierenden Faktoren und unterschiedlicher Konstellation, ohne dass sich eine konkrete Relation zwischen Leistung und (maxLASS) aufdrängen würde.
Aus einer klassischen Laktatleistungskurve wäre also schlicht jener Referenzpunkt der entscheidende, der die Ausdauerleistungsfähigkeit am besten repräsentiert und nicht primär ein physiologisches Konzept. Für die Messung der Körpergröße müssen nicht alle Funktionen der Entwicklungsbiologie verstanden werden. Man verwendet einfach ein Metermaß.
Es gibt im Sport nur wenige Systeme, in denen die spezifische Ausdauerleistungsfähigkeit als Goldstandard und Bewertungsmaßstab für Ergometrien nutzbar sind. Ein ideal standardisiertes Vergleichssystem für spezifische Ausdauerleistungsfähigkeit steht jedoch durch das Wettkampfsystem der Leichtathletik zur Verfügung.
So ist naturgemäß derjenige Laufbandtest am sinnvollsten, der die tatsächlichen Leistungen in den Langstreckenläufen am besten prognostiziert. Mit einem derart kalibrierten Messsystem lässt sich dann auch die Leistungsfähigkeit anderer Probanden bewerten. Aus den genannten Gründen empfinde ich hierbei allerdings die Verwendung des Begriffs "Anaerobe Schwelle" als unglücklich – gleichwohl sich diese Bezeichnung bedauerlicherweise in unserem Sprachgebrauch festgesetzt hat und andererseits auch eine schlüssige, sprachliche Alternative zum Begriff nicht in Sicht ist."
Wenn Röcker hier nun einen Laufbandtest zur Ermittlung der Ausdauerfähigkeiten vorschlägt, dann frage ich mich, brauchen wir Läufer diesen Test denn überhaupt? Ein klares Nein, so etwas brauchen wir nicht. Uns reicht das angesprochenene "Wettkampfsystem der Leichtathletik".
Wir alle absolvieren mit unseren Wettkämpfen mehrmals im Jahr einen Ausdauertest. Wie du in Abbildung I siehst, ist in dem dort dargestellten Einzelfall der Verlauf der Leistungkurve über fast alle Strecken linear. Oder anders ausgedrückt, wenn du die Zeit weißt, die du über 10 km im Wettkampf laufen kannst, kannst du auch ziemlich genaue Schlüsse auf deine Leistungsfähigkeit auf den kürzeren und längeren Strecken ziehen.
Natürlich trifft das nicht immer zu, das wissen wir nur zu genau. Jemand der den Marathon im gleichen Tempo läuft wie einen Halbmarathon, kennt bestimmt jeder von uns. Aber hier spielt immer auch das individuelle Training und die Motivation eine Rolle.
Bei den individuellen Trainingsplänen im Greif-Club machen wir das, was Röcker vorschlägt schon seit ewigen Jahrzehnten. Wir nutzen die 10 km-Wettkampfzeit zur Temposteuerung über alle Trainingsstrecken. Und das hat sich bewährt, was unsere Erfolge und Bestenlisten überdeutlich belegen.
Ich gehe jede Wette ein, dass ich das Training eines Läufers, nach erfolgten aktuellem 10 km-Wettkampf und Laktattest, mit der Wettkampfzeit besser steuern kann, als mit den Resultaten des Laktattests. Denn die Wettkampfzeit ist ungeschminkt wahr, schwellenfrei und frei von den Fehlern anderer.
Fehler können wir selbst machen. Wir brauchen kein Geld für einen Laktattest ausgeben, der vage Resultate liefert und uns einmal in die Überschätzung und ein anderes Mal in eine Selbstvertrauenskrise treibt. Rein in die Wettkämfe und du weißt was du drauf hast.