"Es ist immer der Geist der aufgibt, niemals der Körper." 1986 schrieb ich diesen Satz in dem Marathon-Trainingsplan "Countdown zur Bestzeit." Wie richtig diese Einschätzung ist, belegen jetzt wissenschaftliche Untersuchungen. Der Einfluss des Gehirns auf körperliche Leistung ist viel größer, als wir uns das vorstellen können.
Dass das Gehirn der große Schlappmacher ist und nicht die Muskeln, belegen Untersuchungen die in der "Deutschen Zeitung für Sportmedizin" 6/2006 in einem Artikel von Hollmann, W. et al beschrieben werden.
Ikai et al ließen Probanden 100 maximale Muskelkontraktionen durchführen. Nach jeder fünften Kontraktion erfolgte eine elektrische Reizung der motorischen Nerven, die diese Kontraktion herrufen. Sowohl bei der freiwillig geleisteten Arbeit, wie auch bei der Ergänzung durch die elektrische Arbeit kam es mit zunehmender Arbeitszeit zu einer Kraftabnahme. Was eigentlich auch jeder so erwartete.
Aber das Überraschende war, dass bei der natürlichen Arbeit die Ausgangskraft um 66% verringert wurde, bei der elektrischen Reizung aber nur um 40%. Die Autoren schlossen daraus, dass es sowohl eine lokale muskuläre Ermüdung, als auch eine zentrale (Gehirn!) gibt.
Mit anderen Worten bedeutet das nicht anderes, dass tatsächlich in der Muskulatur noch Leistungsreserven steckten, die bei einer zusätzlichen Willensanstrengung noch zu mobilisieren gewesen wären. Hiermit wäre die Psyche der entscheidend leistungsbegrenzende Faktor und nicht die müden Muskeln.
Auch in einem weiteren Experiment bewies Ikai, dass eine zentrale Ermüdung des Gehirns eintritt, bevor die lokale muskuläre Ermüdung auftritt. Schon ermüdete Muskeln ließen sich durch elektrische Reizung zur Ausgangs-Kontraktionskraft wiederherstellen.
Die Befunde wurden so erklärt, dass eine Fülle von sensorischen Reizen eine Schutzbarriere des Gehirns wachruft. Hierbei soll es zu einer Überschwemmung des Gehirns mit der Aminosäure Tryptophan kommen, die später umgewandelt wird in Serotonin, dass Müdigkeitsgefühl und Schlafbedürfnis fördert.
Wenn wir diese, so hochinteressanten Experimente betrachten, dann müsste es heißen statt: "Es ist immer der Geist der aufgibt, niemals der Körper", "Der Kopf gibt immer früher auf als der Körper!"
Für uns Langstreckenläufer sind diese Untersuchungen von ganz entscheidender Bedeutung. Die Motivation des/der Einzelnen ist von folgenschwerer Bedeutung für das Wettkampfresultat und der subjektiven Empfindung der Trainingsbelastung. Wenn dein Gehirn dir signalisiert: "Du kannst nicht mehr!", dann bist du noch lange nicht am Rande deiner Leistungsfähigkeit.
Auch in früheren Versuchen, die Ermüdung am Energiemangel festzumachen, stellte man fest, das völlig erschöpfte Marathonläufer, die schon unterzuckert waren, noch genügend Glykogen in der Muskulatur hatten, um damit noch viele Kilometer laufen zu können.
Für uns gibt es nur einen Schluss aus diesen Untersuchungen: Du kannst mit deinem Willen und deiner Motivation noch viel mehr aus dir herausholen, als dein Gehirn dich glauben lässt.
Wenn man die oben beschriebenen Experimente vorsichtig interpretiert, dann sind bei der subjektiven Wahrnehmung der vollständigen Ermüdung in einem Wettkampf, objektiv noch mindestens 10% weitere Leistungsfähigkeit vorhanden. In einem Training sicher sogar noch 20%.
Auch kann ich mir jetzt erklären, warum einige Leute meine Trainingspläne als "tierisch hart" und andere als "gerade richtig" oder auch "sind locker zu schaffen" empfinden. Wie hart ein Training empfunden wird, liegt einfach an der Motivation, die ein Einzelner in ein Training steckt.
Typisch sind Beispiele, welche ich immer wieder in unseren Trainingsurlauben erlebe. Dort sind auch eine große Anzahl der Teilnehmer Greif Club-Mitglieder, die einen Jahres-Trainingplan von uns beziehen. In diesem wird in unterschiedlichen Intensitäten oft die Einheit 3 x 3000 m gefordert. Auf ihrer höchsten Intensitätsstufe ist sie sehr leistungsfördernd, aber auch nur mit entsprechendem körperlichen und geistigen Einsatz zu schaffen. Manche fürchten sich richtig davor.
Wenn ich in einem Trainingsurlaub nur diese Einheit anbiete, dann höre ich oft so oder ähnlich diesen Satz von Teilnehmern: "Ich kann es kaum fassen! Zu Hause schaffe ich kaum jemals die 3000 m in der vorgegebenen Zeit und hier laufe ich sie locker 30 sec schneller."
Ja, warum nun kann dieser Mensch im Trainingsurlaub zusammen mit anderen Läufer(innen) deutlich schneller laufen als zu Hause? Ganz einfach: Seine Motivation ist höher und dadurch gibt ihm sein Gehirn auch mehr Möglichkeiten, auf die am Ende einer Belastung noch durchaus vorhandene Leistungskraft zu zugreifen.
Also, schraube deine Motivation hoch! Setze dir hohe Ziele! Greife deinen Holger Meier an! Dann steht dir auch mehr Kraft für Training und Wettkampf zur Verfügung.
In der nächsten Woche werde ich weiter beschreiben, was du alles mit einer starken Motivation aus dir herauszaubern kannst.