Wir haben uns daran gewöhnt: Laktat ist das Böse in unserem Körper. Immer mehr aber wird klar, dass wir mit dieser Meinung falsch liegen. Es wird schon von einer Laktatrevolution gesprochen. Um Himmelswillen, denkt der Schreiber dieser Zeilen, wo doch noch so viele daran glauben, dass der Muskelkater vom Laktat kommt.
Und jetzt soll Lakat (Salz der Milchsäure) sogar zu den Guten gehören? Uns war doch allen klar: Wenn wir auf der Bahn richtig rennen, die Beine werden schwer und die Atemfrequenz steigt, dann ist das das Laktat. Mir selbst war schon seit längerem klar, dass diese These so nicht ganz richtig sein konnte. So berichtete ich in der Vergangenheit vom Laktat auch als e i n e r der Ermüdungsstoffe unter Belastung.
Prof. Joachim Mester teilte einem Symposium im November 2008 mit, dass das Laktat nur zwischen 5 und 15% an der Ermüdung teilhabe.
Auf diesem Symposium wurden auch nachfolgende Thesen aufgestellt:
Prof. Dr. Wilhelm Bloch, Prof. Dr. Joachim Mester, Patrick Wahl
Thesen zur aktuellen Laktatdiskussion Oktober 2008
- Laktat ist in Deutschland seit Beginn der 70er und 80er Jahren international richtungsweisend erforscht worden.
- Das hat erheblich dazu beigetragen, das Problem möglicher Überlastungen in die Aufmerksamkeit zu rücken und zu verringern.
- Schwellenkonzepte (4mmol, IAS u.a. Schwellen) und Laktattests dienten und dienen noch heute dazu, Intensitäten und Umfänge in der Belastungsgestaltung fest zu legen.
- In vielen Fällen wird aus Sorge vor zu hohen, intensiven Belastungen oft sehr umfangsorientiert trainiert.
- Laktat wird in der Praxis immer noch als "Abfallprodukt" verstanden. Das ist physiologisch falsch. Es ist ein Zwischenprodukt und Signalmolekül, das erhebliche Stoffwechselpotenz besitzt. Einige Arbeitsgruppen sprechen bereits vom "Lactormone".
- Unter Belastung decken viele Gewebe (u.a. Herz, Skelettmuskel) ihren Energiebedarf durch die Oxidation von Laktat unter gleichzeitiger Reduktion der Glukose-Oxidation.
- Hierbei spielen Transportvorgänge (Laktattransporter) und Verstoffwechselungsvorgänge eine wichtige Rolle, die trainierbar sind und die zurzeit intensiv untersucht werden.
- International spricht man inzwischen wissenschaftlich von einer "Laktatrevolution", die zu einem neuen Verständnis geführt hat. Diese Entwicklung ist in der deutschen Sportpraxis noch nicht zur Kenntnis genommen worden.
- Schlüsse aus diesen Diskussionen beruhen darauf, dass dieser Stoffwechselweg bewusster und nicht vermeidend ("Überschreitung von Schwellen") eingesetzt werden sollte. Allerdings ist die Frage der Dosierung wichtig. Die Gefahr einer Überlastung besteht natürlich immer noch. Zu große Umfänge sind allerdings ebenfalls nicht produktiv.
- Für die Frage der Dosierung der Belastung im Hochleistungsbereich stehen viele weitere und wichtigere diagnostische Parameter (Biomarker) als Laktat zur Verfügung, um den Belastungszustand eines Athleten zu erfassen. Diese werden in der Praxis des Leistungssports bislang so gut wie nicht eingesetzt.
- Als Gründe für eine verzögerte Diskussion der Rolle des Laktats in der Sportpraxis kann angesehen werden, dass der Zeitversatz zwischen der Produktion des internationalen Wissens durch Forschung und der Anwendung der Erkenntnisse in der Praxis viel zu groß ist.
- Die Halbwertszeit des Wissens im naturwissenschaftlichen Bereich beträgt z. Zt. ca. 4,5 Jahre. Das bedeutet, dass nach ca. 8 Jahren die Hälfte des Wissens veraltet ist. Bis aktuelles Wissen in praxisorientierten Lehrbüchern, Lehrplänen, Rahmentrainingsplänen etc. aufgenommen und dann in der Praxis umgesetzt worden ist, kann es durchaus 8-10 Jahre dauern.
- Eine Lösung im Sinne eines Bypasses zwischen Forschung und Praxis kann nur einerseits darin bestehen, dass für die Konditionsarbeit größere Teams mit Spezialisten um den Cheftrainer herum gebildet werden. Diese Personen müssen gut ausgebildet sein und einen direkten Kontakt mit der Forschung besitzen.
Es würde an dieser Stelle zu weit führen, wenn wir uns an dieser Diskussion beteiligen würden. Für uns sind die praktischen Konsequenzen wichtig. Die heißen:
1. Wir können durch hochintensives Training in kurzer Zeit mehr Leistungszuwächse erzielen, als in der gleichen Zeit mit einem weniger intensiven Training.
2. Trainingssteuerung durch Blutlaktat (Laktattest) ist zu unsicher, als dass sich daraus eine sichere Möglichkeit zur Trainingssteuerung ableiten lasse.
Ich könnte mich jetzt natürlich hinstellen und sagen: Das habe ich schon lange gewusst. Im Gegenteil, ich wusste nichts von dem, was die Sportwissenschaftler jetzt herausgefunden haben.
