Wir kennen sie alle, die Geschichten über Fehler unserer Mediziner. Sie sind ein beliebtes Thema während unserer Trainingsläufe. Da können einige ganze Buchtexte von verpfuschten Verletzungen und nicht erkannten Erkrankungen wiedergeben.
Der objektive Wahrheitsgehalt dieser Erfahrungen ist oft gering. Meist läuft ein Bericht über eine Verletzung wie zum Beispiel der von L.B ab: "Dr. 1 hat gesagt, es ist eine Sehnensache, ich soll nur noch langsam laufen. Dann hat er mir die Salbe A und Tablette B verschrieben. Hat aber alles nicht geholfen.
Anschließend bin ich nach 3 Wochen zu Dr. 2 gegangen. Dieser meinte es wäre eine Muskelverletzung und verordnete mir eine vollständige Laufpause und Tablette C. Brachte auch nach 14 Tagen nichts."
Ein Lauffreund empfahl mir schließlich Dr. 3, der selbst läuft. Dieser stellte sofort einen Knorpelschaden fest. Spritzte mich zweimal und nach 14 Tagen konnte ich wieder laufen."
Der letzte Mediziner gewinnt
So empfindet dann L. B.: "Dr. 3 hat mich geheilt." Wenn man die Sache aber zu Ende denkt, dann dauerte der Heilungsverlauf 7 Wochen. Es ist leicht zu behaupten, dass der letzte Arzt schließlich geheilt hat. Wieso begann der Heilungsverlauf nicht bei Dr. 1, wurde von 2 fortgeführt und von 3 beendet?
Ketzerisch betrachtet könnte man auch sagen: Hätte L. B. gar nichts gemacht, dann wäre er nach 7 Wochen auch gesund gewesen. Aber wie auch immer, auch diese Betrachtungsweise ist hypothetisch.
Wir sollten uns angewöhnen, den erst behandelnden Mediziner nicht als unfähig zu betrachten. Die, die danach kommen, haben es immer leichter. Denn wenn die davor gehende Behandlung nicht angeschlagen hat, dann werden sie mit dieser nicht fortfahren, sondern etwas Neues versuchen.
So weit zu den alltäglichen Klagen über angeblich unfähige Ärzte. Aber manchmal hört man von Vergängen, die sind so ungewöhnlich, dass man sie einfach nicht glauben kann. Solche krassen Fälle lassen sehr an den Fähigkeiten unserer Ärzte zweifeln. Natürlich, wir alle machen Fehler, aber diese Sache lässt den Vertrauensballon platzen.
Die unglaubliche Verletzung von Günter Schad
Der 42-Jährige Franke ist schon seit 2003 Greif Club-Mitglied. Er entwickelte sich gut und war mit 2:34 h über die 42,2 km bald unter den Besten unserer Gemeinschaft zu finden. Regelmäßig nahm er auch an unseren Trainingsurlauben teil.
Ich kannte ihn als Kämpfer und er zeigte sich in keiner Phase als wehleidig. So dachte ich mir als er vor 5 Jahren berichtete, dass er nur eine kurze Laufpause einlegen müsse, weil sein Bein bis runter in den Knöchel schmerzte.
Was mich damals stutzig machte, waren die völlig unterschiedlichen Diagnosen, die seine Behandler stellten. Sie konnten sich auf nichts einigen und so lief Günter von Arzt zu Arzt. Trotzdem versuchte er zwischendurch immer wieder zu laufen und gab regelmäßig wegen zu großer Schmerzen wieder auf.
Es ist schier unglaublich, er war bei 8 verschiedenen Fachärzten und alle suchten seine Beschwerden ausgehend vom Rücken. Orthopäden, Neurologen, Chirurgen, Neurochirurgen usw.
Immer wieder wies er auf seine Schmerzen im Unterschenkel hin. Ein schweizer Spezialist operierte ihn nach Druckmessung ein angebliches Kompartmentsyndrom. Diese Operation musste er auch noch selbst bezahlen, die Krankenkasse übernahm nichts.
Die druckentlastende Operation auf den Unterschenkel besserte seine Situation etwas, aber wenn er nur sein Tempo etwas hochzog, musste er sein Training wegen zu großer Schmerzen abbrechen. "Bis 3:50 min/km ging es, wenn ich dann den Schritt aber etwas länger zog, musste ich sofort aufhören. Die Scherzen waren nicht aushaltbar", so der 32-jährige mit seiner Sicht auf die damalige Situation.
Aber leider änderte sich weiter nichts. Er nahm dennoch wieder an einem unserer Trainingslager teil. Langsame Dauerläufe konnte er absolvieren und auch bei jedem Tempolauf trat er an, lief vielleicht einen km und stieg dann mit schmerzverzerrtem Gesicht aus. "Es hat sich nichts gebessert nach der Operation!"
Günther war gefrustet und verzweifelt. Er nahm an den Trainingsurlauben auch nur noch teil, weil er seine auch laufende Frau begleitete. Diese hatte er vor einigen Jahren bei einem unserer Urlaube kennengelernt.
Auch in diesem Jahr (2011) war er in Tekirova mit dabei. Dort nahm er am Morgenprogramm teil, ansonsten begleitete er uns mit dem Rad. Diese ungewohnte Belastung trieb ihn auch zu unserem Physiotherapeuten Carsten Müller, der seine Muskel wieder auf Trab bringen sollte.
"Da ist ja gar kein Knochen mehr"
Carsten arbeitet gerade Günter Schads Wade durch, als er erschrocken ausrief: "Günther da ist ja gar kein Knochen mehr, dein Wadenbein hört hier auf!" Der Physio konnte es nicht glauben und fühlte noch einmal. Das Wadenbein endete und setzte sich versetzt weiter fort.
Carsten Müller: "Der Günther läuft schon jahrelang mit einem gebrochenen Bein umher." Wir alle waren geschockt. Konnte so etwas sein? Hatten alle die Ärzte vorher diese schwere Verletzung nicht erkannt.
Wir zweifelten, vielleicht irrte sich Carsten Müller auch. Diesen Gedanken trug auch ich in mir. Diese verschwanden aber ganz schnell, als ich nach einigen Wochen Günters Röntgenbild sah. Selbst ein Laie kann hier auf dem unten stehenden Röntgenbild von Günters Unterschenkel den Bruch und das versetzte Zusammenwachsen erkennen.
Röntgenfoto von Günter Schad 2011 mit dem verschoben zusammengewachsenen Wadenbein
Im oberen Drittel des Wadenbeins steht ein Knochenteil heraus und blockiert Nervenbahnen, die seine ausdauernden Schmerzen verursachen. Auch jetzt im Juni 2011 kann er sich immer noch nicht voll belasten.
Ich frage mich bei so einem Szenarium, wie viel verletzte Laufaussteiger haben unsere Mediziner zu verantworten? Hätte man etwas phantasievoller hingeschaut und vor allen Dingen gefühlt, dann würden viele von uns immer noch fröhlich und schmerzfrei ihre Runden durch Wald und Feld drehen.
Kann es sein, dass aufgrund des Kostendrucks innerhalb unseres Medizinsystems nicht mehr richtig manuell untersucht wird? Diese Idee bedrückt mich.