Manchmal bringen mich Mails von unseren Clubmitgliedern schwer in das Grübeln. Kann das denn sein, so dachte ich, als mir Manuel Ruiz aus (CH) Breitenbach einen Textauszug aus der Baseler Zeitung mit dem Titel: "Fettverbrennung: Am Berg spinnt der Körper" sandte?
Die Autorin Natascha Knecht schrieb: "Kürzlich veröffentlichte das SAC-Magazin 'Die Alpen' einen Artikel über die Fettverbrennung von Bergsteigern – basierend auf einer neuen, sehr aufwändigen Studie von Schweizer Höhenmedizinern. Erstmals ist dem Zentrum für Labormedizin des Kantonsspitals Aarau mittels Blutanalysen gelungen, ein Gesamtbild der Stoffwechselveränderung in großer Höhe zu erhalten. Der Körper zapft sofort Fettreserven an, übergeht die Kohlenhydratdepots.
An der Studie haben 30 Höhenbergsteiger teilgenommen. Während sie am Muztagh Ata (7546 Meter, China) und dem Pik Lenin (7123 Meter, Kirgistan) aufstiegen, hat man ihnen regelmäßig Blut entnommen. Die insgesamt 1000 Proben wurden tiefgefroren und in die Schweiz transportiert.
Resultat: Die Blutanalysen zeigten 'nicht nur heftige, höhenbedingte Stressreaktionen', sie gaben auch Aufschluss über die Energiegewinnung des Körpers in großer Höhe. Am meisten Veränderung entdeckten die Forscher beim Fettverbrauch: Je höher die Testpersonen aufgestiegen sind, desto mehr Fett wurde von ihren Körpern verbrannt. Der Kohlenhydrat-Verbrauch blieb dagegen gleich.
Diese Erkenntnis überraschte die Höhenmediziner. Denn normalerweise greift der Körper als erstes auf die Kohlenhydrat-Depots zurück und erst danach auf die Fettreserven. Zudem braucht die Energiegewinnung über Fettreserven mehr Sauerstoff als die Verarbeitung von Kohlenhydraten.
Und bekanntlich wird der Sauerstoff immer knapper, je höher man am Berg aufsteigt. 'Der Körper zapft also trotz Sauerstoffmangel nicht die am einfachsten verfügbaren Energiereserven an, sondern greift im Höhenstress bereits ab 4000 Metern auf die Fettreserven zurück', bilanziert Höhenmedizinerin Jacqueline Pichler gegenüber 'Die Alpen'.
Bereits in 4000 Metern Höhe gerät der Körper in den Ausnahmezustand
Weshalb der Organismus in dieser Extremsituation Fett als Energielieferant bevorzugt und so paradoxerweise Sauerstoff verschwendet, wissen die Forschenden nicht. Sie vermuten aber, dass der Körper aufgrund seines Ausnahmezustandes eine 'normale' Energieaufnahme als nicht mehr möglich erachtet und im Sauerstoffstress 'auf Überleben' und die Verbrennung von Fettreserven schaltet.
Oder kurz zusammengefasst: Über 4000 Metern beginnt der Körper zu 'spinnen'. Anders als etwa vor einem Marathon, sollte man also vor einer Bergtour nicht Spaghetti essen, sondern Fettiges."
Weiterhin kommentierte Natascha Knecht: "Mich und meine Alpinistenfreunde verblüfft dieses neue Forschungsergebnis wenig. Von Profi-Höhenbergsteigern weiß ich, dass sie während der Vorbereitungsphase wenig Kohlenhydrate essen und kurz vor dem Gipfelsturm eine 'Fett-Kur' machen. Während der Aufstiegsbelastung helfe Koffein, um die Fettreserven schneller anzuzapfen. Und schon Erhard Lorétan hatte sich damals – Jahrzehnte vor dieser Studie – vor seinen Besteigungen der Achttausender im Himalaja ein deftiges 'Fondue einverleibt', wie er im Buch 'Den Bergen verfallen' geschrieben hat.
Wir müssen nicht mal zu den höchsten Gipfeln der Erde, um außergewöhnliche Ess-Erfahrungen zu sammeln. Komme ich nach einer gewöhnlichen Hochtour in der Schweiz zurück ins Tal, habe ich danach tagelang Hunger. Und zwar Extrem-Hunger. Ich fühle nur noch Fleisch und Knochen, das Körperfett ist weg. Und wenn ich danach eine Woche lang nicht so viel esse wie etwa drei Bauarbeiter zusammen, dünne ich noch mehr aus. Ich interpretiere das als Nachverbrennungs-Effekt.
