Vor einigen Wochen hatte unser Newsletter das Thema "Zielsetzung". Mir ganz persönlich geht es oft so, daß wenn ich ein großes läuferisches Ziel erreicht habe, welches ich mir selbst steckte, direkt danach in ein Motivationsloch falle, sofern ich nicht vorbeuge.
Das kann zum Beispiel der Frühjahrsmarathon sein. Auf diesen hat man sich monatelang mehr oder weniger konsequent vorbereitet. Je wichtiger einem dieser eine Lauf war, je mehr hat die Vorbereitung dieses Laufes auch das Privatleben erfasst und die Gedanken kreisen immer mehr um das große Ziel. Egal, wie letztendlich das Rennen ausgegangen ist, Du hast es dann erstmal hinter Dir und kannst das Ergebnis nicht mehr verändern.
Wünschenswert wäre dann, wenn Du Dich sofort in einen Zustand versetzen könntest, frei abgewandelt nach Sepp Herberger, "Nach dem Lauf ist vor dem Lauf". Ansonsten besteht wiederum die große Gefahr des ziellosen Herumjoggens über den Sommer in vom Grillgutgeruch geschwängerter Luft. Eine Gewichtsveränderung und Trainingskilometervermeidung könnte die Folge sein.
Aus diesem Grund befasse Dich jetzt schon langsam mit Gedanken für die Zeit "danach", ohne Dein jetziges Ziel aus den Augen zu verlieren. Die Zeit im Zustand einer neuen Bestzeit, die Du Dir vielleicht kaum erträumen konntest. Oder auch den Zustand der Leere, wenn Du auch im 5. Anlauf Deine realistische Leistung nicht bringen konntest.
Erinnere Dich: Was wäre gewesen, wenn Du den Marathon im Trainingstempo gelaufen wärst? Hättest Du nach 42,2 km Schluß machen müssen oder wären noch einige Kilometer drin gewesen? Wieviele? 5 oder 10? Noch mehr?
Der in Deutschland mittlerweile völlig etablierte Ultralangstreckenlauf könnte eine neue Herausforderung für Dich sein. Man spricht hier von allen Streckenlängen jenseits der Marathondistanz. Es gibt mittlerweile zum Einstieg 50 km-Strecken bis hin zu 5000 Km langen Kontinentaldurchquerungen, ausgetragen als Rennen!
Insbesondere bei den ganz langen Strecken über 24 Stunden Renndauer und länger wird zwangsläufig ein äußerst langsames Tempo gelaufen. Viele Ultraläufer müssen sich deshalb wenig qualifizierte Meinungen anhören, die da heißen, dieses hätte nichts mehr mit Sport zu tun.
Auch wird davon gesprochen, daß Läufer deshalb auf die Ultradistanz ausweichen, weil sie auf kurzen Strecken zu langsam sind. Vielleicht mag das in Einzelfällen zutreffen. Ich halte das "Argument" für Blödsinn. Die meisten Ultraläufer haben sich für diese Distanzen entschieden, weil sie einen besonderen Reiz darin sehen. Nicht aber, weil sie auf kürzeren Langstrecken zu langsam sind. Schließlich ist auch der Marathonläufer ein solcher nicht deshalb geworden, weil er als Mittelstreckler nichts getaugt hätte. Die Mittelstrecke ist ihm völlig einerlei. Der Mittelstreckenläufer wird das Tempo des Marathonläufers wohl auch nie ganz für voll nehmen. Solange, bis er es ausprobiert.
Wer sich objektiv mit Ultralangstreckenlauf beschäftigt, stellt unweigerlich fest, daß nur diejenigen Läufer ganz vorn sind, die auch "untenherum" recht schnell laufen können. In der Regel sind im deutschen Spitzenbereich über 100 km Männer, die im Marathon unter 2:30 h schaffen. Und auch die Frauen der deutschen Spitze bewegen sich unter 3 Stunden auf der kürzeren Strecke. Der aktuelle Frauenweltrekord im 100 Km-Lauf steht bei 6:33:11 h (3:56 min/km!). Die japanische Inhaberin Tomoe Abe hatte meines Wissens zum Zeitpunkt des Rekordes eine Marathonbestzeit von 2:26 h.
Kommentar von Peter Greif:
"Hansi Köhler, ist - wie man unschwer bemerkt - ein begeisteter "Ultra" ist. Es fällt mir sehr schwer, seine Begeisterung mit folgenden Zeilen etwas zu dämpfen: In der Regel verlieren Ultraläufer nach erfolgter Trainingsumstellung ca. 10 min auf ihre Marathon-Wettkampfzeiten. Dagegen helfen wohl auch die von mir in die Ultrapläne eingestreuten Tempoeinheiten nur wenig. Obwohl der schnellste 100 km-Läufer des Greif Clubs, Dr. Dr. Lutz Aderhold, der schneller als 6:40 h lief, ich glaube 6:37, auch einmal eine 2:29 über 42,2 km schaffte.
