Wie dir vielleicht bekannt ist, steuern wir in unseren individuellen Greif-Trainingsplänen alle Einheiten über entsprechende Laufzeit-Vorgaben. Lediglich als Hilfsgröße geben wir einen dazu gehörigen Puls an. Das führt oft zu Verwirrung und jeder Menge Nachfragen. Viele Emails zum Thema Puls lassen mich kopfschüttelnd am Schreibtisch verzweifeln. Ich frage mich dann immer, woher diese Weisheiten kommen.
Peter Greif hat vor Jahren einen Beitrag über die Genauigkeit der Pulsmessung geschrieben. Dieser steht allerdings bei uns im "Laufberater", so dass ihn viele die im Newsletter-Archiv stöbern, nicht finden. Weiter unten ist der gesamte Artikel noch einmal aufgeführt. Bevor wir dazu kommen, noch ein paar Bemerkungen vorweg.
Zwei Dinge in Bezug auf eine Trainingssteuerung nach Puls werden im Artikel nicht aufgeführt. Zum einen die Höchstpulsermittlung, zum anderen die Ungenauigkeit der Messtechnik an sich.
Eine Trainingssteuerung nach Puls wird schon ad Absudum geführt, wenn dein Höchstpuls nicht korrekt ermittelt wurde. Meines Erachtens ist dies auch gar nicht möglich. Es gibt zwar verschiedene Tests z.B. mit einem 1000 m TL, aber wer kann sich schon zu 100% ausbelasten? Vielleicht die sehr gut trainierten, seit Jahren aktiven Läufer. Aber Anfänger? Klar strengen die sich auch richtig an. Aber es gibt bei Laufanfängern eine Diskrepanz zwischen muskulärer Kraft und Herz-Kreislauf-Kapazität. Sicher wird bei einem entsprechenden Test ein hoher Wert angezeigt. Aber dass es sich dabei um den individuellen Höchstpuls handelt, wage ich in der überwiegenden Zahl der Fälle zu bezweifeln. Wenn dieser Wert auch nur 10 Schläge unter deinem wirklichen Höchstpuls liegt, dann macht eine Pulssteuerung keinen Sinn.
Beispiel: du ermittelst im Test einen Höchstpuls von 190, darauf soll das Training basieren. Dein wahrer Höchstpuls liegt bei aber 200. Für einen lockeren DL mit 65% HFmax wird ein Belastungspuls von 123 Schlägen angegeben. Wenn du dich danach richtest, dann läufst du zu langsam, da du bei 65% Belastung mit Puls 130 unterwegs sein müsstest. D.h. Du belastest dich nicht optimal und entwickelst dich entsprechend langsam oder gar nicht.
Was ist eigentlich mit der sogenannten Todesreserve? Du kennst die Bezeichnung? Es ist z.B. die Zeitdifferenz des möglichen Hängens an einer Reckstange im Vergleich zum Fenstersims im 10 Stock. Wenn Körper und Geist in der Lage sind, in diesem Zustand mehr Leistung zu erbringen, dann tut dies auch das Herz in dieser Situation.
Es existieren auch diverse Formeln zur Berechnung des Höchstpulses. Die kannst du alle getrost vergessen. Keine dieser Formeln funktioniert. Der Höchstpuls ist ein individuell genetisch vorgegebener Wert, den du im Gegensatz zum Belastungspuls (durch Training) nicht beeinflussen kannst. Klar gibt es Läufer bei denen eine Formel zutrifft. Das ist reiner Zufall. So wie die Wahrscheinlichkeit besteht, beim Würfeln in 6 Versuchen eine eins zu werfen, so besteht die Wahrscheinlichkeit, dass die Formel bei 2 oder 3 von 10 Läufern einen korrekten Wert liefert. Wir hatten Läufer, da lieferte die Formel einen Höchstpuls von 185, der gemessene lag bei 215!
Die Messtechnik spielt bei der Betrachtung der Genauigkeit auch eine entscheidende Rolle. Vielleicht kannst du dich noch an Versuche im Physikunterricht erinnern? Da gab es zu jeder Auswertung der Messergebnisse eine entsprechende Fehlerbetrachtung der verwendeten Messtechnik. Ich wage zu behaupten, die dort verwendeten Messgeräte waren um einiges genauer als die von uns verwendete Pulsmesstechnik.
Die meisten Läufer sind vermutlich inzwischen mit einer GPS-Uhr mit integrierter Pulsmessung unterwegs. Den Puls kannst du dabei über einen optischen Sensor am Handgelenk oder über einen per Bluetooth gekoppelten Brustgurt messen. Sollte dich dein Belastungspuls während des Trainings wirklich interessieren, dann solltest du zum Brustgurt greifen.