Trotzdem finde ich es gut, gibt es jetzt eine Studie. Wie viel sie gekostet hat, wurde nicht kommuniziert. Aber wenigstens sehen wir jetzt unser bisheriges Bauchgefühl betreffend Ernährung im Hochgebirge schwarz auf weiß bestätigt.
Studie mit Übergewichtigen auf der Zugspitze
Übrigens: Auch die Ludwig-Maximilians-Universität München machte eine Studie. Die Forscher ließen 20 übergewichtige Menschen eine Woche auf der Zugspitze (2650 Meter, Deutschland) verbringen. Das Ergebnis: Ohne Diät und Sport nahmen sie im Durchschnitt 1,5 Kilo ab. Ihr Ess- oder ihr Bewegungsverhalten änderten sie in dieser Zeit nicht."
Wie kann man diese Sache nun betrachten? Sollen wir alle in das Höhentraining gehen, möglichst nach Mexiko auf über 4000 m oder reicht schon ein Aufenthalt in Davos, Seiser Alm oder St. Moritz, um rank und schlank wieder nach unten zu kommen.
Ferner kann man darüber nachdenken, ob nicht der Effekt des Höhentrainings an der Leistungssteigerung danach durch den Gewichtsverlust der Sportler allein oder in Teilen geschuldet ist.
Und wie kann es denn sein, dass der Körper sich derartig an seinen Fettreserven vergreift? Die er doch als eiserne Reserve vorhält? Da ich keine große, aber doch ausreichende Bergerfahrung habe, kann ich auch dort doch Hinweise und Analogien finden.
Ab 1500 m gibt es Höhenstress
So ist seit langem bekannt, dass schon eine Höhenlage von 1500 m einen menschlichen Organismus erheblich stresst. Der sinkende Sauerstoffpartialdruck wird als gefährlich erkannt und es werden erhebliche Mengen von Stresshormonen ausgeschüttet.
Praktisch sieht das so aus, dass du in den ersten Tagen in der Höhe schlecht schläfst. Der Körper ist auf Kampf oder Flucht eingestellt und bleibt wachsam.
Es geht weiter damit, dass du im Training so etwas von heiß bist, du könntest immer nur rennen. Innerhalb unserer Trainingsgruppen verliefen die "ruhigen" Dauerläufe in meinen neun Davoser Jahren fast immer wie Wettkämpfe.
Kaum lag ein Hügel vor uns, wurde auf Wertung gelaufen. Der Schreiber dieser Zeilen immer mitten drin. Jede Woche zweimal über den Sertigpass und andere diverse Höhen bis 3000 m erklommen, das waren Teile unseres Programms, neben den Tempoläufen rund um den Davoser See.
Wir wussten damals noch nichts über die Wirkung unserer Stresshormone, die uns zu einem zu harten Training trieben. Besser hätten wir uns, was jetzt wissenschaftlich erkannt ist, in der ersten Woche mit ganz langsamen Läufen und Spaziergängen! an die Höhe angepasst.
14 Tage Höhentraining sind sinnlos
Aber wenn man als Nichtprofi nur 14 Tage Zeit zum Höhentraining hat, dann kann man nicht erst die Hälfte der Zeit "herumhängen" bevor es richtig los geht. Und mit der einen Woche danach kann man auch nichts mehr umreißen. Also ist für uns ambitionierte Läufer(innen) ein Höhentraining über 14 Tage relativ sinnlos.
Nach dem Sommertrainingsurlaub im Juli liefen wir zum Abschluss dann fast alle den Swiss-Alpin. Das klappte auch hervorragend, weil wir uns dann schon 14 Tage lang an die Höhe gewöhnt hatten und zu dem zweimal in der Woche über den Sertigpass mit 2739 m Höhenlage liefen. Die anderen Teilnehmer reisten meist nur einen Tag vor dem Rennen an und hatten damit natürlich mehr Probleme.