Das eigentlich Schlimme am Ultratraining ist aber, dass auch fast niemand, der mehrjährig Ultraläufer(in) war den Rücksprung schafft. Die Zeiten bleiben auch bei einer Abkehr vom Ultratraining praktisch immer unter dem früheren Niveau. Auch bei Hansi Köhler!
Dies sind natürlich praktische Erfahrungen, die ich während meiner langen Zeit als Trainer und Läufer machte. Belegte Zahlen von den Ultras des Greif Clubs, kann ich nicht vorweisen, deren Anzahl ist doch vergleichsweise gering.
Eines kann ich aber belegen: Einzelne Ausflüge auf die Ultrastrecken schaden den Marathonzeiten nicht!"
Im letzten Jahr befragte ich Peter Greif zum Sinn meiner häufigen Tempoeinheiten im von ihm erhaltenen Jokerplan für einen Ultra.
Er erkärte mir das sinngemäß so: Wer beispielsweise plant, 100 Km in 12 Stunden zu laufen, hat einen rechnerischen Schnitt von 7:12min pro Km. Wer 10 km in 40 min laufen kann (4:00min/km), hat mit diesem Tempo weniger Schwierigkeiten, als jemand mit einer Bestzeit von 55 min (5:30min/km). Natürlich geht es auch darum, diese Schnelligkeit in Ausdauer umzusetzen. Vorteilhaft ist aber, die Schnelligkeit als Voraussetzung zu haben. Für mich völlig einleuchtend. Und der Plan führte zum Erfolg. Siehe unten.
Je länger die Strecke ist, je mehr spielen jedoch mentale Fähigkeiten eine Rolle. Von erfahrenen Kontinentaldurchquerern hört man, daß hier ein ständiges Krisenmanagement erforderlich ist. Und schon im 100 km-Lauf stellt sich nicht die Frage "Bekomme ich eine Krise?", sondern eher, "Wann bekomme ich die erste Krise und wieviele werden es?" Du wirst im Rennen mehrfach Dein Unternehmen sehr ernsthaft in Frage stellen. Natürlich ist dies im Marathon auch so, jedoch beim Ultra in ganz anderer Intensität und die rationalen Gründe für einen Rennabbruch wiegen viel schwerer. Um diese mentalen Krisen bewältigen zu können, solltest Du Dich in den Wochen vor dem Rennen, insbesondere wenn es Dein erster Ultra ist, häufig mit den möglichen Fragen nach dem "Warum das Ganze?" beschäftigen. Finde bereits vor dem Rennen Deine persönlichen Antworten auf Deine Fragen. Ich schwöre Dir, im Rennen, wenn vielleicht beim 24-Stundenlauf nachts nach weit über 100 gelaufenen Kilometern alle verfluchten Blasen- und Muskelschmerzen dieser Welt bei Dir versammelt sind, hast Du definitiv nicht mehr die Stärke, die Antworten zu finden!
Halte sie also vorher schon bereit, so daß Du sie abrufen kannst. Weil Du nicht wissen kannst, was alles auf Dich zukommt, ist erfolgreiches Ultralaufen auch bei vielen Läufern die Summe der gesammelten Erfahrungen.
Hierzu ein ganz persönliches Erlebnis: 2004 nahm ich an einem Lauf über 100 Meilen Trail (160,9 Km) teil. 2 Jahre zuvor beim gleichen Rennen bin ich wegen mentaler Schwächen nach 100 km im strömenden Dauerregen gescheitert. Dieses mal sollte es unbedingt klappen.
Wir liefen gegen Ende des Rennens in der Spitzengruppe zu dritt. Auf kurzen Strecken bis Marathon war ich von uns klar der Schnellste. Aber in der Nacht, etwa ab km 120, war meine bleiernde Müdigkeit mein leistungsbegrenzender Faktor. Wäre ich auf dem Waldweg hingefallen, ich wäre innerhalb Sekunden eingeschlafen. War ich fertig!!! Meine beiden Mitläufer jedoch waren äußerst erfahrene Kontinentaldurchquerer. Markus Müller nahm 2001 am "Race across the fire" teil. Ein etwa 4500 km langer Lauf mitten durch Australien. Unerträgliche Hitze und eine völlig desolate Organisation machten den Läufern neben ihrer eigentlichen Aufgabe das Leben schwer.
