Dieser Tage erhielt ich eine Mail von Burkhard Widera aus Lienen. Er bezog sich auf den Greif Newsletter-Artikel vom 02.08.11 mit dem Titel "Wie lange bereite ich einen Marathon vor?"
Dort schrieb ich unter anderem: "Eine unmittelbare Vorbereitung auf die 42,2 km-Strecke dauert sechs Wochen, nachfolgend dann zwei "Taperwochen" vor dem Rennen. Auf gut Deutsch, angepasste Erholungswochen nach dem harten Training."
Dazu hatte Burkhard einige Fragen:
"Hallo Peter,
schön und gut, eine Marathonvorbereitung dauert vielleicht 4 Vorbereitungswochen, 6 harte Trainingswochen mit den 35nkm-Läufen sowie der Endbeschleunigung und dann noch 2 Taperwochen. Die deutsche Frauenfußballmannschaft hat hier vielleicht zuviel des "Guten" getan - egal!
Doch ... 1) was heißt denn hier Taperwoche, was bedeutet der Begriff eigentlich genau, wie geht man da vor?
2) Was ist denn nun, wenn wir so wie die Frauenfußballerinnen zuviel des guten tun? Was passiert mit dem Körper, den Muskeln, den Enzymen, dem Blut, dem Herzkreislaufsystem, dem inneren Strom ... dass es nicht mehr voran geht? Gibt es dafür medizinische Erklärungen oder vielleicht sportwissenschaftliche, oder hast du als Trainer dir dazu eine Meinung gemacht und einen Verdacht woran es liegt?
Vielleicht könntest du diese Fragen als eines deinem nächsten Themen zu diesem Bericht gesellen, würde gerade super passen, finde ich.
Übrigens: In unserer Trainingsgruppe diskutieren wir die Inhalte deiner Mail regelmäßiger und lebhafter als die Ergebnisse der Frauen- und Männerfußballnationalmannschaft. Das soll eine Wertschätzung sein!
Schönen Dank und allerbeste Grüße, Burkhard Widera"
Will ich gerne machen und diese beiden Fragen beantworten. Es gibt einmal das deutsche Tapern, was auch so ausgesprochen wir wie geschrieben und so viel heißt, wie sich unbeholfen, unsicher fortbewegen.
Ferner wird in der Triahtlonszene "Tapern" zur Beschreibung der letzten Wochen vor einem Triathlon genutzt und dieses spricht man "tepern" aus. Es ist so ein spezieller Begriff, dass ihn nicht einmal Wikipedia kennt.
Tapern wird in der Dreikampfszene dazu genutzt, wie bei uns das langsame Herunterfahren des Trainings vor einem Wettkampf, um am Renntag eine möglichst hohe Leistung zu erzielen.
Es wird festgehalten, wie und wann man sich welche Einheiten noch erlauben kann und mit welchen Intensitäten die einzelnen Disziplinen trainiert werden. Ich empfinde das, was die Trias in dieser Zeit machen müssen, als deutlich schwieriger als unsere "Taperphase".
Bei denen gehört auch noch dazu, dass das Material in Ordnung und vorhanden ist. Transport und Einlagerung geregelt sind. Zudem müssen sie sich auch deutlich größere Ortskenntnisse aneignen als wir. Natürlich gehört auch die entsprechende Nahrungsversorgung vor dem Rennen zum "Tapern".
Wahrscheinlich kommt das Wort "Tapern" vom englischen "to tape" oder "to tape up". Etwas mit einem Klebeband sichern oder umwickeln. Ich hoffe, dass ich diese erste Frage ausreichend beantwortet habe. Wenn nicht, dann sollte mich jemand aus der Tria-Szene korrigieren.
Die zweite Frage lautete: "2) Was ist denn nun, wenn wir so wie die Frauenfußballerinnen zu viel des guten tun? Was passiert mit dem Körper, den Muskeln, den Enzymen, dem Blut, dem Herzkreislaufsystem, dem innern Strom ... dass es nicht mehr voran geht? Gibt es dafür medizinische Erklärungen oder vielleicht sportwissenschaftliche, oder hast du als Trainer dir dazu eine Meinung gemacht und einen Verdacht woran es liegt?"