Danach gingen wir fast alle in einen Herbstmarathon, meist in Berlin und wir erzielten fast alle unterdurchschnittliche Resultate in diesem Rennen. Auch Versuche später einen Marathon zu laufen, endeten meist unbefriedigend. Für uns stand damals und auch heute noch fest: Wenn du im Sommer einen langen Höhen-Berglauf absolvierst, dann ist die Saison vorbei.
Versagen nach Höhentraining
Daraus habe speziell ich meine Schlüsse aus diesen Wettkampfresultaten gezogen und das war es dann auch mit den vielen Reisen nach Davos oder auch einmal auf die Seiser-Alm. Seit langem haben wir unseren Herbsttrainingsurlaub in den Harz, in die Nähe meiner Heimatstadt Seesen nach Wolfshagen verlegt.
Dort trainieren wir in Höhen zwischen 250 und 500 m und das klappt hervorragend. Wir sind im Februar in Spanien, im März/April in der Türkei und wie gesagt im August/September in Deutschland. Anhand der anschließend gelaufenen Zeiten kann man die Qualität der Trainingsurlaube und natürlich auch die Disziplin und den Einsatz der Teilnehmer vergleichen.
Die durchschnittlich stärksten Leistungszuwächse erzielen wir durchgängig nach Wolfshagen. Wir haben natürlich auch schon gerätselt warum das so ist, sind auch auf Erklärungen gestoßen. Die kann ich hier aber nicht alle aufzählen, denn das würde den Rahmen dieses Textes sprengen. Nur eines: Nach Wolfshagen kommen selten Leute, die mehr Urlaub als Training im Sinn haben.
Kommen wir also zurück zu dem Fettverbrauch. Es war auch damals in der Schweiz so, dass wir unverhältnismäßig viel gegessen haben und nicht zu, sondern abnahmen. Ich erinnere mich an einen sehr fleißigen Teilnehmer, der mehrmals in der Woche nach dem Abendessen noch einen Freundschaftsbecher Eis mit 10 Kugeln verschlang. Und dieser Mann erarbeitete sich von uns allen die spitzesten Nase.
Trainingsurlaub bei Greif macht eine spitze Nase
Man sollte dazu wissen, dass es in jedem Trainingsurlaub von uns zu Gewichtsverlusten kommt. Diese sind zum größten Teil bei den Männern durch einen Verlust von Unterhautfett im Gesicht zu erkennen. Dann erscheint die Nase spitz. Und so ist eine Spitznase ein absolutes Ehrenzeichen innerhalb solch einer Veranstaltung.
Also können wir festhalten: Wer hart trainiert oder arbeitet verliert Gewicht. Warum aber verbraten Bergsteiger mehr Fett als Kohlenhydrate? Während wir damals in Davos geschlungen haben wie ein Sperrmüllfahrzeug, war das bei einer weiteren Bergerfahrung völlig anders.
2006 habe ich zusammen mit vier anderen Läufer(innen) den Kilimandscharo auf der Mahame-Route bestiegen. Es ging vier Tage hoch und am letzten Tag auch noch runter. Die ganze Besteigung fiel mir sehr leicht, nur der Abstieg von knapp 6000 bis auf 2500 Höhenmeter war grausam.
Aber dies nur nebenbei. Entscheidend zum Thema war, dass wir alle ganz wenig Appetit hatten. Die Mengen, die wir verzehrten, standen in keinem Verhältnis zu den Kalorien, die wir im Aufstieg verbrauchten. Richtigen Hunger hatte kaum jemand von uns.
Noch eines war höchst erstaunlich. Im Nationalpark Kilimandscharo ist Alkoholverkauf strikt verboten. Aber wo ein Verbot ist, gibt es auch eine Umgehung. So hatte einer der einheimischen Träger "Conjaki", den regionalen Schnaps im Gepäck.
Eingeschweißt in Folienkissen zu 100 g und einem Preis von 2 Dollar, kaufte einer aus unser Gruppe dem Träger ein paar Kissen ab. Wir werteten damit unseren Tee etwas auf. Überraschend konnte ich persönlich nur einen Schluck davon trinken, ich ekelte mich geradezu vor dem Alkohol und das in so einer starken Verdünnung. Die anderen Gruppenmitglieder tranken etwas mehr, aber eine Wiederholung mit Conjaki gab es nicht.
