Holger Meier ist wieder da! Die frei erfundene Fantasiefigur, die wohl fast jeder wettkampforientierte Läufer hat und die es unter allen Umständen zu schlagen gilt. In deiner Realität hat Holger (wahlweise "Olga") einen anderen Namen. Aber wenn du ihn am Start siehst, dann weißt du, "heute geht es um alles!"
Langjährige Newsletter-Leser haben an dieser Stelle immer wieder Tipps bekommen, wie sie ihr Training gestalten können, um in eine läuferische Form zu kommen, mit der sie Holger im Rennen demütigen können. Greif-Club-Mitglieder sind mit ihrem Greif-Jahresplan ohnehin aus dem Schneider ;-)
Jetzt, wo die Rennen anliegen, wo du auf Holger treffen wirst, kannst du körperlich nicht mehr viel ändern. Mit deiner Form, so wie sie jetzt ist, willst du ihn schlagen können. Ich hoffe, du warst fleißig, weil Holger es vielleicht auch war.
Jetzt helfen nur noch dein Kopf, deine "Coolness" im Rennen und dein taktisches Geschick. Genau auf diese Punkte wollen wir in loser Folge eingehen -Taktik-!
Hier geht es nicht zwingend um Gesamtsiege. Holgers und Olgas tummeln sich in allen Leistungsklassen und das ist gut so. Selbst erlebte ich in meinem Umfeld Laufeinsteiger, die um eine nicht unerhebliche Menge Bier gewettet haben, wer im lokalen Stadtlauf vorn ist. Leistungsbereich 50 - 55 min/10 km. Um diese Zeit ging es aber nicht. Es ging darum, mit allen seriösen Mitteln den Kumpel abzuhängen. Holger lebte hier in Gestalt des Lauffreundes!
Im Wesentlichen stehen dir 4 Verhaltensformen mit diversen Spielarten für den Showdown zwischen dir und Holger zur Verfügung:
Du kannst eiskalt nach deinen geplanten Zwischenzeiten laufen und am Ende sehen, was dabei heraus kommt. Das ist eine durchaus sinnvolle und erfolgreiche Renntaktik. Khalid Khannouchi lief damit in Chicago 1999 mit einer Zeit von 2:05:42 h Weltrekord, folglich gewann er in diesem Lauf gegen alle seine Holgers und damit die Dollars.
Die Lutscher gibt es auch, die sich rein hängen. Einfach dran bleiben an Holger und am Ende halbwegs ausgeruht am ständig Führenden vorbeigehen. Wettkampfläufer, die regelmäßig diese Taktik anwenden, sind wohl die am meisten Gehassten im Feld. Aber es ist ja nicht verboten und es steht jedem frei, sich eine erfolgreiche Renntaktik auszusuchen.
"Alte Haudegen" mit viel Erfahrung sind oft die perfekten Taktiker im Rennen. Sie sind meist in der Lage, ein ganzes Feuerwerk von Ideen abzubrennen, mit denen sie ihre Holgers völlig aus der Fassung bringen können. In dieser Form des Mitlaufens gibt es viele Varianten und wahrscheinlich ist es die häufigste Taktik erfahrener Läufer im direkten Duell, wenn die Endzeit daneben unerheblich ist. Freu dich auf den Newsletter, in dem wir diese Taktik behandeln. Die Trickkiste mit Möglichkeiten, deinen Holger reinzulegen, ist riesig!
Wir gehen heute zu Beginn auf die vielleicht frechste, aber auch oft erfolgreiche Form einer Renneinteilung ein, die des Frontrunners. Wie der Begriff schon vermuten lässt, geht der Frontrunner im direkten Vergleich mit seinem Holger gleich nach vorn, diktiert ihm seinen Stil auf und zieht das risikoreiche Spiel im Erfolgsfall bis ins Ziel durch. Jedoch bedarf es hier eines "Vorspiels".
Im günstigsten Fall ist der Frontrunner und seine Leistung von seinem Holger nicht einschätzbar. Er hat sich rar gemacht im Frühjahr. Hat vor Ort entweder gar kein Rennen gelaufen oder solche, wo die Zeiten wie z.B. im Crosslauf nicht zu vergleichen sind. Holger weiß also nicht, was der Frontrunner drauf hat, und das verunsichert ihn.
Auch Holger ist sich bewußt, dass er bei saumäßigem Winterwetter im Training schon mal abgekürzt oder geschwächelt hat. Dass die Weihnachtsgans noch in großen Teilen auf seinen Hüften prangt. Vor allem weiß er nicht, was der Frontrunner drauf hat. Und das nutzt dieser mit der Taktik des Frontrunners gnadenlos aus!
Ein perfekter Frontrunner hält sich jederzeit an die guten Umgangsformen miteinander. Aber auch bei Beachtung dieser kann er seinen Holger jederzeit spüren lassen, dass er heute im Rennen völlig überlegen ist.