Außerdem Franz Häusler. 2003 finishte er den ersten Trans-Europa-Lauf von Lissabon nach Moskau über rund 5000 km. Ich fühlte mich mit meiner minimalen Erfahrung sehr, sehr klein neben diesen Top-Leuten.
Der einzige Gedanke, der mich aufrecht erhielt, lautete, "Mit welchen richtigen Problemen sind meine beiden Mitläufer bei Ihren Kontinentaldurchquerungen fertig geworden und wie winzig und unbedeutsam sind doch jetzt meine eigenen Probleme dagegen?"
Wir erreichten zu dritt das Ziel in neuer Streckenrekordzeit. Mein öffentlicher Dank Euch beiden, solltet Ihr diesen Newsletter lesen!
Wenn Du einen Reiz auf Distanzen jenseits des allgemeinen Marathon-Horizontes finden kannst, hast Du ein breites Streckenangebot. Nach meiner persönlichen Einschätzung eignet sich für den Einstieg sehr gut der 6-Stundenlauf, auch wenn einzelne hier vielleicht die Marathondistanz nicht sehr deutlich überschreiten. Ziel ist, auf einer kurzen Runde in 6 Stunden so weit wie möglich zu laufen. Dies hat zwei gewaltige Vorteile, insbesondere für Neulinge. Wer im Marathon platt ist und das große Wandern bekommt, erreicht das Ziel nach längerer Zeitdauer als wenn er durchgelaufen wäre. Die Qual dauert also zeitlich länger.
Ist der Lauf zeitbegrenzt, ist für alle das Ende gleich weit entfernt. Wenn Du hier zum Wanderer wirst, ist Dein Ergebnis zwar schlechter, die Qual dauert jedoch nicht länger. Wie schön!
Der zweite Vorteil sind die kurzen Runden von üblicherweise 1 bis 3 km. Wenn Du da mal eine ernste Schwäche bekommst, sagst Du zu Dir, "die nächste Runde gehe ich eben, dann laufe ich wieder". Würde der Lauf auf z.B. 10 km-Runden stattfinden, würdest Du an diesem Punkt womöglich eher aufgeben, als noch so eine große Runde zu beginnen.
Übliche zeitbegrenzte Läufe sind solche über 6 Stunden, 12 und 24 Stunden. Der längste, mir bekannte zeibegrenzte Lauf in Deutschland ist der 48-Stundenlauf in Köln Mitte Juli.
Selbstverständlich wird der 100 km-Lauf immer eine Bedeutung haben. Seit 1987 gibt es hier offizielle deutsche Meisterschaften. Du kannst wählen zwischen pfeilschnellen 10km-Runden auf Asphalt. Oder auch Großveranstaltungen mit Erlebnischarakter, wie dem berühmten Klassiker im schweizerischen Biel mit einigen tausend Teilnehmern und nächtlichen Volksfesten an der Strecke.
Landschaftsultras erleben als Gegenstück zu den Stadtmarathons ebenso wie diese einen Boom. Der Rennsteiglauf über rund 72 km ist sicherlich der bekannteste in Deutschland. Die gelaufenen Zeiten sind aufgrund der unrunden Streckenlänge und des häufig profilierten Streckenprofils nicht vergleichbar. Es entfällt also der übliche Bestzeitenstreß. Es gibt wunderschöne Strecken in Deutschland oder dem nahen Ausland. Die Herausforderung der individuellen Streckenbewältigung ist oft deutlich höher als die Endzeit.
In den Laufzeitschriften fand man in der Vergangenheit mehrmals Berichte über den Mont-Blanc Ultra-Trail, eine Non-Stop-Umrundung des Mont-Blanc Massivs über 155 Km und 8500 Höhenmeter. Zwar hat der Veranstalter Cut-off-Zeiten verhängt, also Zwischenzeiten, zu denen bestimmte Streckenpunkte erreicht sein müssen. Sofern man diese jedoch einhält, ist die Endzeit eines solchen Abenteuers den meisten völlig wurscht. Das Ziel unter diesen schweren Voraussetzungen zu erreichen steht im Vordergrund.
Die im deutschsprachigen Raum wohl am stärksten frequentierteste Seite zum Thema Ultralangstreckenlauf ist eine private: www.steppenhahn.de/ultramarathon. Dort hinterlegt sind nicht nur umfangreiche Terminlisten für Ultralaufveranstaltungen, sondern auch weiterführende Links zum Thema.
Ich wünsche Dir Mut und Entschlossenheit, den ersten Schritt hin zum Ultralauf zu wagen.
Enden möchte ich mit meinem Lieblingssprichwort, welches ich als Wandbild im Behandlungsraum einer Zahnarztpraxis (!) gelesen habe:
"Wenn Du Deinen Blick anhebst, siehst Du keine Grenzen mehr!"