Im Newsletter vom 02.08.05 berichtete ich darüber, welche Macht die Hormone über unsere Leistungsbereitschaft haben. Hormone sind die Auslöser von Stress und Stress bringt uns in Schwung. Wer im Training so richtig "durchhängt" kann sich mit einem kleinen Adrenalinstößchen wieder auf die nötige Geschwindigkeit bringen. Es muss ja nicht gerade so ausarten, wie es nachfolgend Dipl.-Ing. Manfred Widmann aus Wels in Österreich beschreibt, dessen Mail ich hier mit seiner freundlichen Genehmigung veröffentliche:
"Zu deinem letzten Newsletter möchte ich dir kurz eine kleine Begebenheit schildern: Letztens bei einem Tempolauf: 15 km im Marathontempo bei km 12, es ist heiß, die Beine sind sooo schwer, der letzte km war schon wieder eine Sekunde langsamer als der vorletzte, noch 3 km, also etwa noch 12 Minuten, ufff, eine Ewigkeit.
Ich bin froh, als ich in das kleine Bauernwegerl mit Fahrverbot einbiegen kann und versuche noch einmal die Beine zu heben. Nach etwa 500 m höre ich hinter mir das Brummen eines VW-Busses, das rasch näher kommt. Er quetscht sich an mir vorbei, berührt mich dabei mit dem Außenspiegel. Ich schreie, fluche, schimpfe, fuchtle herum - dabei geht auch der Spiegel zu Bruch (behaupten die Insassen jedenfalls etwas später). Der Bus mit 5 mächtigen, 100 kg schweren Straßenbauarbeitern bleibt stehen - die wollen offensichtlich mit mir "reden". Ich weiche aus, laufe vorbei, sie schreien vor Wut, überholen mich wieder und stellen das Auto so quer, dass ich unmöglich vorbei kann. Ein Wortgefecht - glücklicherweise bleibt es dabei, obwohl die Stimmung am Sieden ist. Ich stammle etwas von Linz-Marathon, trainieren müssen und komme dank meiner "Schnauze" irgendwie aus der Situation heraus.
Dann laufe ich weiter, absolut gepusht vom selbst produzierten Doping in Form von Stresshormonen. Die Müdigkeit ist verflogen und trotz "Vegetariersein", würde ich die Typen liebend gerne fressen. Meine Wut bekommen die Schuhe und die Straße zu spüren und kaum kann ich bis 3 zählen ist die geplante Distanz gelaufen.
Und warum ich das alles schreibe? Trotz Diskussion, Geplärre, Geschrei, Ausweichmanöver, etc... habe ich auf den letzten 3 Kilometern nur 15 Sekunden verloren! Wie ich auf die Stoppuhr geschaut habe, habe ich es kaum fassen können. Leider habe ich die Typen nicht mehr erwischt, denn sonst hätte ich sie für den nächsten Lauf engagiert, um sie zu bitten, mir doch wieder so auf den S... zu gehen wie im Training."
Wichtig beim Eigendoping mit Stresshormonen ist, dass die Ausschüttung dieser Leistungsstimulatien nicht nur inizitiert, sondern auch erhalten werden muss. Von nachfolgender Situation hast du sicher auch schon gehört: "Gehst du schon wieder laufen?" "Nur eine kleine Runde!" "Du wolltest mir doch das Bild im Wohnzimmer aufhängen." "Mache ich nachher!" "Und du hast versprochen Maximilian bei den Hausaufgaben zu helfen." "Jaaah, erledige ich ja auch noch!" "Es ist immer das gleiche mit dir, gestern bist du auch wieder nicht mit zu meiner Mutter gekommen und warst wieder mehr als zwei Stunden verschwunden!" "Ach lasse mich mit deiner Mutter zufrieden, die geht mir auf den Geist". "Ich werde dich in Zukunft auch zufrieden lassen, du machst nie etwas für mich, ich gehe dir wohl auch auf den Geist?" "Ja, dein ewiges Gemeckere ist nicht zu ertragen, ich gehe jetzt!" "Was für ein Gemeckere? Immer muss ich die schweren Wasserkästen alleine tragen, nie bist du für mich da, du redest nicht mit mir, niemals hörst du mir zu, du kümmerst dich nicht um....!"
Wer nach einer solchen Situation sein Training beginnt, der knallt erst einmal von Stresshormonen getrieben mit hohem Tempo los. Danach gibt es zwei Möglichkeiten: 1. sich zu beruhigen, dann kommt es zu einem Hormonabfall und schnell spürst du die altbekannte Schwäche, die so ein hohes Anfangstempo nach sich zieht. 2. Könntest du dich jetzt in deinen Gedanken an Lust bringende verbale Attacken gegen deinen Lebenspartner(in) berauschen. Das hält deine Hormonproduktion oben und damit deinen Leistungsmotor im hohen Drehzahlbereich.
Es gibt aber auch ganz einfache Methoden seinen Adrenalinspiegel zu heben und zu halten. Relativ unbekannt ist, dass schon die Anwesenheit eines potentiellen Konkurrenten(in) im Training den Hormonspiegel steigen lässt. Die Leistungsbereitschaft wächst mit zunehmender Anzahl der Konkurrenten, siehe das allseits bekannte gemütlich Lauftreff-Dauerlauftempo mit heimlich schleichender Tempoerhöhung, um den Gegner hinten raus zu werfen.