Am Tag der nächtlichen Gipfelbesteigung sind wir dann gleich wieder herunter in unser Lager auf 4700 m. Dort gab es Essen. Niemand hatte aber so richtig Appetit, ich selbst aß gar nichts. Wir ruhten 2 h und dann ging es mit Schwung wieder nach unten.
In ca. einer Höhe von 3500 m überkam mich ein Hungergefühl, dass war unglaublich. Ich verschlang innerhalb von Minuten fünf Greif-Riegel. Und im letzten Lager kamen wir dann - verbotenerweise - an ein paar Flaschen Bier. Jeder trank drei Halbe, die schmeckten göttlich und wir waren davon auch schon ziemlich schwindelig.
Höhenbergsteiger verlieren Substanz
Wenn man nun diese ganzen Erfahrungen zusammenfasst, dann scheint es so zu sein, dass unser Organismus bei steigender Höhenlage durch den Sauerstoffmangel immer mehr unter Stress gerät und dadurch darauf verzichtet Nahrung aufzunehmen, die er mit großem Aufwand erst verdauen muss.
Er greift so auf sein meist in reichlichen Mengen vorhandenes Körperfett zurück, welches er nicht erst verdauen muss. Das er nicht die Kohlenhydratreserven wählt, liegt klar auf der Hand. Die dort gespeicherten Energiemengen sind lächerlich gering im Vergleich zu den Fettreserven.
Aber dabei bleibt es nicht. Wenn die Fettreserven auch zu Ende gehen, verdaut der Organismus auch seine Proteinreserven. Er zerlegt ganz einfach die Muskeln in stoffwechselgerechte Stücke und verheizt sie.
Dass dies in großen Höhen eigentlich Usus ist, erfuhr ich aus den Berichten von Christian S., einem langjährigen Clubmitglied. Er hat als erfahrener Höhenbergsteiger schon dreimal versucht einen 8000-er zu besteigen und scheiterte immer wieder am schlechten Wetter. Soweit ich weiß war es zweimal der Broad Peak und einmal der Gasherbrum.
Bei jedem Versuch musste er im Höhenlager auf ca. 6500 m jeweils 3 - 6 Wochen aushalten und war dennoch niemals in der Lage wegen der miesen Wetterbedingungen auch nur ein einziges Mal einen Angriff auf den Gipfel zu unternehmen.
Wenn er dann wieder hier in der Heimat war, er wohnt nur 20 km entfernt von Seesen, dann erschrak ich mich jedes Mal, wenn ich ihn sah. Er war so etwas von abgemagert, wie man es sich kaum vorstellen kann. Bein- und Armmuskeln waren um mindestens ein Drittel geschrumpft. Christian brauchte keinen Vergleich zu scheuen mit Bildern von Gefangenen, die wir nach dem 2. Weltkrieg zu sehen bekamen.
Laufen konnte er zwar, aber nur so langsam, dass es einem leid tat. Er brauchte jeweils mehrere Monate um sich von den Strapazen zu erholen. Er kommentierte das mit den Worten: "Ich habe Luft im Überschuss, aber meine Beine kommen einfach nicht vorwärts." Dieser Satz von jemand, der an einem Muskelschwund leidet, sollte alle diejenigen von uns aufhorchen lassen, die meinen, dass ein Läufer(in) seine Muskeln nicht kräftigen muss.
Leider konnte ich Christian im Zuge des Schreibens dieses Textes nicht erreichen, um Genaueres zu erfahren. Es scheint so zu sein, dass er wieder am Fuße eines 8000-ers steht. Denn er hat geschworen, dass er mit dem Höhenbergsteigen erst aufhört, wenn er einen dieser dicken Brocken geschafft hat.
Was kannst du nun aus diesen Erfahrungen und wissenschaftlichen Untersuchungen mitnehmen?
1. Du kannst beim Bergwandern und -laufen schnell abnehmen. 2. Laufen solltest du in der ersten Woche deines Höhenaufenthalts nur im leichten bis mittelschweren Gelände und dies langsam. 3. Wenn du einen Wettkampf mit einer Zeitdauer von über 3 h in Höhen über 2000 m läufst, wirst du mit einem Substanzverlust rechnen müssen, der Monate andauern kann. 4. Willst du in ein richtiges erfolgversprechendes Höhentraining gehen, solltest du dir dafür mindestens 3 Wochen Zeit nehmen. |