"Was hast Du Dir vorgenommen", fragt man sich unter Läufern ja gerne vor einem WK oder einem Training. Was als Antwort kommt, erinnert mich häufig an eine bestimmte Situation in den Greif-Trainingslagern. Vor dem 10K-Tempodauerlauf, den man ohne Uhr durchführen musste, sollte man die Zeit schätzen, die man erreichen wird. Das Ergebnis war ein gnadenloses Tiefstapeln bis zur Peinlichkeit. Bei der Siegerehrung wurden dann die Ergebnisse verlesen und dazu auch die vorher abgegebenen Prognosen genannt. Immer wenn ein Läufer weit unter seiner geschätzten Zeit geblieben ist, wurde er bejubelt. Warum? Was hat er geschafft? Er hat eine schlechte Selbsteinschätzung bewiesen und wird dafür mit Anerkennung belohnt. Warum ist das so?
Zunächst sollten wir uns fragen, ob wir selbst uns überhaupt die eigenen Ziele und Träume auswählen. "Logisch, wer denn sonst", wirst Du jetzt sagen. Aber stimmt das?
Den Höhepunkt in dieser Hinsicht habe ich mal als Zuschauer beim Frankfurt Marathon erlebt, als mir ein ebenfalls zuschauender Läufer offenbarte, er erreiche immer seine eigenen Vorgaben. Es sei eben nur eine Frage, welches Ziel man sich setze. Aber es lohnt sich, die Frage mal etwas tiefer zu betrachten.
Hast Du schon einmal vor einem WK oder einer Trainingseinheit mit Dir "verhandelt", weil Du das Gefühl hattest, nicht die "ganz großartige Leistung" bringen zu können. Der Tempodauerlauf im Tempo X erschien Dir zu hart? Lieber vielleicht als Crescendo etwas langsamer beginnen? Lieber ein paar Sekunden Aufschlag? Lieber aufgeteilt als Wiederholungslaufeinheit? Immer wenn ich mich "runtergehandelt" habe, sind mir 2 Dinge aufgefallen:
Es blieb nicht dabei, sondern wurde meistens nochmals reduziert, bis ich auch ganz sicher war, dass ich das Ziel erreichen werde.
Im Verlaufe des WK bzw. des Trainings führte es stets zu Unzufriedenheit, fehlender Motivation, Verunsicherung und teilweise sogar Abbrüchen.
Was beweist uns das? Es zeigt uns, dass wir unsere Ziele und Wünsche nicht aussuchen können. Sie suchen sich UNS aus. Du kannst vor einem WK hundertmal sagen, "ich will unter 50 Minuten laufen", wenn Deine Trainingsleistungen besser waren, weiß es Dein Inneres. Du kannst die ganze Welt täuschen, Dich nicht! Was Dich befriedigt oder nicht, das kannst Du Dir nicht aussuchen. Du kannst Dich dem nur stellen, oder eben nicht.
Ich glaube, vor diesem Dilemma, uns die richtigen Ziele zu setzen, standen wir alle schonmal. Welchen Ratschlag kann man da geben? Das vor dem Start schnell daher gesagte "Mach Dir keinen Stress" oder "Setz Dich nicht selbst unter Druck" sind Floskeln, die nun so gar nicht taugen. Gepaart oft mit dem nicht minder sinnlosen "sei doch mal zufrieden" im Ziel.
Das ist unehrlich und kann somit nicht funktionieren. Du musst Dir selbst gegenüber schon ehrlich sein. Willst Du abnehmen? Oder schlank sein? Willst Du trainieren? Oder fit sein. Willst Du einen Marathon laufen? Oder nur den Marathonzieleinlauf. Ein Marathon besteht nicht aus 42,2 Kilometern mit Publikum. Er besteht aus mehreren tausend Kilometern und viele davon bei Dunkelheit und Regen und allein.
Natürlich soll hier nicht überzogenen Erwartungshaltungen das Wort geredet werden, die dann zu Frust und Demotivation führen. Ich selbst habe jedoch schon oft festgestellt, dass ein Ziel, dass sich im Laufe Trainings als leicht zu ambitioniert erwiesen hat, im Nachhinein stets deutlich mehr Motivation ausgelöst hat als eine Luschieinheit, die sich dann auch noch hart anfühlte. Wenn ich mich beim Tempodauerlauf an das höhere Tempo gewagt habe und es hintenraus schwer wurde, dann war da oft der Gedanke "Mensch, kämpfe weiter! Selbst wenn Du die letzten Kilometer x Sekunden langsamer läufst, das wird trotzdem noch ein gutes Ergebnis." Wie heißt es so schön: "Das größte Problem ist nicht, zu hoch zu zielen und zu verfehlen. Das schlimmste ist, zu niedrig zu zielen und zu treffen."
Eine meiner "liebsten" Trainingseinheiten aus der "Folterkammer" des "Schleifereibetriebes Greif" war diesbezüglich das Gummibandtraining. Dieses Training war sicher sehr fordernd und nicht bei allen beliebt. Eines hat es jedoch hervorragend geschult, sich nicht sofort "runterhandeln" zu lassen, sondern auszuloten wie weit es geht.
Es fallen mir noch einige weitere Trainingseinheiten aus den Greifplänen ein, die diesbezüglich ganz geschickt erreichen, dass ich am Ende des Trainings eine bestimmte Leistung erbracht habe, ohne von Beginn an gleich in ein frustrierendes Überforderungsgefühl zu schlittern. Die wähle ich dann auch schonmal ganz gerne aus, wenn sie zwar nicht im akt. Plan stehen, ich aber mal wieder dieses Magengrummelgefühl vor einem Training habe, bei dem ich zwischen Wunsch und Selbstvertrauen hin- und gerissen bin.
Wenn Du also beim nächsten Mal in einer solchen Situation steckst, dann denk mal drüber nach, ob Du nicht, wie viele Dir beteuern werden, zu viel, sondern eher zu wenig Druck im Kessel hast. Die Dosierung sollte stets stimmen. Das ist bei einem guten Trainingsplan von einem guten Trainer gegeben. Und wenn Du eine Vorgabe mal nicht ganz erreicht hast, dann kannst Du gleich über 2 Personen schimpfen!