Viel Staub wirbelten unsere zwei Artikel zu Übertraining, Pulser-Hörigkeit und Körpergefühl-Tempo auf. Eine Menge Leute haben mir dazu geschrieben und Lob und Kritik angebracht. Besonders die Kritik richtete sich gegen meinen angeblichen "Pulserhass" und dies obwohl ich es vor 14 Tagen schon einmal geschrieben habe, dass ich nicht gegen die Herzfrequenz-Messgeräte bin, sondern nur gegen ihren kritiklosen Gebrauch.
Dazu einige Mails und die schönste und lesenswerteste hier von Ruth B.S. Sie trifft mit ihren Zeilen die Sache genau auf den Punkt:
Sehr geehrter Herr Greif, seit einiger Zeit lese ich Ihre Newsletter mit zunehmender Begeisterung. Schon viele Dinge, die ich aus dem Bauch gemacht habe, fand ich bestätigt, was mir sehr gut tut, da ich als "Anfänger" von einer Riege von Läufern umgeben bin, die sich beflissen fühlen mir ständig, bei jeder Gelegenheit, ungefragt in mein Training reinquatschen zu müssen, ohne nur die geringste Ahnung von meiner Gesundheit zu haben.
Seit ca. einem Jahr trainiere ich jetzt. Mein Ziel ist der Marathon, wobei ich sagen muss, daß der bei mir noch in weiter Ferne liegt, da mein Körper dafür noch eine sensationelle Wandlung durchmachen muss. Aber egal ob das jetzt drei oder fünf Jahre dauert, oder ich vielleicht irgendwann feststelle, es geht nicht; Das Ziel steht und wird vorläufig auch nicht geändert.
Im September, an meinem 40. Geburtstag werde ich meinen ersten 10 km Lauf absolvieren. Für andere ein Klacks, für mich ein kleines Wunder, wenn man sich ansieht, was für eine Wandlung das darstellt.
Ich bin insulinpflichtiger Diabetiker Typ II und habe vor einem Jahr mit einem Gewicht von 128 kg begonnen einen Fuß vor den anderen zu setzen, mehr war nicht drin. Mein Blutdruck war zu hoch, ich habe drei Packungen Zigaretten/Tag gequalmt und mein Pizzalieferant hat mir Weihnachtskarten geschickt ;-)
Nachdem mein damaliger Arzt mir zähneknirschend sein OK gab: "Also ich sehe jetzt nichts was dagegen spricht, aber kommen Sie dann nicht hinterher zu mir und klagen Sie über Kreuzschmerzen. Und Krafttraining fällt für Sie ganz aus, wegen Ihrem Nabelbruch!", drückte er mir eine bunte Broschüre in die Hand.
Lauter schlanke, hübsche Menschen, die meiner Meinung nach alles andere brauchten, als eine Anleitung, wie sie sich bewegen sollten! Ich sollte immer vorher und nachher hübsch dehnen. Mindestens 10 Minuten, ohne geht garnix, schwere Schäden sind vorprogrammiert! Mein Puls sollte sich im Bereich um die 145 bewegen, keinesfalls mehr, schwere Schäden......!
Ich habe mir also brav eine Pulsuhr gekauft, mich in Schale geschmissen......und erst mal 10 Minuten Pause machen müssen, weil mein Puls schon nach dem Schuhe zubinden ca. 170 betrug! Aber dann, Treppe runter (piep, piep), in den ca. 50 Meter entfernten Park gelaufen (piep, piep, piep!) und erst mal dehnen, 10 Minuten (piep, piep, piep, piep, piiiiiieeeeep!!!!!), völlig aufgelöst und gedemütigt wieder nach Hause gewankt und ernsthaft über Aufgeben nachgedacht. Eigentlich ging es mir gut, aber die Pulsuhr!
Nun ja, ich habe nicht aufgegeben. Einige Zeit habe ich mich an die Trainingspläne in diversen Fachbüchern gehalten, brav das ständige Plärren meiner Pulsuhr beachtet, die Blicke genervter Mitläufer ignoriert und rollte vor mich hin; mehr oder weniger motiviert.
Man stelle sich das bildlich vor: Eine kugelrunde kleine Frau, 159 cm, 128 kg, in schreiend komischen Klamotten, weil der Zeltverleih gerade zu hatte. Um den fassartigen Bauch einen Gürtel geschnallt, behangen wie ein Zimmermann. Alleine der Gürtel muss schon zwei Kilo gewogen haben. Geld gespart, andere bezahlen für solche Teile einen Haufen Geld ;-).
