Es vergeht kaum eine Woche, dass mir nicht jemand schreibt, er habe „extra“ einen Laktattest machen lassen, damit ich seinen Trainingsplan besser steuern kann. Angehängt an diese Mail sind wunderhübsche Tabellen und Grafiken. Dazu Vorgaben für einige Trainingsbereiche.
Leider muss ich dann diesem Club Mitglied schreiben, dass ich mit den Auswertungen nichts anfangen kann, denn ein Laktattest ist zur Trainingssteuerung einfach zu ungenau. Die Abweichung ist plus minus fünf Prozent. In etwa könnte man sein Trainingstempo besser raten.
Du wirst dich sicher fragen, warum so viele Läufer und Läuferinnen sich diesem Test hingeben. Es sind eigentlich immer zwei Ideen dabei: 1. Die Hoffnung, dass beim Test herauskommen soll, dass die Leistungsfähigkeit des Probanden deutlich höher ist, als jemals im Wettkampf erzielt. 2. Die Idee als Resultat, weniger hart trainieren zu müssen, dabei aber doch die erwarteten Zeiten zu erzielen. Nummer 1 erzeugt am Ende genauso Frust wie Nummer 2.
Träume sind erlaubt und kostenlos, aber die Wahrheit liegt auf Bahn und Straße. Läufer, genauso wie Läuferinnen brauchen diese Träume und die dokumentieren sich auch in Schreiben an mich.
In etwa klingen diese Mails so: „Ich bin gestern eine 44:17 gelaufen. Der 10 km Humpellauf in Kleinkleckersdorf hat aber drei schwere Steigungen von jeweils mindestens zehn Meter, zu dem hatte ich auf der gesamten Runde Gegenwind und außerdem war es noch viel zu warm. Was meinst du, was ich bei besseren Bedingungen hätte laufen können?“
Es ist tief in der Läuferschaft verwurzelt, sich seine Wettkampfresultate schön zu reden und oder zu rechnen. Das sind die Träume, die ich meine. Aber Holger und die Stoppuhr reißen die meisten von uns wieder zurück in die Wirklichkeit. Aber wenn ich so zurückdenke, dann sind es doch schon einige, die ihre Träume mit ins Grab genommen haben.
Genauso wie diese Art von Träumen gibt es eine weitere Idee, die schon seit Jahrzehnten durch die Läuferschaft zieht. Die drückt sich dann in Aussagen so aus wie: „Ich bin einfach zu schnell angegangen und dann völlig übersäuert. Oder auch: “ich konnte einfach nicht mehr, mein ganzer Körper war voller Laktat.“
Unser einer glaubte auch eine gewisse Zeit lang, dass das Laktat die Schmerzen und die Müdigkeit bei einem zu hohen Lauftempo verursacht. Ich bin ein einziges Mal in meinem Leben 800 Meter in einem Wettkampf gelaufen und hatte schon auf den ersten 400 Meter das Gefühl, dass das Ganze zu langsam war und drehte noch einmal richtig auf. 50 Meter weiter kam die Strafe, denn ich brach völlig ein und konnte nur noch in das Ziel joggen. Das war wirklich schrecklich und ich bin diese Distanz niemals wieder gelaufen.
In dieser Zeit glaubten wir alle, dass wir das Trainingstempo mit dem Laktattest steuern könnten. Wir kauften uns ein Labor und boten in den Trainingsurlauben Laktattests an. Das haben wir dann zwei Jahre lang gemacht und dieser Zeitraum hat gereicht um zu erkennen, dass diese Untersuchungsmethode uns nicht weiter bringen kann.
Die Konsequenz war speziell für unsere Trainingspläne, dass wir das Trainingstempo der Greifclub Mitglieder über die aktuelle 10.000 Meter Zeit steuerten und dies heute noch mit überragendem Erfolg machen.
In der nachfolgenden Zeit fanden Wissenschaftler heraus, dass das Laktat nicht unser Bremsmittel ist, sondern vom Körper wieder verstoffwechselt wird, es ist also eine Energieform.
Was fügt uns aber dieses Leid, Schmerzen und Schwächegefühle bei zu schnell gelaufenen Wettkämpfen oder Trainings? Dazu habe ich auf der Webseite von Runners World einen interessanten Artikel zu diesem Thema gefunden. Er stammt aus der Feder von Tim Hutchinson, einem Autor, den ich sehr mag, weil er den Sachen auf den Grund geht. Nachfolgend Auszüge aus diesem Artikel:
„Was verursacht Muskelschmerzen während harten Belastungen?
Forscher reproduzieren Muskelschmerzen durch die Injektion von Metaboliten, um dem Rätsel der Muskelerschöpfung auf die Spur zu kommen.
Ich bin schon so ziemlich jede Distanz zwischen 100 Metern und Marathon gelaufen, doch die mit Abstand härteste Strecke waren für mich immer die 800 Meter. Warum? Dieses unglaubliche Brennen in den Muskeln, das Gefühl des „Übersäuerns“, wenn man über der aeroben Schwelle läuft, um ein bestimmtes Tempo zu halten. Seit den Jahren, in denen ich noch 800er lief, haben Forscher einiges mehr über das, was in den Muskeln während eines harten Trainings passiert, herausgefunden. Zum Beispiel stellte sich heraus, dass Laktat an sich nicht zu Muskelschmerzen führt, sondern tatsächlich als ein Brennstoff für weitere Energie genutzt wird.
