Verzeihe mir! Über dieses Thema habe ich vor fünf Jahren schon einmal berichtet. Da ich mich jetzt aber in der Türkei mit sehr vielen Läufern und Läuferinnen "herumschlagen" muss, möchte ich auf dieses sehr interessante Thema noch einmal zugreifen.
Es geht im Grunde um das Thema Nummer eins bei uns: "Wie werde ich schneller?" Selbst sehr intelligente Läufer haben Vorstellungen vom Training, die manchmal erschütternd sind. Als erstes zu nennen wäre da der "Ganzjahresform-Wünscher."
Anruf: "Ich möchte jetzt die Winterserie in Duisburg laufen, dann den Marathon in Kandel und im April Hamburg. Danach habe ich zwei Halbmarathons und anschließend laufe ich dann jedes Jahr in Biel. Im Juli ist es ganz wichtig, dann haben wir hier unseren Stadtlauf. Anschließend dann möchte ich wie jedes Jahr Berlin machen. In Frankfurt laufe ich dann gemütlich, wenn das Wetter nicht so gut ist."
"Können Sie mir dafür einen Trainingsplan machen?" Antwort: Nee!
Ich bin anschließend mit dem Anrufer doch noch auf Reihe gekommen.
Aber mich erstaunt es doch immer wieder, wie viele Läufer(innen) meinen, sie könnten dem Trainer ein Programm vorgeben und nun lieber Trainer mache mir einen schönen Plan rund um das Programm.
Auf Nachfrage, wann der Formhöhepunkt sein soll, kommt oft die Antwort: "Ich will überall gut aussehen!" Was heißen soll, dass dieser Mensch praktisch das ganze Jahr über in Hochform sein möchte. Wenn ich ihm erkläre, dass so etwas nicht möglich ist, dann kommt erst ein "Aber" und dann wird es nach längerer Diskussion langsam rational.
Meist werden dann ein oder zwei Marathons in den Vordergrund gestellt. Auf dieser Basis gelingt es dann, einen Plan zu erstellen, mit dem Läufer und Trainer auskommen können. Einen Formhöhepunkt im April und einen im September und Oktober. Rundherum kann man dann die gewünschten Wettkämpfe einbauen.
Sechs Wochen vorher und nachher gibt es einen Zeitraum, in dem man auch Bestzeiten laufen kann. Danach folgt jeweils ein Regenerationszeitraum und im Winter eine lange Aufbauphase. Bisher habe ich mich mit fast allen Planbestellern geeinigt und es kommt in der Regel auch zu den positiv erwarteten oder sogar überragend guten Resultaten.
An zweiter Stelle steht der Läufer mit dem Wunsch nach dauerhafter Temposteigerung. Dieser Mensch erlebt im Winter, dass sein Tempo im Plan immer schneller wird. Bis zu einem gewissen Zeitpunkt im Frühjahr, dann schreibe ich den Beziehern von Greif-Club-Trainingsplänen so etwa: "Laufe jetzt auf keinen Fall mehr schneller als im Plan angegeben. Du bist jetzt in Hochform, wenn du weiter am Gashebel drehst, dann kippt deine Form!"
Und das wollen einige nun partout nicht einsehen. "Ich bin aber doch so fit wie nie, und meine Tempoläufe sind auch so schnell wie niemals vorher. Jetzt habe ich den Durchbruch erzielt. Ich verstehe nicht, warum ich jetzt aufhören soll zu versuchen, schneller zu laufen."
Ja, das ist wirklich schwer zu verstehen. Das habe ich am Anfang meiner Karriere auch nicht verstanden. Ich bin so lange immer schneller gerannt, bis ich ausgepowert sinnbildlich am Boden lag. Jahre habe ich gebraucht zu verstehen, dass es nicht immer aufwärts gehen kann mit der Trainingsbelastung.
So etwas erkennt der Organismus als Dauerstress und es kommt zu einem Leistungseinbruch. Schlimmer noch ist der Versuch, diesem Einbruch durch noch härteres Training entgegen zu treten. Dann kann es zum völligen Leistungszusammenbruch kommen.