Aus solch einem inneren Konkurrenzkampf kann eine Trainingsgruppe durchaus Leistungszugewinne ziehen, es wird dann aber gefährlich, wenn einige innerer Zähnefletscher extra vor dem nächsten gemeinsamen Training einen Tag Pause machen, um sich an der Laufgemeinschaft wegen des vorgesterlichen Abhängen zu rächen. Solche Sachen schaukeln sich hoch, das wichtigste Trainingsprinzip von Belastung und Entspannung geht verloren und im wahren Wettkampf kann dann die mögliche Leistung oft nicht mehr abgerufen werden.
Die Abläufe solcher Adrenalin-Produktionsläufe ähneln sich: "Du machst schon wieder Tempo!" Was ich, du bist es doch, der immer anderthalb Meter vorne läuft!" "Wieso ich? Niemals! Holger war die ganze Zeit vorne!" "Ich nun schon wieder, wer war es denn, der den Huckelberg gestern mit vollem Tempo hoch ist und vorher sagte, er wolle ruhig machen?" "Mann, hör doch auf, du läufst doch ewig zu schnell, immer wenn du dich gut fühlst, tanzt du vorne rum. Wenn du im Rennen auch mal vorne laufen würdest!" "Ach, wer ist denn beim letzten Halbmarathon ausgestiegen?" "Jetzt reichst ....!" Der Schaum steht sinnbildlich der ganzen Gruppe vor dem Mund und die Hatz beginnt. Aus dem ruhigen Dauerlauf wird ein ungeplanter Trainingswettkampf.
Hätte dieser mündliche Schlagabtausch vor einem geplanten Tempolauf statt gefunden, dann wären seine Auswirkungen positiv zu bewerten. Aber in der beschriebenen Form ist er mehr als kritisch zu sehen, weil mit ihm die Gruppenharmonie empfindlich gestört wird und in der Folge bei ständiger Wiederholung solcher Szenen die ganze Trainingsformierung platzen kann. "Wo wart ihr denn?" "Wir laufen jetzt schon immer um 9:30 Uhr los!"
Eine Besonderheit dieses Gruppentrainings ist ein Trainingslager(-urlaub). Hier sieht sich plötzlich jeder einer völlig neuen Konkurrenzsituation gegenüber, der Rang in der Gruppe (Hackordnung) muss erst festgelegt werden. Da schlagen dann die Hormone Purzelbäume und einige - meist Herren - überfordern sich völlig. Bei unseren Trainingsurlauben teilen wir vor dem ersten Start die Teilnehmer in Leistungsgruppen ein, die sich nach der persönlichen Leistungsfähigkeit des Einzelnen orientiert. Die meisten ordnen sich auch ein, aber einige Ehrgeizige denken gar nicht daran, sich in der Gruppe aufzuhalten, zu der sie aufgrund ihrer Fähigkeiten gehören.
Um dieser Gruppenorientierungslosigkeit Herr zu werden, setzen wir im Training nach dem Anreisetag sofort einen Tempodauerlauf oder so eine schöne Sache wie 3 x 4000 m an. In früheren Jahren habe ich noch versucht, den Teilnehmern ein Tempo vorzugeben. Völlig zwecklos! Nach dem Start sieht man nur eine Staubwolke und dann geht die Post ab. Ich mag gar nicht hinsehen, so wird da losgeknallt. Aber mit der Zeit beruhigt sich die Situation und die Normalität kehrt ein.
Das wirklich Interessante an der Sache aber ist, dass zum Beispiel in jedem Trainingsurlaub eine erhebliche Anzahl der Teilnehmer in diesen Trainingsläufen eine persönliche Bestzeit über 10 km erreicht. Immer wieder wird angenommen, dass unsere Strecken zu kurz vermessen sind. Sind sie aber nicht, wir geben uns die größte Mühe, so exakt wie möglich zu messen.
Wie ist so etwas möglich, dass jemand im Training schneller läuft als im Wettkampf? Das ist leicht erklärt! Jeder Einzelne muss sich der Situation einer neuen Gruppe ohne Leistungs-Orientierungspunkte stellen. In praktisch jedem Volkslauf gibt es eine Anzahl Läufer(innen), an der man sich orientieren kann und diese sind dann auch nach dem Ende des Wettkampftages bis zum nächsten verschwunden.
Im Trainingsurlaub sind alle neu und die sind auch am nächsten Tag noch da. Diese Situation setzt die Teilnehmer(innen) gewaltig unter Stress und sie rennen wie die Hasen. Da aber das Training geleitet und Sorge getragen wird, dass die Folgetrainings ruhig ablaufen, kommt es durch dieses hoch engagierte Training zu teilweise dramatischen Leistungszuwächsen im Nachfeld des Trainingslagers.
Erfahrene Läufer(innen) wissen diese besondere Gruppen-Situation zu nutzen und gehen regelmäßig besonders im Frühjahr in ein Trainingslager, um in Schwung zu kommen. Und wenn wir es richtig hinterfragen, sind es doch nur die hausgemachten Hormone, die diesen Schwung verursachen. In einem der nächsten Newsletter verrate ich noch mehr Rezepte, wie man sich Leistungshormone verschafft, wenn man sie benötigt.