Die Messung am Handgelenk liefert z.T. abenteuerliche Werte. Ich muss da immer wieder nach einem Training schmunzeln. Mal habe ich bei einem regenerativen DL bei einem Tempo von 4:50-4:55 min/km bei gleichen Bedingungen und Kleidung einen Durchschnittspuls von 111 ein paar Tage später 155. Oder es gibt einen folgenden interessanten Pulsverlauf:
Wie beschrieb es ein Läufer auf Garmin-Connect so schön? "Sonntag war die Batterie meines Brustgurtes nach 1:23:00 h leer und die Handgelenk-Messung schien die Armbewegungen zum Puls zu addieren."
Die Systematik dahinter habe ich noch nicht erfasst. Mal hilft das Ausschalten der Uhr, mal ein Reinigen des Sensors. Einmal habe ich die Stelle am Handgelenk rasiert. Das Absurde sind dann natürlich die Trainingsempfehlungen wenn du eine entsprechendes Uhrenmodell hast. Da steht bei mir doch schon mal nach einem lockeren regenerativen DL: empfohlene Pause 5 Tage!
Noch ein Hinweis zum Anstieg des Pulses im Verlauf eines Laufes in gleichmäßigem Tempo. Hierbei ist ein Anstieg der Herzfrequenz von 10% bis zu 20% durchaus normal. Der Grund dafür sind Flüssigkeitsverlust (Schwitzen) und die entsprechende Thermoregulation des Köpers. Der HF-Verlauf siehst dann etwa so aus:
Mir schrieb in diesem Zusammenhang eine eher unerfahrene Läuferin völlig aufgelöst, dass sie bei einem Halbmarathon trotz gleichbleibenden Pulses ihr Tempo nicht halten konnte. Wenn du dir o.g. HF-Verlauf ansiehst, wird dir sicher klar warum. Wenn der Puls bei gleichbleibenden Geschwindigkeit ansteigt, dann fällt die Geschwindigkeit natürlich ab, wenn man versucht den Puls konstant zu halten.
Hier jetzt der oben angesprochene Artikel von Peter Greif:
Herzklopfen ist eigentlich nur das gemeine Lebenszeichen unseres Herzens. Diesem Zeichen widmen wir Läufer(innen) aber sehr viel Aufmerksamkeit und nennen es Puls. Dieser wird, wie der Jargon es ausdrückt, mit dem Pulser gemessen. Ich schätze, gut zwei Drittel aller Läufer(innen) tragen solch einen Herzfrequenz-Monitor (Mediziner-Jargon). Die meisten von ihnen setzen den Pulser auch sinnvoll ein, andere aber werden zu fetischistoiden Pulser-Gläubigen oder haben Vorstellungen, die alles andere als realistisch sind. Manchmal ist der Glaube an die Wirksamkeit des Trainings nach Puls groß, in unserem Club ist er stark eingeschränkt, weil ich immer wieder darauf hinweise, dass das wichtigste die Zeit im Training ist.
Wir haben bei uns im Lauftreff jemanden, der wohl 33% von anderthalb Büchern über Training nach Puls gelesen hat.
Damit hat er die Sache verstanden, ist davon überzeugt und ist nun auch in der Lage, seine Weisheiten dem allgemeinen Lauftreff-Umfeld zu vermitteln. Meint er! Seine Drohungen mit nicht wieder gut zu machenden Folgen durch ein Ignorieren der Pulsanzeige sind schon Legende. Die Monologe dieses guten Mannes, denn er handelt ja in bester Absicht, hängen noch Stunden später bedeutungsschwanger in den Zweigen der Fichten an unseren Harzer-Trainingsstrecken.
Nur leider hängen dort auch meine stummen Schreie ob der Tumbheit seiner Worte. Ihr ist eine völlige Kritiklosigkeit zu eigen, die auch durch zitierte Industrie-Werbesprüche nicht besser wird. Der Flachgang dieser Worte ist nicht zu übertreffen, meine Ohren schmerzen, meine Seele weint und da ich während des Trainings, wegen augenblicklichem deutlichen Übergewichts, auch nicht diskutieren kann, bleibt mir nur ein hechelnd ausgestoßenes: "Blödmann!"
Nur wenige beten den Götzen Pulsmessung in einer derartigen Weise an. Aber weit verbreitet ist doch der Glaube an die allgegenwärtige Genauigkeit der Herzfrequenzmessung mittels Pulsuhr. Nun ist Glauben zwar auch eine Herzensangelegenheit, aber nun leider nicht mit handfesten Fakten zu belegen. Fakten liefert der Pulser auch, aber keine handfesten. Pulsmessung ist ein Grobparameter (= grobe Hilfsgröße). Und diese Grobheit ist eigentlich das, was die Sache so heikel macht.