In dem Gürtel: Wasser, ein kohlehydrathaltiges Getränk, Traubenzucker, eine Banane, Blutzuckermessgerät mit Zubehör, und natürlich der allgegenwärtige Trainingsplan, heute mal der von Herbert Steffny über das Fitnessprogramm der Krankenkasse meines Vertrauens erstellt. Dazu am Arm die Pulsuhr, die ihr Lied laut und fröhlich im Duett mit meinem Blutzuckermessgerät in die Landschaft piepte, herrlich!
Nur das Problem war, ich kam nicht vorwärts. Nichts an meiner Leistung verbesserte sich. Ich bin jetzt nicht vom Ehrgeiz zerfressen, mir ist durchaus bewusst, dass das alles sehr lange dauert, aber ab und zu mal hundert Meter mehr in der vorgegebenen Zeit? Auch wenn es mir gut ging und ich noch Lust hatte, lief ich nicht weiter...der Trainingsplan musste strikt eingehalten werden.
Einmal bin ich ausgebrochen und bin 20 Minuten länger gelaufen. Sofort bekam ich über das Programm im Internet eine e-mail, ich solle das unterlassen; man habe sich bei den Plänen schließlich was gedacht! Ups! Ich kleine, dumme, dicke, undisziplinierte Person. Wie konnte ich es wagen mal selbst was zu tun, wovon ich überzeugt war!
Der lange Rede kurzer Schwall: Ich stagnierte, entwickelte mich eher rückwärts. Ich hatte fast keine Lust mehr. Nur die Angst vor dem Gesichtsverlust vor meinen Mitmenschen, denen ich vollmundig von meinem Vorhaben erzählt hatte ("ist nicht zu schaffen!", "Trau ich dir nicht zu"), hielt mich bei der Stange.
Irgendwann bekam ich einen heiligen Zorn. Ich mach das doch für mich! Es geht hier um mich, nicht um die Erfüllung irgendwelcher Vorgaben von anderen Leuten!
Und dann fing ich an es so zu machen, wie ich es wollte. Die Pulsuhr an den Nagel gehängt. Das Dehnen vorher weggelassen, ich hatte eh immer das Gefühl nicht mehr richtig laufen zu können, ständig bin ich umgeknickt. Ohne geht es plötzlich hervorragend.
Ich hab noch mal ganz langsam von vorne angefangen. Schluss mit zweiminütigem fast auf der Stelle traben und Sturzbächen von Schweiß. Ganz langsam bin ich losgegangen, in dem Tempo, das mir gut tat und so lange wie ich Spaß hatte. Meine Selbstkontrolle? Nun ich bin Sängerin und solange ich beim Laufen noch gut und ohne Aussetzer singen konnte, war alles in Ordnung.
Zum Glück habe ich noch zu einer sehr guten Ärztin gewechselt, die mich fördert und unterstützt wo sie nur kann. Jetzt darf ich auch moderates Krafttraining machen, um meinen Bewegungsapparat zu stützen. Und danach wird auch gedehnt ;-)
Heute habe ich "nur" noch knapp 110 Kilo, meine Zuckerwerte sind fantastisch, ich bin in der Lage ca. 90 Minuten ohne Unterbrechung zu laufen! Und das alles ganz ohne Pulskontrolle, starre Trainingspläne, nur nach meinem Bauchgefühl. Es ist mir klar, dass meine Art zu trainieren nicht für jeden empfehlenswert ist, aber für mich passt es.
So, jetzt hab ich Sie aber genug zugequatscht. Eigentlich wollte ich mich nur mal für Ihren unwissentlichen Zuspruch bedanken. Ich hoffe, noch viele gute Newsletter von Ihnen lesen zu dürfen und in der Zwischenzeit werde ich laufen und laufen und laufen..........
Ganz herzliche Grüße aus Kaiserslautern..........Ruth B.S.
Ich könnte sie knutschen, so herrlich und treffend ist ihr Brief. Genau so wie, schreiben mir viele Leute, dass sie mit Pulsvorgaben nicht zu Recht kommen. "Wenn ich danach trainieren soll, dann muss ich gehen!" oder "Ich lief mit einem Arzt, der mich ständig drängte stehen zu bleiben, wenn meine am Pulser eingestellte Höchstleistung erreicht war. Der hat doch eine Macke! Ich laufe jetzt allein und nach Gefühl."
Meine Meinung dazu: Wenn jemand anfängt zu laufen, dann muss man dem Organismus des/der Trainierenden auch einmal die Chance geben sich anzupassen. Auch wenn die Herzfrequenz am Anfang scheinbar zu hoch ist, sinkt sie später bei gleichem Tempo ganz schnell. Wichtig ist dabei nur eines: Anfänger sollten nicht so schnell loslaufen, dass sie nach 500 m gehen müssen. Wer aber mit welchem Tempo auch immer ein paar km durchhalten kann, liegt richtig.