Eine solche Frage an einem Laientrainer zu stellen, ist eigentlich eine Frechheit, weil ganz sicher ist, dass sie niemand auf dieser Welt erschöpfend beantworten kann. Aber weil Burkhard nun gerade mir so etwas zutraut, verzeihe ich ihm und werde mich auch Bemühen ihn in seinem Wissendurst zufrieden zu stellen.
Wir können das Ganze klären ohne etwa Enzyme, Herzkreislaufsystem oder den "inneren Strom" dazu heran zu ziehen. Es reicht dazu unsere oft genutzte "Trainingswut". Diese zeichnet sich durch immer wiederkehrende Trainingsbelastung ohne nötige Pausen aus.
Sie setzt Körper und Geist einem Druck aus, der bekannter Weise Stress genannt wird. Der allgemein gültige Witz dazu lautet: "Wenn ein Manager einmal 8 Stunden am Stück arbeiten muss, dann ist er gestresst." Dieser Stress wird im allgemeinen verharmlost, was er aber nun in keiner Weise ist.
Er kann eine lebensbedrohliche unspezifische Reaktion unseres Organismus durch Stressoren sein, die sogar zum Tode führen kann. Laut Wikipedia wird er so beschrieben:
"Stress beim Menschen
Definition: Eine Stressreaktion ist ein subjektiver Zustand, der aus der Befürchtung entsteht, dass eine stark aversive, zeitlich nahe und subjektiv lang andauernde Situation wahrscheinlich nicht vermieden werden kann. Dabei erwartet die Person, dass sie nicht in der Lage ist, die Situation zu beeinflussen oder durch Einsatz von Ressourcen zu bewältigen.
Unter Stress versteht man somit die Beanspruchung (Auswirkung der Belastungen auf den Menschen) durch Belastungen (objektive, von außen her auf den Menschen einwirkende Größen und Faktoren). Diese können z. B. physikalischer Natur sein (Kälte, Hitze, Lärm, starke Sonneneinstrahlung etc.) oder toxische Substanzen (z. B. Rauch stresst den menschlichen Körper)
Auch psychische Belastungen sowie bestimmte eigene Einstellungen, Erwartungshaltungen und Befürchtungen können auf emotionaler Ebene Stressoren sein. Stress ist also die Anpassung des Körpers an diese Stressoren, bzw. seine Reaktion auf diese."
Auch Leistungstraining mit dem Ziel eine hohe Leistung zu erzielen ist Stress. Er versetzt den Körper durch die Ausschüttung der körpereigenen Stresshormone, die zusammengefasst Katecholamine genannt werden, in höhere Leistungsbereitschaft.
Die Hauptwirkungsträger sind Adrenalin, Noradrenalin und Dopamin. Diese Hormone erhöhen den Blutdruck, die Herzfrequenz und die Kontraktionsfähigkeit der Muskulatur, besonders der des Herzmuskels.
Steht ein Mensch unter Stress, ist er leistungsfähiger als ohne. Warum aber ist denn dieser Stress dann so schädlich? Denn Schaden nimmt der Mensch erst durch dauerhaften Stress.
Untersucht hat diesen Dauerstress der weltberühmte kanadisch-österreichische Wissenschaftler und 48-facher Ehrendoktor Hans Seyle.
Zu diesem Thema habe ich schon Newsletter vom 31.05.2011 mit dem Titel "Leistungseinbruch beim Marathon" geschrieben:
Hans Seyle war ein österreichisch-ungarisch-kanadischer Wissenschaftler und der Vater der Stressforschung. Wir nutzen seine Wortschöpfung "Stress" heute im allgemeinen Sprachgebrauch sehr häufig. Jugendliche haben Stress mit ihren Eltern und Erwachsene müssen zwangsläufig Stress am Arbeitsplatz haben, sonst gelten sie nichts.
