Der Schreiber dieser Zeilen hat in unserer Szene ja so seinen Ruf. Ich muss mir einiges anhören: Menschenschinder, Sklaventreiber und noch einige andere verbale Zärtlichkeiten. Besonders die Wellnessszene sieht bei dem Namen Greif purpurrot, greift dort doch jemand in das heilige Körperschmuseleben ein und verlangt Leistung. Da man nun Leistung nicht so einfach ablehnen kann, denn wir leben in einer Leistungsgesellschaft, unterstellen die Betroffenen dem Fordernden einfach Unmenschlichkeit.
Zu hart, zu viel km und zu schnell seien die Vorgaben in meinen Plänen. Zu schnell? Du wirst es sicher kaum glauben: Ich habe weit öfter in eine Läufergruppe "langsamer" hereingerufen als "schneller". Und ich behaupte, dass die meisten meiner Kritiker im Training in der Regel zu schnell, aber nie richtig schnell laufen. Wenn es an das Eingemachte gehen soll, dann sind viele nur in ganz geringem Maße in der Lage ihr Tempo entscheidend zu erhöhen, weil sie zu müde vom immer währenden zu hohen Durchschnittstempo sind.
Durchgängig ist in bundesdeutschen Lauftreffs der mittelschnelle Dauerlauf das Mittel der Wahl. Wenn ich es einmal in Pulswerten ausdrücken soll, dann dreht sich das Ganze in einem Pulsbereich von 70-80% vom individuellen Höchstpuls und dies praktisch in jedem Training. Wesentlich erfolgreicher und mit deutlich größeren Leistungszuwächsen antwortet ein menschlicher Organismus aber, wenn er einmal mit einer Belastung um die 85% vom Höchstpuls und danach zur Erholung am nächsten Trainingstag nur mit 65-72% belastet wird.
Ich kann dir nur empfehlen: Wenn du deine Laufleistung steigern willst, dann renne im unterschiedlichen Tempo. Ein Beispiel: Zwei Läufer(innen) möchten 45 min über 10 km knacken. Beide trainieren dreimal wöchentlich 10 km. Läufer 1 läuft ständig mittelschnell in einem Tempo von 5:20 min/km. Läufer 2 lässt es langsamer angehen, joggt einmal locker in 5:50 min/km, gibt aber dann ein zweites Mal in der Woche richtig Gas und rennt am "Anschlag" die gleiche Strecke im 4:50 min/km und im dritten wöchentlichen Training dann wieder 5:50.
Ich kann dir versichern, bei gleichem Talent werden sich die beiden beschriebenen Sportler leistungsmäßig extrem unterschiedlich entwickeln. Die Variation des Tempos bringt Läufer 2 überdurchschnittliche Leistungszuwächse, obwohl Läufer 1 im Durchschnitt schneller läuft.
Ich möchte dabei den mittelschnellen Dauerlauf nun nicht als völlig nutzlos abtun, er bringt immer noch mehr Leistungszuwächse als das dauerhafte "Schleiffußjogging" im untersten Leistungsbereich. Auch wer nur aus Gesundheitsgründen läuft, sollte sich einmal in der Woche fordern.
Interessant am extensiven Dauerlauf im Bereich von 65-72% des Höchstpuls ist etwas, was ich früher nicht verstand. Zu meiner Zeit in den 80iger Jahren gab es einige Marathonläufer, die liefen außer in Wettkämpfen niemals schnell. Sie machten aber eine Unmenge km und erreichten mit diesem Training auch ansprechende bis gute Marathonresultate. Trainingsmethodisch war dieses Übungsverhalten aber nicht abgesichert. Normalerweise waren diese Leute weder energetisch noch muskulär-koordinativ ausreichend trainiert, um die erreichten Leistungen zu erbringen.
Wir gaben uns damit zufrieden, in dem wir annahmen, diese Läufer trainierten ihren Fettstoffwechsel besser. Aber wie konnten sie den Kohlenhydrat-Stoffwechsel optimieren, wenn sie immer nur langsam liefen? Das Rätsel ist heute gelöst! Durch ein langes ruhiges Ausdauertraining speichert der Organismus intramuskuläre Triglyceride (Fette) direkt in den arbeitenden Muskeln. Diese Speicherfette werden während einer Ausdauerbelastung verbraucht, danach auch wieder kompensiert und auch superkompensiert. Das heißt, dass sie bei richtiger Belastung über ihren Vortrainingsgehalt erhöht werden.
Das interessante an diesen intramuskulären Triglyceriden ist, dass sie auch für intensiveres Tempo zur Verfügung stehen. In diesem Zusammenhang sind auch die winterlichen Trainingsanleitungen in den individuellen Greif-Club-Trainingsplänen zu sehen. Dort gibt es die Anweisung, den ganzen Winter über wöchentlich einen 35 km-Lauf im ruhigsten Tempo zu laufen. Ich schreibe den Clubmitgliedern dann auch, dass sie im Grunde so langsam laufen können wie sie möchten. Sie legen damit eine Grundlage, in dem sie Vorräte von intramuskulären Triglyceriden aufbauen, die sie dann, wenn es richtig zur Sache geht, nutzen können.
Auch von einigen der Clubmitgliedern wird nicht verstanden, warum dieses winterliche Training so wichtig ist: "Warum soll ich mich den ganzen Winter über diese lange Strecke quälen? Bei uns im Lauftreff macht das niemand!" Das ist sicher so, denn der Mensch ist bequem und bei 5 Grad minus 35 km zu laufen ist sicher auch nicht immer ein Spaß. Aber diese ruhige Umfangsvorbereitung bringt im Frühjahr ganz erhebliche Leistungszuwächse, man darf nur nicht den Fehler machen zu früh zu schnell zu laufen.
Andererseits solltest du aber auch nicht glauben, dass das gesamte Wintertraining nur im Joggingtempo absolviert werden soll, sinvollerweise sollten in dieser Zeit auch ganz geschickt gesetzte schnelle Einheiten gelaufen werden.