Hinterfragen muss man alles, selbst älteste und erprobte Läufer(innen)-Rituale sollten wir ab und zu noch einmal auf den Prüfstand legen. Beispiele gibt es genug! Jahrzehnte lang haben wir uns vor den Wettkämpfen gedehnt, wie die Hunde nach dem Nachtschlaf. Einige brachten es dabei fast zu weltmeisterschaftsreifen Leistungen im Figurendehnen. Besonders beliebt der Einbeinstand mit hinten hochgezogenen Unterschenkel. Bewundernswert hielten einige Typen diesen Stand über die gesamte Länge des gerade erzählten Ablaufs ihres letzten Volkslaufs durch.
Dann nahmen sich Wissenschaftler dem Dehnen an und rieten: "Dehnen vor dem Wettkampf schadet mehr, als es hilft!" Man sollte vor einem Rennen nur wenig dehnen, aber dafür im Training und Alltag um so mehr.
Ein weiteres Ritual, welches es schon ewig zu gegeben haben scheint, ist das Auslaufen nach einem Rennen oder hartem Training. Je nach Typ gibt es beim Auslaufverhalten einige ganz gravierende Unterschiede. Eine große Anzahl von uns, besonders aus den unteren Leistungsklassen, läuft sich gar nicht aus. Andere hingegen bewegen sich ein paar Meter und gehen dann zur allgemeinen verbalen Wettkampf-Nachbereitung über.
Wiederum meinen einige, mindestens 2 km müssen es sein und dann gibt es noch den km-Fetischisten, der immer noch läuft, wenn das Kuchenbüfett schon fast leer ist. "Ich schreib mir doch nicht nur 10 km auf!" Fragen müssen wir uns, wer denn nun richtig handelt. Dazu sollten wir die Umstände etwas aufdröseln und feststellen, dass wir uns je nach Wettkampf unterschiedlich verhalten müssen.
Fest steht erst einmal, dass sich nach einem schnellen Rennen, besonders wenn es noch zu einem Endspurt kommt, viel Laktat im Blut befindet. Diesem wird allerlei Schlechtes nachgesagt und es sollte darum schnell wieder aus unseren Körpersäften verschwinden. Wer sich nach dem Ziel nun bewegt, also ausläuft, eliminiert dieses Laktat nun deutlich schneller, als der, der nur herumsteht. Dies ist wissenschaftlich gesichert.
Aber aber! Ebenso haben unsere Wissenschaftler weiter festgestellt, dass es durch das Auslaufen zu einer weiteren Verringerung der Glykogenmenge in der Muskulatur kommt. Dass ist nun nicht gerade das, was wir wollen. Nach einem Rennen ist es dringend geboten sich zu regenerieren und dabei die Glukosespeicher wieder aufzufüllen. Halten wir fest, nach einem Rennen ist Auslaufen gut für die Eliminierung des Laktats, schlecht für die Erholung.
Eine zweite Frage, die wir uns stellen müssen, ist die, ob es denn nach jedem harten Training oder Rennen nötig ist sich auszulaufen. Zwischen einem 3000 m- und einen Marathon-Wettkampf liegen Welten. Nach dem 3 km-Rennen ist das Blut voller Laktat, die Glykogenspeicher aber nur gering angegriffen. Also haben wir mit Letzterem kein Problem und sollten uns so lange auslaufen, bis die Milchsäurereste wieder auf ein erträgliches Maß gesenkt sind.
Wie sieht es denn nun aber nach einem 42,2 km-Rennen aus? Dort herrschen im Vergleich mit den 3000 m genau umkehrte Bedingungen. Nach dem Marathon ist der Blutlaktatgehalt zu vernachlässigen, aber in unseren Glykogenspeichern herrscht gähnende Leere. Zu diesem Zeitpunkt ist nur eines wichtig: Schnell Essen und Trinken, damit die Speicher wieder aufgefüllt werden. Auslaufen ist nicht nötig.
Nicht nötig oder nicht möglich? In meiner aktiven Zeit habe ich immer wieder versucht mich nach einem Marathon auszulaufen, weil man dies ohne es zu hinterfragen, einfach so machte. Ich kann mich nicht erinnern, dass es mir bei meinen 60 gelaufenen 42,2 km-Rennen jemals gelungen ist nach dem Ziel mehr als 100 m auch nur zu traben. Meine Muskeln schmerzten so, dass es mir einfach unmöglich war.
Es gab aber Mitbewerber, die joggten schon 10 min nach dem Zieleinlauf wieder locker durch die Gegend. Dabei mag natürlich auch eine Rolle gespielt haben, das die in meinem zeitlichen Rahmen laufende Konkurrenz in der Regel 20 kg leichter war. Kein Wunder, wog ich doch völlig austrainiert 85 kg bei 1,95 m Höhe. Die, mit denen ich mich herumschlagen musste, waren meist 20 cm kleiner. Nur der jetzige ZDF-Sportreporter Wolf-Dieter Poschmann, war auch 1,90 groß, aber deutlich leichter und zu dem kein "richtiger" Marathonläufer. Er tauchte nur gelegentlich auf der langen Strecke auf, konnte aber über 5000 m mit der deutschen Spitze mithalten.
Diese persönlichen Dinge wollen wir in Bezug auf das Auslaufen aber gar nicht betrachten. Betrachten müssen wir aber unbedingt die Länge und damit die Intensität der Wettkämpfe. Je kürzer das Rennen ist, desto länger sollten wir uns auslaufen. Nachfolgend habe ich ein Schema aufgestellt, welche ca. Empfehlungen für die Nachbearbeitung gibt:
Wettkampf | Auslaufen |
1500 m | 25 min |
3000 m | 20 min |
5000 m | 15 min |
10000 m | 10 min |
21,1 km | 0-5 min |
42,2 km | 0 min |
Was auch immer du für einen Wettkampf gelaufen bist, mache dir keine Sorgen, wenn du einmal zu kaputt bist, um dich auszulaufen. Es passiert nichts Schlimmes, wenn es du es unterlässt. Das soll aber kein Freibrief sein, um dich jedes Mal von der läuferischen Nachbereitung eines Wettkampfs zu drücken. Denn merke dir gut: Die Sorgfältigen haben weniger schlechte Tage als die Schludrigen!