Seyle belegte Stress mit Tierversuchen. Er nahm Mäuse, setzte sie in Käfige, versorgte sie gut mit Futter und senkte die Temperatur der Käfige dann aber um 10 Grad. Dazu muss man wissen, dass Mäuse wärme liebende Tiere sind. So war es ihnen in ihren Käfigen dann auch viel zu kalt. Sie befanden sich in einer Temperatur-Stresssituation. Was taten die Mäuse? Sie passten sich den Umweltbedingungen an, bekamen ein dichteres Fell und rannten mehr in den Laufrädern, um sich warm zu halten.
Das ging auch einige Wochen gut, die Mäuse wurden dabei immer fitter. Aber nach weiteren Wochen wurden die Mäuse apathisch und starben kurze Zeit später ausnahmslos. Sie konnten einen Stress über einen gewissen Zeitraum gut vertragen, in dem sie sich den unwirtlichen Umweltbedingungen anpassten. Dazu schüttete ihr Organismus die Stresshormone Cortisol, Adrenalin und Noradrenalin aus. Sie versetzten den Körper der Mäuse in eine höhere Leistungsbereitschaft.
Aber irgendwann war die Fähigkeit der Mäuse erschöpft sich anzupassen. Das Fell konnte genetisch bedingt nicht mehr länger wachsen und rennen konnten sie auch nicht den ganzen Tag. Auf Dauer erkannte ihr Organismus diese hohe Belastung als krankhaft und drehte den Hormonhahn zu. Die Mäuse konnten sich nun nicht mehr aufwärmen und starben durch den Temperaturstress.
Hätte man bei diesem Versuch die Tiere wieder einige Wochen in wärmeren Bedingungen gehalten, hätten sie später wieder in eine neue Stufe der Anpassung in einen kalten Käfig ausgehalten. Dazu wäre der Organismus auch wieder bereit gewesen leistungsfördernde Stresshormone auszuschütten.
Ich habe mir die Erfahrungen von Hans Seyle zum Prinzip meiner Trainingspläne gemacht. Ein Mensch kann eine gewisse Dauer hohe Trainingsbelastungen ertragen und antwortet auch mit positiven Anpassungserscheinungen. Nur muss man ihn immer wieder aus dem Trainingsstress heraus nehmen, um ihn nicht zu überfordern.
Dies geschieht, in dem man nach einer harten Trainingsbelastung eine leichtere absolviert und nach einem harten Trainingsblock über mehrere Monate wieder einige Wochen Regeneration nachfolgen lässt. So wird alles genutzt, um positive Fortschritte zu erzielen, ohne dass es zum Dauerstress kommt.
Das bedeutet aber auch, dass jeder Mensch nur ein gewisses vorgegebenes Anpassungspotential innerhalb eines Jahres abrufen kann. Wenn er diese mögliche Leistungssteigerung aber schon "einkassiert" hat, dann ist es ihm nicht mehr möglich durch noch mehr Training weiter Fortschritte zu erzielen.
Er kann genauso nicht, wie analog zu den die Mäusen von Seyle, immer schneller laufen und auch nicht dauerhaft seine Umfänge steigern, um die angestrebte Leistung nun möglichst noch in diesem Jahr zu erreichen.
Er muss erst wieder seine Trainingsbelastung nach unten schrauben, was heißt einen Regenerationszeitraum einlegen, um sich danach durch hartes Training auf eine weitere Leistungsstufe zu schwingen.
Um auf die Frage von Burkhard zurück zu kommen: Wenn nun dieser Trainingsrhythmus unter der großen Erwartungshaltung der deutschen Fußball-Frauennationalmannschaft nicht eingehalten wurde oder konnte, dann könnte die deutlich sichtbare mangelnde Frische bei der WM der oder mit der Grund für das unerwartet schlechte Abschneiden sein.
In der Person von Birgit Prinz drückte sich in Mimik und Körpersprache ein solches Übertraining auch aus. Die arme Frau war schon "fertig", bevor die WM überhaupt begonnen hatte. Und sie wollte es doch so gut machen.
Und wir kennen das auch, denn so manches Mal stehen wir uns mit unserem Leistungsehrgeiz selber im Wege. Das weiß niemand besser als der Autor dieser Zeilen, der sich oft in fast selbstmörderischer Form übertrainiert hat, aber daraus auch gelernt hat.