So etwas wollen unsere Mitglieder manchmal auch, aber bei uns gibt es eine Kontrolle, das ist unser Team. Wenn jemand einen Anpassungswunsch auf ein intensiveres Trainingsniveau äußert, dann tragen wir diesen nach der Abschätzung der Plausibilität ein. Ganz bewusst lassen wir das niemals von dem Trainierenden selbst machen, obwohl das für uns deutlich weniger Arbeit wäre.
Wir prüfen diesen Anpassungswunsch nach, und wenn er ok ist, erstellen wir einen neuen Plan und dann bekommt das Mitglied eine Mail mit dem Hinweis, dass er seinen geänderten Plan herunterladen kann. Ist der Änderungswunsch nicht plausibel, überzogen oder zu pessimistisch, fragen wir das Mitglied nach den Gründen. Oder wenn für uns Klarheit über die Motivation dieses Änderungsweges besteht, dann ändern wir den Plan so, wie wir es für den Trainierenden für richtig halten. So etwas macht einen erheblichen Aufwand, ist aber das, was man Qualität nennt. Bei uns wird betreut und das meinen wir wörtlich. Diese Betreuung gibt es auch sonnabends und sonntags, wenn ich im Haus bin und die Änderungen werden in der Regel noch am selben Tag erledigt.Du wirst dich auch fragen, wie wir es denn mit dem Tempo machen. Wir regeln das Tempo nach der aktuellen 10 km-Wettkampfleistung. Die man auch aus anderen Leistungen, wie einen Halbmarathon errechnen kann. Die Zeitvorgaben in den individuellen Trainingsplänen richten sich auf ein realistisches Saisonziel, welches immer schneller ist, als die aktuelle 10 km-Zeit oder eine andere adäquate Zeit.
Periodisch wird das Trainingstempo langsam immer schneller, so dass das höchste Tempo erst in der Wettkampfperiode erreicht wird. Wir führen also den Läufer oder die Läuferin mit Augenmaß zum Saisonhöhepunkt.
Unsere Mitglieder, besonders die ganz "heißen" Typen, maulen auch manchmal herum, dass das Trainingstempo im Winter zu langsam sei. Andere wiederum sind von der Intensität des Trainings völlig überrascht und fragen nach, ob dieses Tempo denn wirklich richtig sei. Jeder hat so seine Idee vom Wintertempo.
Aber da lässt sich der Autor dieser Zeilen nicht beirren, richtig schnell wird erst gelaufen, wenn es nötig ist zur Ausbildung der Hochform. Und nach 35 Jahren als Trainer, weiß man wie es geht.
Selbstverständlich verstoßen nicht wenige gegen diese Tempobremse und laufen schon im Winter ein zu hohes Tempo. Andererseits gibt es als Gegenpol die Läufer und Läuferinnen, die bis zum Frühling warten, um dann langsam auf die Füße zu kommen.
Es wäre schön, wenn wir diese beiden mixen könnten. Dann käme etwas Richtiges dabei heraus. Aber wie auch immer in dieser Zeit - ich schreibe diese Zeilen in der Türkei am 25.03.2015 - kannst du die Bremse lösen, denn in Kürze beginnt die Marathonsaison. Die Halbmarathonsaison läuft inzwischen sogar schon auf Hochtouren.
Wir haben jetzt schon eine gute Woche hier in Side-Sorgun und es ist undeutlich zu sehen, dass eine einzige Woche einen erheblichen Leistungsfortschritt bringen kann. Hier hat niemand Stress, keinen Arbeitsdruck und nachmittags wird ein Mittagsschlaf gehalten.
Zudem hat jeder hier seinen Holger bzw. seine Olga und so kommt es zu Duellen mit "Beißen und Kratzen", die dadurch natürlich auch entsprechend leistungsfördernd sind.
Zum Schluss muss ich dir noch eine ganz persönliche Sache berichten: Ich bin stolz wie Bolle, weil Robert Jäkel (Cotrainer) mir gestern das Fett gemessen hat. Das Resultat war: 10,2 %. So schlank war ich seit Jahrzehnten nicht. Ein fast idealer Wert! Ich schwebe nur noch dahin. ;-)