Aber eines war mir schon lange Jahre klar, dass intensives Training mehr Erfolg verspricht als das ständige Umherjoggen. Und gerade von der parkschleichenden Joggerszene bin ich für den Anspruch nach mehr Tempo verurteilt worden. Das endete im Jahr 2008 mit der Forderung, "man müsse mir das Handwerk legen"!
Und ich wusste noch eines und habe es auch oft genug gesagt und geschrieben, dass Laktattests zur Trainingssteuerung bei Läufer(innen) auf Grund ihrer Ungenauigkeit nicht geeignet sind. Wenn man die jetzigen neuen Erkenntnisse betrachtet, dann wird klar, dass niemals sichere Aussagen zur Trainingssteuerung über das Blutlaktat zu machen sind. Mal klappt es, mal nicht. Es hängt dabei zuviel vom Zufall und den untersuchten Personen ab.
Interessant ist auch noch, dass unsere Muskeln selbst wieder Laktat verarbeiten können. Und zwar verarbeiten die Muskelfasern vom Typ 1 (langsam, ausdauernd) mehr Laktat als die vom Typ 2 (schnell, weniger ausdauernd). Der Witz dabei ist, dass die Typ 2 Faser aber deutlich mehr Laktat produzieren als die von Typ 1.
Man kann es auch so sagen: Was die schnellen Fasern an Laktat produzieren, fressen die langsamen wieder auch. Dazu gehört auch das Herz, welches bis zu 60% seiner Energie aus Laktat gewinnt.
Da wird mir heute auch klar, warum bei den 100-ten Laktatmessungen, die wir früher machten, die ausdauernsten Athleten kaum Laktat im Blut hatten, obwohl sich diese bis zur Erschöpfung ausgaben. Jetzt ist klar, ihr großer Anteil von Typ 1-Fasern konnte das Laktat, dass von den wenigen vorhandenen Typ 2-Fasern produzierte Laktat locker weg arbeiten.
Andere, weniger Leistungsfähige waren noch mit 12 mmol lustig dabei. Auch diese Erkenntnis war ein Schritt dahin, dass wir die Laktattests schließlich ganz einstellten. Es gab zu viele Ungereimtheiten.
Ganz interessant ist auch noch, dass das Laktat auch für eine Gefäßerweiterung sorgt. Es hilft uns also durch die aufgeweiteten Gefäße unsere Muskeln besser mit Blut zu versorgen. Der Effekt der Gefäßweitung tritt dabei wie bei Arginin oder Viagra durch das NO (Stickoxid) ein.
Noch eine ganz tolle Sache vom Laktat: "Bei körperlicher Anstrengung schaltet auch das Gehirn auf eine alternative Energieversorgung um: Es arbeitet härter und bezieht seine Energie dabei vordringlich aus Laktat, das bei starker Belastung in den Muskeln entsteht, und nicht wie üblich aus dem Traubenzucker Glukose.
Dies haben Biowissenschaftler um Johannes van Lieshout von der Universität Kopenhagen herausgefunden. Das neue Ergebnis kann erklären, warum das Gehirn auch bei starken körperlichen Anforderungen weiterhin effektiv arbeitet. Nach Ansicht der Wissenschaftler ebnet das Ergebnis den Weg für eine neue Richtung der Gehirnforschung, bei der die Auswirkungen von Laktat auf das Denkzentrum detaillierter untersucht werden. Näheres steht in der Fachzeitschrift «The FASEB Journal» (Online-Vorabveröffentlichung, doi: 10.1096/fj.08-106104).
Van Lieshout und sein Team ließen Freiwillige eine anstrengende Sportübung durchführen und untersuchten das Blut, das zum Gehirn und vom Gehirn weg strömte. Das Blut auf dem Weg zum Gehirn enthält deutlich mehr Laktat, als wenn es von ort weg fließt, stellten die Wissenschaftler fest. Das Laktat wird jedoch nicht vom Gehirn gespeichert, sondern als Brennstoff genutzt.
Auf diese Weise könnte das Gehirn dazu beitragen, Laktat aus dem Blutkreislauf zu entfernen, das bei starker Beanspruchung der Muskeln entsteht. Zugleich legen die Ergebnisse nahe, dass das Gehirn bei höherer Laktataufnahme auch weniger Glukose verbraucht. Das würde bedeuten, dass mehr Glukose im Blut verbleibt und damit auch den Muskeln zur Energieerzeugung zur Verfügung steht.
Aus evolutionärer Sicht hat das Ergebnis einen Sinn. Man muss sich vorstellen, was mit all den Tieren passiert wäre, denen bei der Flucht vor einem Verfolger zusammen mit der Glukose auch ihre geistige Leistungsfähigkeit ausgegangen wäre. Sie wären eine leichte Beute für ihre Feinde gewesen.
Auch bei Stress und bei der Ausschüttung von Adrenalin wird im Verhältnis zum Sauerstoffverbrauch mehr Glukose und Laktat verbraucht. Adrenalin erhöhe demnach möglicherweise den Transport von Glukose und Laktat durch die Blut-Hirn-Schranke, vermuten van Lieshout und sein Team. In zukünftigen Studien sollte daher untersucht werden, ob und wie man Laktat zur Behandlung von Erkrankungen einsetzen könnte, empfiehlt Weissmann." (Netdoktor.de, 1.10.2008)
Fazit: Wir müssen uns davon frei machen, dass das Laktat unser Feind ist. Im Gegenteil es ist unser Freund und Verbündeter.
Wer mehr (wissenschaftliches) über Laktat wissen möchte, kann sich hier bei "Momentum, Forschung für Spitzenleistungen" einloggen.