"Wo sind 30.000 Marathonläufer geblieben?" fragten wir neulich in unserem Newsletter und das Feedback der Leser war umfangreich, konstruktiv und differenziert. Umgekehrt darf die Frage erlaubt sein, ob es denn irgendwo im Langstreckenlauf spürbaren Zuwachs gibt. Das kann mit einem klaren Ja beantwortet werden, wenngleich der Zuwachs genauso klar nicht in vollem Umfang in eine einzige Richtung geht, sondern sich auf mehrere Bereiche verteilt.
In den vergangenen Jahren übte offenbar das so genannte "Trailrunning" einen sehr attraktiven Reiz auf viele Läufer aus. Die Definition dafür ist schwammig und nicht fest greifbar. "Trail" kann in unserem Zusammenhang mit "Pfad" oder "schmaler Weg" übersetzt werden. Der gute alte Crosslauf ist jedoch hier nicht gemeint. Den gab es nun schon immer, ist seit Jahrzehnten aber eher der reine Wettkampf auf vergleichsweise kurzen Strecken.
Während früher tatsächlich noch "cross", also regelrecht querfeldein gelaufen wurde im Rennen, Hindernisse zu bewältigen und zum Teil grundloser Boden zu überwinden war, sind zumindest in Deutschland aus diversen Gründen die Strecken heute überwiegend harmloser geworden.
Das heutige Trailrunning ist etwas anderes. Gemeinhin so bezeichnet wird das Laufen sowohl im Training und auch im Wettkampf abseits urbaner Streckenführungen und normierter Entfernungen. Durch die Natur, auf wirklich unbefestigten Wegen, wenn vorhanden über Bergpfade, nicht bestimmten Zeitvorgaben folgend. Abseits jeglicher Normen und Regelwerke.
Streckenvermessung? Nicht immer, aber oft Fehlanzeige. Und auch nicht relevant. Internationale Wettkampfregeln und andere leichtathletische Vorschriften? Passt hier nicht und deshalb nicht vorhanden. Fast unendliche Freiheit wird von den Trailläufern genossen. Und erwartungsgemäß bunt ist die Szene und sind die Charaktere, die hier anzutreffen sind. Für viele von ihnen steht eine hohe sportliche Leistung im Vordergrund, jedoch nicht die Hatz nach Sekunden und Bestleistungen auf Normstrecken. Während manche Hobbysportler beim Stadtmarathon bewusst Sightseeing betreiben, genießen Trailläufer auf die gleiche Weise ihre Umgebung – jedoch im Unterschied zum Cityläufer die prachtvolle Natur.
Ich erinnere mich an einen Ultralauf, der mich durch meine heimischen und auf jedem Meter bekannten Wälder führte – in der Nacht. Ich lief allein in meiner Position des Rennens und der Genuss der mir wohl bekannten Landschaft war endlos. Während die visuelle Wahrnehmung zwangsläufig auf den Schein der Stirnlampe beschränkt war, sind alle weiteren Sinne hellwach. Die Geräusche der Tiere im Wald erleben zu können, war unbeschreiblich schön, keineswegs bedrohlich. Es war, als würde plötzlich eine schon immer parallel existierende Welt erwachen, in deren Ausdehnung man klein und unbedeutend ist. Ein Erleben unseres Sports, das mit nichts Anderem vergleichbar ist.
Der Trubel und das Getröte eines Stadtmarathons hingegen, in dessen Verlauf bei ambitioniertem Anspruch nichts als die Zeit an der nächsten Kilometermarke mit Weitblick auf die Endzeit zählt, erscheint in solchen Momenten vollkommen unbedeutend. Sogar die Zivilisation an sich kann manchmal als störend empfunden werden.
Der sportliche Wert von Trail-Läufen tritt dabei allerdings keineswegs in den Hintergrund. Im konkreten Fall ging es damals um den Gesamtsieg des lokalen Rennens, um den sich meine Gedanken trotz des Naturgenusses in erster Linie drehten. Wer darüber hinaus eines der weltweit bedeutenden Toprennen gewinnen will, muss definitiv sogar eine Weltklasseleistung bringen.
Ganz besonders unter den Ultraläufern ist eine Interessenentwicklung hin zu Trail-Läufen zu beobachten. Die Anzahl der offiziellen und auch privat organisierten inoffiziellen Veranstaltungen steigt ständig an und die Nachfrage ist hoch. In Deutschland, vor allem aber auch in den Schwerpunktländern des Trail-Laufes. In Frankreich, Italien und in den USA hat der Trail-Ultra bereits einen sehr hohen Stellenwert.
Um an Rennen wie dem 166 km langen "Utra Trail du Mt. Blanc" (UTMB) mit 9500 zu bewältigenden Höhenmetern in den Alpen teilnehmen zu können, benötigt man eine vorzuweisende läuferische Qualifikation. Und dennoch: Alle 2500 (!) Startplätze sind in kürzester Zeit nach der Meldeeröffnung an Läufer aus aller Welt vergeben, die an einem Freitagabend Ende August im französischen Chamonix am Start stehen dürfen. Auf Youtube findest du folgenden hochaufgelösten Film aus dem Jahr 2011 vom UTMB, welcher dir die Dimensionen dieses Laufs zeigt.