Die Anpassungen erfolgen mit Gefühlsregulierten- schneller, als mit errechneten Herzfrequenz-Höchstgrenzen. Und da Anfänger in der Regel auch nur ein- bis dreimal in der Woche laufen, passiert da nichts Negatives. Man versetzt sich damit nur in die Lage schneller und länger laufen zu können. Auch hier sei noch einmal betont, dass dies nur für gesunde Leute gilt.
Ein ganz besonderer Fall sind die Pulser im Wettkampf, wo ich sie wirklich nur in Ausnahmefällen empfehlen kann. Pulser im Rennen sind wirklich das letzte nötige Hilfsmittel, weil sie oft Verwirrung und Unsicherheit verbreiten und damit oft mehr schaden als helfen. Allein schon die Startaufregung treibt die Herzfrequenz hoch, ohne das körperliche Leistung dahinter sitzt. Ferner geht speziell im Marathon am Ende der Puls oft steil nach oben, ohne das es zu einer Übersäuerung kommt.
Dazu auch der typische Fall von Elmar G.:
"Hallo Peter, vielleicht erinnerst Du Dich noch. Ich bin Elmar G. und war in den 80-er und 90-er Mittel- bzw. Langstreckler. Vielen Dank für Deine (zahlreichen) Artikel zu dem Thema "Pulsmesser". Du hast mir damit aus der Seele gesprochen. Ich hatte in der ersten Zeit als Langstreckler (in den frühen 90-ern) auch mit einem Pulsmesser trainiert. Die waren auch damals so richtig angesagt und gerade unter Triathleten der wichtigste Ausrüstungsgegenstand.
Also fing ich auch damit an zu trainieren. Der Pulser ging mir schon nach kurzer Zeit auf den "Puffer", da der Brustgurt mich behinderte und ich beim Training ständig auf diese blöde Pulsuhr schauen musste. Egal, ich hatte damit weiter trainiert, da es mit Pulsmesser ja viel besser mit meiner Leistung werden würde...;-)
Nach dem Berlin Marathon 1993 habe ich solch ein Ding aber nie wieder getragen. Ich hatte vorher gut trainiert und wollte in Berlin so eine 2:25 Std. laufen. Vorher hatte ich leistungsdiagnostisch meine Leistungsfähigkeit bestimmen lassen. Bei diesem Tempo (2:25) sollte mein Puls in der Anfangphase des Rennens so um 165 bis 168 betragen. In der Schlussphase war mit einem um 10 Schläge höheren Puls zu rechnen.
Um im Rennen ein möglichst gleichmäßig Tempo zu laufen, ohne zu überpacen, kam ich auf die Idee, auch im Rennen mit dem Pulsmesser zu laufen. Gesagt, getan: Nach dem ersten Kilometer zeigte das Gerät tatsächlich einen Puls von 180 an (!). Da das Tempo aber stimmte, wollte ich so erstmal weiterlaufen. Nach 5 km war der Puls dann bei 183...!
Das Tempo war aber vollkommen okay. Also sagte ich mir: Schei... der Hund drauf. Ich laufe das Tempo weiter und schaue nicht mehr auf den Puls. Ich bin dann tatsächlich eine 2:25,43 Std. gelaufen. Nach dem Rennen rief ich dann meine Pulswerte aus meinem ach so tollen Gerät ab. Während des ganzen Rennens stieg der Puls konstant von 180 bis 190 (im Ziel) an. Dies waren Pulswerte, die ich eigentlich während des Marathons nicht hätte haben dürfen. Hätte ich mich jedoch an meine Pulsvorgaben gehalten, so wäre ich wahrscheinlich mit einer 2:45 Std. ins Ziel gekommen...!
Dies war für mich der Schlusspunkt unter dem Kapitel Pulsmesser. Ich bin froh, dass ich durch mein jahrelanges Training ein Körper- und auch Tempogefühl entwickelt habe, dass jedem Pulsmesser weit überlegen ist. Ich kann sogar "fühlen", wenn ich an meiner aerob/anaeroben Schwelle bin.
Herzlichen Dank für Deine lesenswerte Newsletter und Deine "spitze" Feder!!! Keep On Running!!!
Elmar G.