Obwohl die Pulsmessung seit ewigen Zeiten schon Thema bei uns im Greif-Club ist, muss ich immer wieder folgenden Satz hören oder lesen: "Ich komme gut mit dem Plan zurecht, aber die Pulswerte stimmen hinten und vorne nicht." Meine Nachfrage ist dann: "Wie liegen sie denn?" "Wenn Du schreibst, bei 5:25 min/km soll ich 137-145 Puls haben, komme ich auf 146-152." "Na prima, dann hast Du es ja genau getroffen!"
Wenn Du mit Deiner aktuellen Leistungsfähigkeit nicht weiter als eine Minute von Deiner aktuellen Zielzeit entfernt bist, geht die Trainings-Tempo-Steuerung über die Zeitmessung vor der Pulsmessung.
Realistisch betrachtet ist die enge Angabe eines Trainingsbereichs nach Herzfrequenz gar nicht möglich. Warum? Probiere es einmal selbst aus. Laufe morgens und abends auf der selben Strecke das gleiche Tempo. In der Regel ist der Morgenpuls aber um 10 Schläge höher als der Abendpuls. Kann aber auch umkehrt sein, nur gleich ist er selten. Halten wir fest: Ungenauigkeit bis 10 Schläge.
Wenn Du die Möglichkeit hast, prüfe einmal ab, wieviel Herzschläge der Unterschied zwischen einem Lauf in kurzer Hose und T-Shirt im Gegensatz zum einem Training in dicken Winterklamotten ist. Du wirst feststellen, das der Herzpreis für eine Wintertight, eine Unterhose, ein Thermo-Shirt, einen Laufpullover sowie eine Winterjacke samt Lauf-Mütze und Handschuhen mindestens 5 Herzschläge beträgt. Nicht teuer, aber es läppert sich. Jetzt sind wir schon bei 15 Herzdurchläufen. Ist es dazu noch eiskalt, Dein Gesicht wird schön rot, kommen noch mal mindestens drei Herzklopferchen auf das Konto. Jetzt sind wir schon bei 18.
Noch schöner wird es im umgekehrten Falle, wenn es richtig heiß und die Luft dazu schön feucht ist. Du schwitzt wie das sprichwörtliche Borstentier und wirfst einen Blick auf den Pulser und erschrickst: "6:15 min/km und 156 auf der Uhr, das Ding ist kaputt oder ist hier eine Hochspannungsleitung?" Ist sie meist nicht, dann die Thermoregulation (Mediziner-Jargon) kostet bis zu 15 Pulsschläge. Wo stehen wir jetzt mit unserem Ungenauigkeitskonto? Die 3 Schläge wegen Eiseskälte, müssen wir wieder abziehen, denn die gehören auch zur Thermoregulation, dann sind wir in einem Ungenauigkeitsbereich von 30 Herzmuskelfrequenzen.
Es wird Dir nicht schwer fallen, Dir vorzustellen, dass ein Trainingsplan im Moment seiner schriftlichen Darlegung nicht wissen kann, unter welchen Umständen nun aus Druckerschwärze Läuferschweiß wird. So kannst Du sicher auch verstehen, warum mir das Beklagen einer siebenpünktigen Ungenauigkeit von Pulsangaben im Trainingsplan so auf die Nerven geht.
Wenn Du nach Puls trainierst, kann ich Dir nur empfehlen, diesen nur als Beigabe-Information zu nutzen. Halte Dir jeden Tag wieder vor Augen, das sich Deine Trainingsleistung nur sauber in der Laufzeit auf einer festgelegten Streckenlänge widerspiegelt. Die Anzahl der Herzschläge auf dieser Strecke gibt aber die Gesamtbelastung des Organismus wieder und nicht allein die der Laufleistung.
Also, ob Du frierst oder schwitzt, Dich aufregst, freust oder ängstlich bist, auch wenn Du liebst oder haßt, der Puls reagiert immer mit. Der Organismus passt sich den erwarteten Situationen ständig mit der Ausschüttung von Streßhormonen an, die die Herzfrequenz nach oben treiben. Auch wenn sich Dir auf Deiner Laufstrecke jemand nähert, den Du überaus attraktiv findest und schaust auf den Pulser, der erhöhte Werte anzeigt, dann kommt das sicher nicht davon, dass Du schneller geworden bist. ;-)
Ich habe sogar den begründeten Verdacht, dass gerade die Leute, die am intensivsten auf den Pulser schauen, sich leistungsmäßig eher schleichend oder gar nicht entwickeln.