In den USA eine ähnliche Situation. Zugang zu den bedeutungsvollsten Rennen, dem sehr schweren "Hardrock" (100 Meilen mit etwa 11.000 Höhenmetern) und der Urmutter aller 100 Meilenläufe, "Western States" in Kalifornien, jeweils mit mehreren hundert Teilnehmern, ist nur über Qualifikationsläufe und zum Teil Glück in der Lotterie die Zulassung zum Rennen möglich. Die Sieger der weltweit bedeutungsschweren Rennen genießen sehr hohes Ansehen.
Während viele Ultraläufer scharf nachdenken müssen, wer eigentlich amtierender Weltmeister im 100km- oder 24h-Lauf ist, können in vielen Fällen die aktuellen Sieger des UTMB oder unter Amerikanern vom Hardrock oder Western States schnell genannt werden. Ein Vergleich zum Triathlon drängt sich auf. Hohes Ansehen genießt zweifelsohne ein Weltmeister. Wer aber den Ironman auf Hawaii gewinnt, schreibt Geschichte.
Trailläufer, insbesondere Ultra-Trailläufer sind inzwischen kommerziell interessant geworden. Von diversen Ausrüstern sind bereits Teams von bezahlten Profiläufern gebildet worden, die ähnlich wie im Radsport von Läufern unterschiedlichster Nationalität zusammengesetzt sind. Diese dienen als sportliche Vorbilder und Trendsetter in Ausrüstungsfragen. Während im Stadtmarathon vielen das T-Shirt, kurze Hose und Laufschuhe reicht, sind beim Trailultra je nach Verlauf, Länge und Schwere der Strecke viel umfangreichere Packlisten vonnöten. Bekleidung für unterwegs wechselnde Temperaturen und Wetterlagen, GPS-Geräte, leistungsstarke Stirnlampen, eventuell Teleskopstöcke im Gebirge und noch mehr.
Trailrunning ist nicht einfach ein neuer Trend. Es bietet jedem Läufer ganz neue Horizonte. Wir beobachten, dass nicht selten Läufer von Jahr zu Jahr immer aufs Neue im Frühjahr und im Herbst einen Marathon vorzubereiten müde werden. Jedes Jahr das Gleiche. Bei einigen schwindet die Motivation dafür, obwohl sie prinzipiell Spaß am Laufen haben. Einfach andere Ziele setzen, sich auf andere Dinge mit gleicher Hingabe vorbereiten, kann eine Lösung sein dem Sport noch viele weitere Jahre treu zu bleiben.
Erfolgreiches (Ultra-) Trailrunning ist meist die Summe aus Erfahrungen. Wenn du dir vorstellen kannst, an solchen Läufen teilzunehmen, suche Kontakt zu anderen Läufern, die bereits das geschafft haben, wo du noch hin möchtest. An deutschsprachiger Lektüre zur echten Informationsgewinnung gibt es noch nicht viel. In wenigen Tagen erscheint wieder das "Trail-Magazin" am Kiosk, welches in Deutschland unter den entsprechenden Läufern einen hohen Verbreitungsgrad hat. Für die Terminfindung insbesondere von Ultra-Trailläufen sei die Terminliste der Deutschen Ultramarathon Vereinigung empfohlen, in der du übersichtlich nach Streckenlängen und Ländern filtern kannst.
Trainingsmethodisch benötigst du für solche Läufe zunächst ein ganz herkömmliches Marathon- oder Ultralauftrainig als unverzichtbare Grundlage. Und – eine ganz unbequeme Wahrheit für Viele – du benötigst dabei auch regelmäßiges Tempotraining. Selbst wenn dein Gedanke ausschließlich das Erreichen des Ziels und weniger die Endzeit ist, ist Tempotraining völlig unverzichtbar für dich.
Vor allem bei den langen Trail-Ultraläufen bist du einen langen Zeitraum den äußeren Umständen ausgesetzt. Benötigst du mangels höherer Laufgeschwindigkeit mehr Zeit zum Erreichen des Ziels, bist du den negativen Einflüssen wie z.B. Kälte und Dauerregen länger ausgesetzt. Je nach Streckenlänge kann es möglich sein, dass du nicht nur eine ganze Nacht, sondern als langsamer Läufer auch noch eine zweite überstehen müsstest. Das bedeutet, je langsamer du läufst, je mehr Angriffsfläche bietest du deinem "Schweinehund", dir den vorzeitigen Abbruch zu versüßen. Je schneller du durch bist, je geringer ist das Zeitmaß, in dem du diese negativen Einflüsse bewältigen musst.
Mit einem "einfachen" Marathontraining allein ist es jedoch lange nicht getan. Absolviere insbesondere die langen Läufe in deinem Training auf möglichst mit der Wettkampfstrecke ähnlich anspruchsvollem Gelände, sofern das überhaupt machbar ist. Laufe auch zum Ende von langen Trainingsläufen, wo du bereits steif bist wie eine Bahnschiene, gerade deshalb nochmals über Wurzel- oder Steinwege und abwechselungsreichem Wegverlauf. Das dient deiner Koordination und deiner Konzentration.
Über Trainingsmethodik hinaus sind Ausrüstungsfragen und der Umgang mit dieser Ausrüstung zu klären. Was brauchst du zu welchem Zeitpunkt des Rennens oder des langen Trainingslaufes und wie kommt die benötigte Ausrüstung dahin?
Auf der Internetseite des von meinem Heimatverein veranstalteten Trail-Ultralaufes "STUNT 100" sind viele grundsätzliche Hinweise zu der Aufgabe der persönlichen Vorbereitung eines solches Laufes zu finden.
Alles Gute in diesen Tagen,
Hansi Köhler