Das fettige Märchen
Fett ist per se böse, es ist Pest des 21. Jahrhunderts. Das wissen doch alle, aber nur wenige glauben es. Ein Widerspruch in sich selbst, genau so wie unser persönlicher und der Umgang unseres Organismus mit Fett ist. Einerseits rundet Fett die Hüften, was nun schon auf keinen Fall erwünscht, ach was schreibe ich, nicht erlaubt ist. Übergewichtige werden in vielen Firmen nicht mehr eingestellt, Adipöse sind vom frühen Tod bedroht und ein vormals hoch geehrter Bierbauch gilt als negatives Statussymbol. Ein deutscher Manager muss laufen können wie ein Windhund, seine Haut soll zäh wie Leder und der Bauch hart wie Kruppstahl sein. Andererseits liebt fast jeder von uns, das glatte Gleiten geschlagener Sahne vom Mund zum Magen, die fettreiche Schokolade ist vielen Menschen Trost und Genuss. Fettarmes Gebäck schmeckt nicht, Schinken ohne weißen Rand hat wenig Aroma, dürre Wurst macht nicht satt und magere Frauen fassen sich nicht gut an.
Bei Frauen kommt die ganze Gemeinheit des Fetts voll zu tragen. Ihr Leid mit diesem Grundnahrungsmittel ist schier unermesslich. Ganz wenige Frauen fühlen sich schlank genug, manche führen einen lebenslangen Kampf gegen dieses Oberschenkelgift. Zitat: "So lange ich denken kann, machte meine Mutter immer irgendeine Diät!" Ist ja auch gut zu verstehen. Wenn eine Dame in den besten Jahren dem Vorbild der magersuchtbildlichen internationalen Modells entsprechen will, dann wird sie sich irgendwann vor dem Spiegel wieder finden und laut oder leise formulieren: "Ich bin zu fett!" Und diesem Satz folgt ganz sicher: "Ab morgen nehme ich ab." Wieso eigentlich immer morgen, warum nicht sofort? Ist das genetisch bedingt, von den Weight-Watchers vorgeschrieben oder kommt es aus dem tiefen Bedürfnis heraus, sich vor dem großen Abnehmen noch einmal richtig aufzufetten, sprich sich genussvoll den Magen vollzuschlagen?
Wenn es dann am nächsten Tag los geht mit Diät, dann haben auch Frauen Kampfeslust in den Augen. Keine Kompromisse mehr, jetzt wird gehandelt: "Fett, dein Ende ist nah!" Wenn die inneren Fanfaren rufen, dann beginnt die Schlacht gegen das überschüssige Fett. Dieses überhört in seiner angeboren Gemeinheit erst einmal mit Gelassenheit die Kampfansage, so als wollte es sagen: "Was ich soll hier raus? Dass ich nicht lache, das hast du doch schon oft genug versucht."
Und fürwahr, die Diäten, die unsere Hausgenossinnen meist bevorzugen, treffen zuerst immer einen völlig Unschuldigen. Diese "3-Kilo-in-einer-Woche-leichter-Verfahren" vergehen sich mit dem Wasser in terroristischer Manier an unserem wichtigsten Nahrungsmittel. Mit allerlei Tricks wird die H2O-Ansammlung im Körper gemindert und einer sanitären Einrichtung zugeführt. Aber das macht unsere Damen selig! Diese Woche drei Kilo und nächste Woche noch einmal und weg ist die Butter. Aber oh Spiegel an der Wand, sie ist immer noch da die Reiterhosenschand. In voller Pracht leuchten rosig Schlaffpopo und Oberschenkelwulst so wie zuvor.
Aber da hat natürlich die Fettschicht die Rechnung ohne den Wirt gemacht. So schnell gibt eine deutsche Bürgerin nicht auf! Jetzt werden entweder Hardcore-Diäten ein- oder Nahrungsmittelaufnahme ausgesetzt, eventuell auch sportliche Verfahren zu Hilfe gezogen, zu letzterem kommen wir später. Die tragische Folge für die ganze Familie ist das nun beginnende Leiden und die schlechte Laune von Mama. Aber wenn die Mama von der Sorte "leidensfähige und disziplinierte Frau" ist, dann geht es dem Fett nun wirklich an den Kragen.