Also, was verursacht den Schmerz?
Dazu gibt es eine interessante Untersuchung in der Zeitschrift Experimental Physiology. Um die Frage zu beantworten, was das Auftreten von Muskelbrennen und -schmerzen verursacht, injizierten die Forscher Laktate, Protone (zur Bestimmung des Säuregehalts) und ATP direkt in die Daumenmuskeln von zehn Freiwilligen.
Die Konzentrationen variierten von einem „normalen" Niveau, das immer im Körper zu finden ist, bis hin zu höheren Dosen, die während moderatem, hartem und extremen Training im Körper zirkulieren. Das führte in einen PH-Bereich von 7,4 bis 6,6 und einen Laktatbereich von 1 Millimol bis 50 Millimol.
Alle 30 Sekunden wurden die Freiwilligen gebeten, ihre Wahrnehmungen mitzuteilen. Die Antworten wurden in zwei grundlegende Kategorien unterteilt: Schmerzempfindung (wie „Schmerz“ und „heiß“) und keine Schmerzempfindung (wie „Druck“ und „müde“). Abbildung 1 zeigt den Anteil der Empfindung von keinem Schmerz (in der Regel ermüdungsbedingt) gegenüber dem Anteil von Schmerzempfindungen im Zusammenhang mit der Zunahme des Stoffwechselniveaus.
Es zeigt sich eine ziemlich deutliche Beziehung. Die Autoren meinen (gestützt auf frühere Tierstudien), dass es eine Gruppe von Rezeptoren in den Muskeln gibt, die Müdigkeitsempfindungen hervorruft und die durch die niedrigen Metabolitenkonzentrationen, wie während einer moderaten Trainingseinheit aktiviert wird, und eine andere Rezeptorengruppe, die Schmerzempfindungen hervorruft und die durch höhere Metabolitenkonzentrationen, wie sie während kräftigeren und härteren Belastungen (wie einem 800-Meter-Rennen!) auftreten, aktiviert wird.
Schmerzempfindung vs keine Schmerzempfindung
Foto: runnersworld.com Abbildung: Je stärker der Stoffwechselumsatz, desto stärker die Schmerzempfindung.
Um das Bild abzurunden, zeigt eine ähnliche Graphik in Abbildung 2, die Intensität der Nichtschmerz- und Schmerzempfindungen während unterschiedlicher Metabolitenkonzentrationen, wieder eine ziemlich deutliche Beziehung:
Je stärker der Stoffwechselumsatz, desto stärker die Empfindung.
Nun die Überraschung: Die Graphiken wurden durch die gleichzeitige Injektion aller drei Metaboliten erzeugt. Aber was geschieht, wenn man sie einzeln spritzt? Kurzum: nichts. Es fanden sich im Wesentlichen überhaupt keine Antworten hinsichtlich der einzelnen Metaboliten. Also reagieren die Rezeptoren anscheinend nur auf die synergistische Kombination von allen dreien. Auch dies stimmt mit früheren Tierversuchen überein.
Bedeutet dies, dass wir das Rätsel der Muskelerschöpfung gelöst haben?
Nun, das hängt wohl davon ab, was man genau unter Erschöpfung versteht. Sicherlich bieten die Daten einige Hinweise darauf, was das Unbehagen während eines 800-Meter-Rennens verursacht.
Doch eigentlich ist doch die interessantere Frage, ob es die Metaboliten (Stoffwechselprodukte) sind, die uns zwingen, das Tempo zu verlangsamen. Samuele Marcora, der Forscher, der mich auf diese Studie hingewiesen hat, würde dies verneinen. Er behauptet, dass „Anstrengung“ und „Schmerz“ zwei unterschiedliche Empfindungen sind – so dass man während eines 800-Meter-Rennens Tempo raus nimmt, weil es zu schwer fällt, die Muskeln schneller zu bewegen und nicht weil es weh tut.“
Ich finde diese Argumentation ziemlich überzeugend, aber ich denke auch, dass – da auch Studien dies belegen - es sehr schwierig ist, eine klare Linie zwischen Erschöpfung und Unbehagen zu ziehen.
Du wirst dich sicher fragen, was du als Halb- oder Marathonläufer mit diesem Wissen anfangen sollst. Ich denke, man kann aus diesen Argumentationen heraus ziemlich viel in die Laufpraxis umsetzen.
Erst einmal muss dir klar sein, dass der Schmerz in einer Hochbelastung, wie sie auch bei den Langstrecken vorkommt, kein Signal des Laktats ist und es ist auch nicht das Zeichen zum Abbruch einer Leistung. Diesen Schmerz kannst du durch deine Psyche besiegeln.
Und auch das Müdigkeitsempfinden ist nicht das Ende der Leiter. Du darfst auf keinen Fall in eine Bewegungsstörung fallen, wie Verkrampfen oder auch in den „Rücken fallen“. Schön oder besser mitleidend zu sehen, wie unsere junge Athletin Maren Kock bei der Europameisterschaft in Luzern über die 5000 Meter am Ende völlig verkrampfte und nach hinten durch gereicht wurde. Also: „Immer schön locker bleiben wie es im Volksmund so heißt.“