Es fängt für ihn schon vorm Start an. Kommt er spät zum Rennort, hat er seinen Auftritt. Er kann sich sicher sein, Holger beobachtet ihn. Sein offensichtliches Gewicht, seine Art sich warm zu laufen. Der Frontrunner beachtet seinen Holger einfach nicht, er lässt ihn zuerst grüßen. Er lässt ihn spüren, dass er ihn heute nicht für voll nimmt, er einfach nicht auf seiner Augenhöhe ist. Jedenfalls nicht als Läufer.
Egal in welchem Leistungsbereich beide laufen, nach dem Startschuss geht der Frontrunner nach vorn. Natürlich nicht an die Spitze des Gesamtfeldes. Es sei denn, es ist sein Leistungsbereich. Er ist einfach sichtbar vor Holger. Auch noch nach mehreren Kilometern, denn dann wird dieser nervös. Selbst wenn er im Marathon nach nur 10 km sicher vor Holger liegt, kann wie du weisst sonstwas passieren bis ins Ziel. Aber Holger hat Schweiß auf der Stirn, dessen Ursache nicht der Lauf ist.
Holger Meier hat nun nicht viele Möglichkeiten, will er denn vor dem Frontrunner ankommen. Entweder, er hängt sich bei ihm rein, was ein natürliches Verhalten eines Herausgeforderten wäre. Sollte der vorn Laufende hoch gepokert haben mit der Wahl des Tempos, dann betrifft ihn das allerdings auch. Einer von beiden wird also durchkommen. Holger, der jedoch nicht im Bilde über den Leistungsstand des Frontrunners ist, wird in den meisten Fällen annehmen, dass dieser heute unschlagbar ist von ihm.
Oder Holger pokert selbst und lässt das Großmaul zunächst ziehen. Von der Hoffnung beseelt, der Frontrunner bricht ein und es ist gegen Ende noch was zu holen.
Doch Achtung: Geht die Taktik des Frontrunners heute nicht auf, er fängt an zu schwächeln, wird langsamer, von seinem Holger Meier eingeholt und bis ins Ziel abgehängt, dann ist das Jahr gelaufen zwischen Holger und ihm. Holger Meier nimmt ihn nie wieder ernst! Deshalb wendet der kluge Frontrunner diese Taktik nur an, wenn er relativ sicher ist, seinen persönlichen Gegner heute packen zu können. Dann wiederum hat dieser den Rest des Jahres Ehrfurcht vor ihm. Selbst, wenn er ihn später mal schlägt.
Aber noch ist der Frontrunner vorn. Hat sein Gegner sich reingehängt, ignoriert er ihn. Er grüßt die Zuschauer oder andere Läufer seiner Gruppe, aber nicht den speziellen Freund, der heute versägt werden soll. An einer Verpflegungsstation im fortgeschrittenen Rennverlauf setzt er dem ganzen Gehabe noch die Krone auf. Wenn das Wetter es zulässt, verzichtet er einfach auf die Getränkeaufnahme und rennt durch. Holger Meier gegenüber, der weinerlich das Wasser als Seelentröster ergreift, symbolisiert dieser Verzicht erhebliche Stärke. Außerdem gibt es einige Meter Raumgewinn, den er wieder aufholen müßte. Der sich Reingehängte wird den Frontrunner ziehen lassen.
Hat er ihn immer noch an der Backe, ist er sensibelisiert für seine heutigen Schwächen. Wird er z.B. an Anstiegen, und seien sie noch so kurz, langsamer, dann attackiert der selbstbewußte Frontrunner einige Male genau in solchen für Holger unbequemen Momenten, ohne dass der Gegner die Attacke als solche bemerkt. Er überzeugt ihn so, dass er heute der ist, an dem er einfach nicht vorbei kommt.
Ziel des Frontrunners ist, dem Rennen, wenigstens aber dem Rennverlauf mit seinem persönlichen Gegner den Stempel aufzudrücken. Er ist hier der Chef im Ring. Siege gehen nur über ihn. Das kann schief gehen. Das weiss der Frontrunner und auch seine Verfolger. Der Frontrunner gewinnt solche Rennen und verliert sie auch. Jeder weiß, dass ein typischer Frontrunner heute wieder eine Attacke reitet. Keiner weiß jedoch, ob er damit durchkommt. Damit wird er aber für Holger und seine Schergen unberechenbar und ständig gefährlich!
Auf wen in deinem Umfeld passt die Beschreibung des Frontrunners? Vielleicht sogar auf deinen Holger Meier? Dann ist er es also, der sich zum Holger qualifizierte ob seiner maßlosen Arroganz. :-) Hat er dich schon geschlagen in der nahen Vergangenheit?