Aber so eine in Jahren liebevoll aufgezogene Speckschicht ist ja nicht doof, die merkt jetzt, dass es Ernst wird mit dem Rauswurf aus dem warmen Hüftgürtel. Und sie ist nicht ohne Gegenwehr! Die ungeliebte Hochenergiekruste verfügt nämlich mit einer Anzahl von Hormonen über so etwas wie eine Geheimpolizei. So wie es nun radikal an die Speicher geht, schwärmt die körpereigene CIA aus und flüstert allen Verbrauchern ein, dass eine große Energiekrise bevor steht. Diese Maßnahme hat, im Gegensatz zu denen der echten CIA, immer einen 100%-igen Erfolg. Der Organismus regelt den Energieverbrauch sofort herunter. Die Folge unter anderem: "Mama friert jetzt immer!"
Trotz Versagung jedes Genusses, der schärfsten Brigitte-Diät seit Christi Geburt und allgemein verringerter Nahrungsaufnahme bleibt der Zeiger der Badezimmerwaage nun trotzdem wie festgeklebt stehen. "Unsere Waage ist kaputt!", schallt es über den Flur. Soziale und mitfühlende Teile der Familie stimmen zu, aber irgendeine sadistische Seele steckt es der Diätierenden dann doch: "Die Waage wiegt wie immer!" Nun kommt der Punkt wo zwischen Sieg oder Niederlage entschieden wird. Geht sie jetzt zum Kühlschrank und zieht sich einen Sahnejoghurt rein, ist die Sache im wahrsten Sinne des Wortes gegessen. Und ihre Fettschicht höhnt aus der Orangenhaut heraus: "Ich habe es doch gesagt, du schaffst es nicht." Bricht Mama hingegen erst in Tränen aus und würdigt trotzdem die angebrochene Tafel Schokolade auf dem Küchentisch keines Blickes, dann geht es dem Fett nun richtig an das Schmalz.
Verschärfte Bedingungen werden eingeführt: Gymnastik vor dem offenen Fenster, Muckibude, Ergometer und noch weniger Nahrung. Nun endlich schwindet das Fett, weil Mama fast nichts mehr isst. Ein Signal an die Fettschicht, um mit ganz groben und unfairen Mitteln zurückzuschlagen. Zwar fällt der Zeiger der Waage, aber im Gleichklang dazu auch der Busen. Diesem Fallen folgen aber Wutausbrüche: "Es sollte doch an den Oberschenkel verschwinden und nicht an meiner Brust?"
Aber es kommt noch schlimmer! Wenn die erste sagt - es ist niemals ein Mann! - du siehst aber schlecht aus, bist du krank? Dann ist der Bruch der ersten Fettkampf-Barriere nicht mehr weit. Prüfend vor dem Spiegel werden außer abgesunkenen Milchdrüsen, tatsächlich weniger volle Lippen, eingefallene Wangen und vielleicht sogar eine spitze Nase konstatiert. Im Bett beklagt der Mann sich über mangelnde Kuscheligkeit und horcht ob schon etwas klappert. Dahingegen hofiert das grüne Neidgesicht der besten Freundin, ob der frisch erworbenen Schlankheit, die Seele. Wie auch immer, das Ende einer solchen Kur ist immer negativ. Den Kampf gegen den Hunger kann niemand gewinnen, auch unsere Mama nicht. Irgendwann gibt sie auf und frönt wieder mit Lust der Nahrungsaufnahme. So schlimm sind ein paar kg zuviel ja nun auch nicht. Die Sahne rutscht wieder und die 3 Pralinen können doch nicht schädlich sein. Mama ist wieder rund, kuschelig und zufrieden, bis sie wieder vor dem Spiegel steht: "Du bist zu fett!"
Aber wie wird man denn nun sein Fett los, wenn nicht durch weniger essen? Ich wäre ja kein Lauftrainer, wenn sie von mir nicht ein Rezept für stramme Waden, schlanke Oberschenkel und einen Strammpo erwarten könnten: Gehen sie laufen! Nein, nein nicht joggen! Joggen ist eine amerikanische Erfindung zur Erhaltung von mittelmäßiger Schwabbelligkeit. Joggen ist fast so schlimm wie Nordic Walking, aber nicht so schlimm wie Nichtstun. Laufen hingegen bringt dauerhaften Gewichtsverlust, mehr Gesundheit und besseres Aussehen.
Was unterscheidet denn nun einen Jogger(in) von einem Läufer(in)? Erstere Art der Bewegung ist aus dem Märchen entstanden, dass es eine langsame Laufbewegung gibt, die optimal und genug Fett verbrennt. Die so genannte Fettverbrennungszone wurde geboren und Millionen von Menschen in den Komfortzonen der atlantischen und pazifischen Länder trippeln im Zuckeltrab dahin und hoffen auf das Schmelzen ihrer persönlichen Ölvorräte. Die Fettverbrennungszone fand Eingang in die Pulsmessgeräte und wurde Standard in jedem Fitnesscenter. Um Himmelswillen nicht nach oben raus aus dieser Zone, wer zu schnell läuft, verbrennt kein Fett sondern Kohlenhydrate.