Aber nicht nur im Rennen spielt der Pulser eine Rolle auch in der Regeneration. Dazu schrieb T.W.:
"Hallo Leute, seit einiger Zeit verfolge ich nun diese unselige Pulserdiskussion. Gerade 50 Jahre alt geworden mit über zehn Jahren Trainingserfahrung mit und ohne Pulser, kann ich dazu nur folgendes sagen: Bitte verteufelt mir doch diese tollen Geräte nicht so sehr. Sind sie doch bestens geeignet die manchmal zu hoch motivierten Läufer in Schach zu halten, die immer wieder stöhnen: "Regenerativ laufen, ich kann nicht 5:45 Min laufen". Ich behaupte: Für langsame, extensive und sogar für Tempodauerläufe ist der Pulser sehr geeignet, solange ich zum einen vorher meinen Maximalpuls ermittelt habe und mir für den entsprechenden Trainingspuls eine gewisse Frequenzspanne lasse, will sagen innerhalb der Frequenzspanne moderat beginnen, um dann bei erfolgtem Erschöpfungszustand den max. Trainingspuls zu erreichen. Betonen möchte ich ausdrücklich, dass der Pulser bei mir in der Ecke liegt, wenn es auf die Laufbahn geht, hier zählt ausschließlich die Zeitvorgabe. Aber gerade beim Ein- und Auslaufen erfüllt der Pulser wieder seinen Zweck, nämlich hier nicht auf das Körpergefühl hören. Manchmal, belügt uns unser Body nämlich. Insbesondere dann wenn man vor der Tempoarbeit oder vor Wettkämpfen sehr hoch motiviert ist.
Abschließend nur das eine, im rechten Moment angewandt sollte Mann oder Frau ruhig auf diese Hilfsmittel zurückgreifen. Ohne zu verlernen, mit seinem Körper zusammenzuarbeiten. Mit einem Lächeln, T. W."
Auch diesem Schreiben von T.W. kann ich voll zustimmen, denn es gibt genug Läufer(innen), denen man nur mit einem Pulser beweisen kann, dass sie ständig zu schnell laufen. Solche Leute sind uns allen schon einmal untergekommen. Sie sind leicht an Hand des Mantras "Ist doch locker!" zu erkennen.
Der Trainingsmethodiker Manfred Scholich aus Leipzig erzählte einmal die Geschichte von einem Elite-Langstreckler in der damaligen DDR, der für seine knallharten Tempoläufe bekannt war. Wenn der bei einem Trainingslauf in das Ziel kam, fragte ihn Manfred: "Na, wie war´s?" Die Antwort war ständig gleich: "War locker!" Nur musste sich der Läufer nach dem "Locker" schon mehrmals erbrechen. Und Manfred konnte das so herrlich vormachen, in dem er nach locker, die nötigen Brechgeräusche folgen lies.
In unserer früheren Trainingsgruppe wurde aus "locker mit Brechgeräusch" das Synonym für einen besonders harten Tempolauf. Aber treibe es nicht so weit, niemand muss bis zum Erbrechen rennen. Bevor dein Körpergefühl dich zur ungewollten Magenentleerung treibt, trage lieber einen Pulser und höre auf sein Piepen. Ich selbst habe mich im Training niemals so verausgabt, dass meine Nahrung unverdaut wieder das Tageslicht gesehen hat. Mein Körpergefühl hat mir immer gesagt, wenn es genug war.
Eine besondere Art von Körpergefühl konnte ich auch am 06.07.2007 erleben. An diesem Tag bin ich mit dem Rad von unten aus dem Tal heraus bei 950 hm auf das Stilfser-Joch mit seinen 2750 m hochgefahren und das ohne Pause. 27,5 km bergauf und 2,5 h immer am "Anschlag".
Und "Anschlag" ist die höchst mögliche Dauerleistungs-Fähigkeit, was mir wieder einmal präzise vor Augen geführt wurde. Aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen komme ich im Hochgebirge körperlich sehr gut zu Recht. So wurde ich im Unterteil des Anstiegs reihenweise überholt. Dies war aber nach 1500 m Höhe vorbei. Nun sammelte ich die Überholer wieder ein.
Zweimal passierte es, dass sich ein Radler "wehrte". Als ich von hinten an ihn heranfuhr und versuchte mit gleichmäßiger Geschwindigkeit zu überholen, erhöhten er das Tempo. Ich dachte, was soll es, ich kann nicht schneller und fuhr hinterher. Keine zwei Minuten später hörten beide unabhängig von einander auf zu treten und stiegen vom Rad. Sie waren genau wie ich am Rande ihrer Belastungsfähigkeit gefahren und wollten dies aber wohl nicht so Recht glauben und versuchten ihrem Körper noch Reserven zu entlocken. Und schon die geringe Temposteigerung, um mich im Schach zu halten, genügte um sie zu überfordern. Sie hatten ihre mögliche Dauerleistungs-Fähigkeit überschritten.
Und genau diese maximale Dauerleistungs-Fähigkeit, deinen persönlichen "Anschlag", den musst du erkunden und lernen zu finden. Wenn ihn kennst, kann dir nicht mehr viel passieren in Training und Wettkampf. (Siehe auch oben was Elmar G. schrieb!) Leider muss ich dir in diesem Zusammenhang gleich noch einen Zahn ziehen: Den "Anschlag" findest du auch nicht mit einem Laktattest. Nur dein Gefühl gibt dir eine relativ sichere Auskunft über deine aktuelle körperliche Leistungsmöglichkeit.