Es gibt Umstände in unserer Szene die erstaunen mich, obwohl ich eigentlich meine, durch mein "hohes" Alter und eine lange läuferische Vergangenheit abgebrüht genug zu sein.
Diese Vergangenheit begann, als es noch keinen Pulser gab und die Trainingswissenschaft noch in den Kinderschuhen stand. Aber den gesunden Menschenverstand und ein Gefühl für Training, Leistungsentwicklung und Überforderung gab es damals schon.
Und es gab eine Menge Leute, die einfach nur rannten. Und die gaben sich im Training die "Kante", bis "Blut" kam. Es wurde darüber schon berichtet im Newsletter vom 15.11.11: "Peter Greif, Gruppentraining, der Weg zum Erfolg."
Nun löste dieser Text auf der Greif Club Facebookseite eine rege Diskussion aus. Sie startete ausgelöst von dem Mitglied Dietrich, der mich mit dem nachfolgenden Satz zitierte: "Was ich dir mit Geschichte sagen wollte ist, dass ein Gruppentraining solche Rivalitäten hervorbringt und somit die Leistung aller Gruppenmitglieder fördert."
Darauf antwortete Dietrich: "Das hört sich ein bisschen so an, als ob Gruppentraining zu einem zusätzlichen Wettkampf entarten sollte. Ich nutze Gruppentraining eher im Rahmen der langen langsamen Läufe, damit die nicht so langweilig werden."
Und so fing die Diskussion an:
Mario an Dietrich: "Wer die Greifschen Trainingslager kennt, weiß, dass es beides gibt: Das Tempotraining, bei dem gegeneinander um jeden Zentimeter gerungen wird, und die gemeinsamen Dauerläufe. Die Leistungsschübe resultieren dabei in erster Linie aus den Tempoeinheiten, in denen alle einen Tick mehr geben, als sie es zu Hause im Alleingang tun würden. Dabei müssen die Athleten nicht einmal gleich schnell sein, denn es reicht ja manchmal schon, den Abstand nach vorn zu verkürzen oder sich sogar nicht überrunden zu lassen."
Dietrich an Mario: "Aber sind dafür nicht die Wettkämpfe da, um mich mit anderen zu messen!?!? Wenn ich jede Woche im Gruppentempotraining genauso schnell (oder sogar schneller!) wie im Wettkampf laufe, besteht meines Erachtens schnell die Gefahr von Übertraining."
Robert an Dietrich: "Die Erfahrung zeigt eher das Gegenteil, viele Teilnehmer laufen nach unseren Trainingslagern persönliche Bestzeiten, die sie sich vorher nie zugetraut hätten. Wichtig ist, dass man einen gewissen Aufbau im Training bereits absolviert hat, dann bringen die erhöhten Reize auch den erhofften Erfolg."
Mario ?an Dietrich: "Wenn du die im Plan angegebenen Zeiten einhältst, ist es m.E. gar nicht möglich, sich überzutrainieren, wenn du nicht an mehreren Schrauben drehst, also z.B. den Umfang zu schnell und zu stark anhebst etc. Peter hat zu dem Thema in der Vergangenheit immer mal wieder schöne Artikel geschrieben. Einfach im Newsletterarchiv "Übertraining" eingeben."
Aus den Worten von Dietrich, der das entspannte Gruppentraining vorzieht und befürchtet, dass die Tempoläufe in der Gruppe zu einem Wettkampf ausarten, spricht das Laufgefühl einer ganzen Generation. Eine Generation die Angst hat, sich schon bei zweimaligem wöchentlichen Training überzutrainieren.
Woher hat Dietrich denn diese Befürchtung? Er selbst hat dieses Übertraining wohl noch nicht erfahren. Aber er wird lesen und auch innerhalb seiner Gruppe über Training diskutieren.
Ich halte ja nun gar nichts von Medienschelte, aber wenn die größten Laufmagazine der Republik ihren Lesern berichten, dass sie großartige Läufer sind, wenn sie 10 km sogar schon unter einer Stunde laufen können, dann kann ich nur noch mit dem Kopf schütteln.
Das sind doch potemkinsche Dörfer. Besser wäre es, wenn man Personen innerhalb dieses Rahmens lobt, weil sie etwas für ihre Gesundheit getan haben und diese mit etwas mehr Anstrengung noch mehr verstärken könnten.
Das wird aber meist unterlassen, man gaukelt ihnen vor, das sie die wahren, richtigen Läufer(innen) sind. Ambitionierte werden als "Profis" bezeichnet. Diese sind nicht von dieser Welt und gelten damit nicht zum Vergleich. Somit braucht man denen auch nicht nacheifern.
Und wenn der Schreiber dieser Zeilen das nicht so sieht und einem mittelalten Mann mit einer 59:32 10 km-PB den Läuferstatus abspricht, dann schlägt dem ganz schlimme Ablehnung und manchmal sogar Hass aus der Joggerszene entgegen.
Und wenn dann diese von der Läuferpresse auch noch darauf aufmerksam gemacht werden, wie schnell man in ein Übertraining abgleiten kann und mit schlimmsten Verletzungen gedroht wird, dann muss man Verständnis dafür aufbringen, wenn es solche Befürchtungen, wie die von Dietrich, gibt.
Natürlich muss man Verständnis für die Läuferpresse aufbringen, denn es gibt nur wenige wirklich ambitionierte Läufer(innen), die hart trainieren und klare sportliche Ziele haben. Und von denen können die Blätter nicht leben, wobei man bei "Spiridon" eine Ausnahme machen muss.