Was nun leider schlicht weg Unsinn ist. Das meiste Fett verbrennt man dann, wenn man seine höchstmögliche Dauerleistung bringt. Was das ist? Wir Läufer nennen diese Übungsform Tempodauerlauf. Bei jemandem, der nur abnehmen will und drohende olympische Ehren nicht im Sinn hat, wird so ein Lauf nicht besonders nach Tempo aussehen, er bleibt aber dennoch hoch wirksam in Hinsicht auf den Fettabbau. Bei 30 min im schnellstmöglichen Tempo steigt der Energieverbrauch in geradezu verzückende Höhen. Wer 70 kg wiegt, verbraucht bei 10 km/h (6 min/km-Tempo) ungefähr 250 kcal in 30 min, aber bei nur 3 km/h schneller (4:37min/km) schon an die 600 kcal. Der Kalorienverbrauch wird durch die Tempoerhöhung mehr als eine verdoppelt.
Natürlich ist das nicht alles Fett, was bei dem schnellen Lauftempo verbrannt wird, darauf kommt es aber auch nicht an. Um abzunehmen, ist nur eines wichtig: Mehr Energie verbrauchen als aufnehmen. Die 250 kcal von 30 min joggen, die können sie getrost vergessen. Diese Energiemenge ist schon in einem halben Liter Cola oder Orangensaft enthalten. Die 600 vom schnellen Dauerlauf, die sind schon ordentlich was und die bleiben nicht allein, denn beim Auslaufen und später in Ruhe verfeuert der Organismus weiter fleißig Fett. Da können sie sich noch einmal gut 100 - 150 Kalorienchen abschreiben.
Hört sich alles sehr schön an, aber so ein schneller Dauerlauf ist kein Zuckerlecken, der erfordert Willen und Härte und ist auch nicht leicht erlernbar. Wenn sie damit starten wollen, dann sollten sie kein völliger Anfänger sein. 30 min lockeres Joggen darf ihnen kein Problem bereiten. Suchen sie sich eine Strecke aus, machen sie sich klar, dass sie nun eine halbe Stunde so schnell wie möglich laufen wollen. Grundsatz: Aufgeben gilt nicht und gehen ist pfui! Dazu müssen sie am Anfang mit einer moderaten Geschwindigkeit loslaufen und diese langsam so weit erhöhen, bis sie das Gefühl haben dieses Tempo 30 min durchlaufen zu können.
Wenn sie die halbe Stunde um haben, markieren sie die Stelle bis zu der sie gekommen sind ganz genau. Das ist jetzt ihre Marke, ihr Standard. Wenn sie den schnellen Dauerlauf nun wiederholen, versuchen sie unbedingt ein Stück weiter zu kommen als beim ersten Mal. So versuchen sie bei jedem 30 min-Training einige Meter weiter zu kommen. Das gelingt keinesfalls bei jedem Mal, oft bleibt man weit hinter seinem Rekord zurück, denn nicht an jedem Tag ist die Form gleich. Aber wer dranbleibt und weiter kommen will, der gewinnt an Tempo, Kraft und Selbstwertgefühl, verliert aber, oh wie schrecklich, Gewicht.
Diese Art Training hat aber auch seine Grenzen: Sie dürfen es niemals mehr als zweimal in der Woche durchführen, denn dann hat es negative Auswirkungen auf ihre Gesundheit. Und was sie als ebenso schlimm empfinden werden, ist die Tatsache, dass es beim übertriebenen Gebrauch der Droge Tempodauerlauf bald zu einem Formzusammenbruch kommt. Gestern liefen sie noch wie ein junger Gott durch den Park und heute bekommen sie vor Kraftlosigkeit nicht mehr die Beine hoch.
Ich empfehle ihnen zu dem zweimaligen Einsatz eines schnellen 30-minütigen Dauerlaufs pro Woche, eine weitere lange Einheit von einer Stunde in einem für sie angenehmen Joggingtempo. Denn aufgrund der schnellen Einheiten konsolidiert der langsame Lauf ihre erworbenen Fähigkeiten und verbessert die Ausdauer.
Wenn sie nun glauben, dass alles was ich hier schreibe, ist nun so eine spinnerte Idee von mir, weil doch fast die ganze Welt vom Jogging als Fettkiller spricht, dann kann ich ihnen versichern: Mitnichten, das ist alles wissenschaftlich untersucht und es funktioniert auch in der Praxis, was viel wichtiger ist! Also heran an den schnellen Dauerlauf. Versuchen sie es, ihre Fettschicht wird sie dafür hassen.