Ich möchte hier noch einmal klar zum Ausdruck bringen, dass man Wettkampfläufer nicht gruppieren sollte. Jeder, der sich nur mit seiner selbst eingeordneten Leistungsgruppe vergleicht, (denk mal an den einäugigen König unter den Blinden) verliert die Sicht und damit auch den Willen sich entsprechend zu höherer Leistung zu entwickeln. Bei mir ist die Idee da, dass dieses Verhalten zu einem großen Teil zu dem so grausamen Leistungsverfall in der Laufszene beiträgt.
Nun aber zurück zu der Idee, dass Gruppentraining in Wettkampf ausarten könnte. Im ersten Augenblick ist man geneigt das zu bejahen. Und wenn sich eine neue Gruppe formiert, dann ist das auch wirklich so.
In jedem unserer Trainingsurlaube ist zu erleben, wie in den ersten Trainings um den persönlichen Gruppenrang gerungen wird. Meistens sind es so an die 60% der Teilnehmer Wiederholer, die sich auch untereinander kennen. Der Rest sind Neulinge.
Beide Gruppen werden dann in einem 10 km-Lauf erstmals auf einander "losgelassen". Und das ist dann richtig Wettkampf. Da wird gefightet, dass sich die Gehwegplatten biegen. Oft werden hier Lebensbestzeiten erzielt. Danach steht erst einmal die sportliche Rangordnung der Gruppe im groben Rahmen.
In früheren Jahren habe ich immer wieder versucht, die Läufer(innen) mit einem Maximaltempo zu bremsen. Ich musste aber einsehen, dass so ein Versuch immer zum Scheitern verdammt ist. Niemand kann sich diesem Wettkampfcharakter entziehen.
Und das einzige was die Teilnehmer in ihrem Drang begrenzt, ist die eigene körperliche Durchhaltefähigkeit und die ist relativ gleich verteilt. So läuft es in jedem Trainingsurlaub etwa so ab: 5 Tage lang wird "getobt", nachfolgend 5 Tage "vernünftig" trainiert und 4 Tage "gestorben".
Danach brauchen alle 10 - 14 Tage aktive Erholung zu Hause. Das heißt einfach, nach Plan weiter, nur einmal täglich und etwas langsamer zu trainieren. Und dann kommt es fast ohne Ausnahme zu einem erheblichen Leistungssprung.
So ein "Trainingslager" kann man aber nur bis maximal 3 Wochen lang absolvieren, dann muss unbedingt diese oben beschriebene aktive Pause eingelegt werden.
Ich nehme aber an, dass Dietrich nicht ein solches Gruppentraining meint, wie das im Trainingsurlaub, sondern das alltägliche in der Heimat.
Auch hier geht das eigentlich ähnlich ab, wie in einem Trainingsurlaub. Erst wird einmal die Rangordnung festgelegt und dann wird am Stuhl des gerade Nächststärksten (Holger) gesägt. Wenn der eine Schwäche zeigt, dann wird er angegriffen. Das ist nicht nur bei den Tempoläufen so, sondern auch bei extensiven Dauerläufen.
Hier könnte man Dietrich zustimmen, dass es durch ständigen Leistungsdruck zu Übertrainingssyndromen kommen könnte. Die Betonung liegt auf könnte. Denn erst einmal fällt ein Läufer(innen)-Organismus nicht von einem Tag auf den anderen in solch einen Zustand.
Da müssen schon viele Tage kommen mit wettkampfähnlichen Verhalten, ohne darauf folgende Pause. Wer nur zwei- bis fünfmal in der Woche trainiert und hohe Belastung mit regenerativen und extensiven Dauerläufen abwechselt, kann sich kaum jemals übertrainieren, dafür sorgen schon die Pausentage.
Auch die härtesten Tempotrainings werden verdaut und ziehen eine Leistungssteigerung nach sich. Beim sechs- bis siebenmaligen wöchentlichen Training ist ein Übertraining möglich, wenn auch noch Stress aus dem außersportlichen Rahmen und häufige Wettkämpfe dazu kommen.
So ein beginnendes Übertraining kann man aber ganz schnell wieder heilen, es reicht eine ruhige Woche und schon läuft es wieder. Aber auf Dauer brauchst du dann aber auch einmal eine längere Ruhepause.
Dein Organismus reagiert nur noch positiv auf Tempoläufe und Rennen, wenn du ihm zweimal im Jahr eine drei- vierwöchige Erholzeit gönnst. Dann macht er mit Freude wieder mit, liefert dir die begehrten Zeiten und die so befriedigenden Siege über Holger oder Olga (= weiblicher Holger).
Dietrich und all denen, die sich vor Übertraining fürchten, möchte ich noch mitgeben: Du musst im Training an deine Grenze gehen. Immer wenn du sie erreichst oder sogar überschreitest, verschiebst du sie in Richtung zu mehr Leistung. Das heißt aber auch im Umkehrschluss, wenn du dich nicht an dieser Grenze sehen lässt, dann hat dein Körper gar keinen Grund sich in Richtung höherer Leistung anzupassen.
Und wenn du den Faden weiterspinnst, dann solltest du deinem Holger dankbar sein, dass er dich an deine Grenze und darüber treibt. Er ist es, der dir zum Erfolg verhilft.
Das gilt natürlich auch in Bezug auf die Wettkämpfe. Wenn du nicht mindestens 20 Rennen im Jahr läufst, in denen du diverse "Holgers" bekämpfst, wirst du dein Potential nicht ausschöpfen können. Denn nichts trainiert besser als ein Wettkampf.
Damit mir nun nicht wieder jemand eine Diskussion aufdrängt: Mit den 20 Rennen sind in der Hauptsache Läufe von der Mittelstrecke bis zum Halbmarathon gemeint.