Ende August 2017 in unserem Trainingsurlaub in Wolfshagen/Harz, begleitete ich eine Läuferin an einem Anstieg mit dem Rad. Sie hechelte wie ein Hund, offensichtlich war sie überfordert. Ich riet ihr tiefer zu atmen, was sie auch machte.
Überrascht war die 48-jährige, dass sie nun deutlich besser die Steigung hinauf kam. Sie konnte es kaum fassen. Ich fragte, ob sie schon einmal etwas von der NAT (Neuen Atemtechnik) gehört habe. Sie antwortete: "Davon habe ich noch nie gehört!"" Nur einige Läufer(innen) hatten von der NAT gehört.
So war es angebracht wieder einmal über die Atemtechnik zu schreiben:
"Reserven zur Steigerung der Ausdauerleistung", ein Artikel erschienen in der wissenschaftlichen Zeitschrift "Leistungssport". So ein Titel erregt natürlich die Aufmerksamkeit eines Läufers. Ein alter Hut mit neuen Federn? Ein noch nicht nachweisbares Dopingmittel? Oder gibt es wirklich etwas Neues? Die Abhandlung war verfasst von Alexander A. Strelzov in der Übersetzung von Dr. Peter Tschiene.
Was war dran an der Sache? In diesem Artikel wird beschrieben, dass mit einer geänderten Atemtechnik erhöhte Lauf-Leistungen erzielt werden können. Dies beruht darauf, dass der Übergang des Sauerstoffs in den Lungen auf das Hämoglobin des Blutes ein Zeitoptimum benötigt.
Nur wenn das Ein- und Ausatmen 1,4 - 1,6 sec (Einatmung 0,6 - 0,8 sec) dauert, ist eine komfortable Sauerstoffversorgung gewährleistet. Bei langsamen Laufen und Gehen wird dieser Atemrhythmus von 38 - 43 Zyklen/ min bequem erreicht.
Wird das Tempo aber schneller (etwa die Geschwindigkeit des Tempo-Dauerlaufs), dann zeigen sich erste Anzeichen von Ermüdung. Die Einatmungsdauer beträgt nur noch 0,55 - 0,65/min.
An dieser Stelle nun hat das Hämoglobin nicht mehr genügend Zeit zur Bindung von Sauerstoff, weil die Phasen zwischen Ein- und Ausatmen zu schnell wechseln. Von diesem Moment an wird zusätzlich der anaerobe Stoffwechsel genutzt und es wird Laktat produziert.
Wird die Laufgeschwindigkeit noch höher bei 56 - 85 Atemzyklen (Einatmungsdauer 0,35 - 0,54 sec), wird die Zeit zur Bindung von Sauerstoff noch kürzer und das Laktat steigt an. Bei einer Atemfrequenz von mehr als 85 Zyklen/min gerät das ganze System außer Kontrolle.
Es wird zwar sehr viel Luft in die Lungen gefördert, bei einer Einatmungsdauer von nur 0,3 sec wird aber praktisch kein Sauerstoff mehr gebunden. Der Energiestoffwechsel wird nun fast rein anaerob, das Laktat steigt flutartig an. Der Läufer kann in diesem Zustand maximal noch 2 - 5 min laufen, muss dann aufgrund der Übersäuerung des Organismus seine Laufgeschwindigkeit rabiat herabsetzen.
Jeder von uns ist bei einem Langstrecken-Wettkampf oder einem Tempotraining gezwungen genügend Sauerstoff aufzunehmen. 85% unserer gesamten Leistung sind abhängig von der maximal möglichen Sauerstoffaufnahme.
Gedanken darüber, wie dieser Sauerstoff in unsere Lungen kommt, machen wir uns aber kaum. Wir atmen reflektorisch, d. h. so wie uns das Gefühl es vorgibt. In der Laienliteratur und besonders im Internet wird immer wieder auf bestimmte Laufrhythmen hingewiesen. Z. B. 2 Schritte laufen, einmal atmen oder auch 3 : 1 oder 4 : 1.
Um es gleich vorwegzunehmen, diese Rhythmen sind als unökonomisch abzulehnen. Wir sind als Mensch nicht dazu gezwungen Vierbeiner, die tatsächlich im Laufrhythmus atmen, nachzuahmen. Die Tiere sind zu diesem Rhythmus gezwungen, weil ihre Muskulatur der Vorderbeine den Brustkorb weit umfasst. Der Mensch aber kann willentlich langsam oder schnell atmen, ohne von seiner vergleichsweise kleinen Brustmuskulatur beeinflusst zu werden.
Diese Tatsache nutzten die Autoren und schlugen eine neue Form der Atmung vor, um das Blut praktisch "künstlich" mit Sauerstoff anzureichern. Die Organisation der Atmung durch vertieftes Einatmen kann die Leistungsfähigkeit eines Läufers im Rennen bemerkenswert verbessern.
Durch die neue Atemtechnik (NeueAT) gelingt es die Leistung auffällig zu steigern. Wie die Untersuchungen zeigen (Tabelle 2), sinkt bei gleicher Geschwindigkeit die Herzfrequenz und das Laktat Erstmals wurde 1992 die NeueAT in einem Experiment in Moskau demonstriert.
Was ist die neue Atemtechnik?
In der ersten Serie dieser Untersuchung liefen fünf Meister des Sports auf einem Laufband eine langsam beginnende Geschwindigkeit, die in Stufen bis zum höchstmöglichen Tempo gesteigert wurde. Die Messwerte wurden festgehalten.
Zwei Tage später liefen dieselben Personen dann noch einmal die gleichen Geschwindigkeiten auf dem Band. Vorher aber wurden sie in der NeueAT unterwiesen. Der einzige Unterschied war der Einsatz der NeueAT. Das heißt, es wurde auch bei dem höchsten Tempo noch tief geatmet.
Tabelle 2: Vergleich zweier verschiedenen Atmungsweisen bei O. Nelubova/RUS
Erklärung:
NAT - "natürliche " bzw. übliche Atemtechnik
NEW - "neue" bzw. andere Atemtechnik
AVM = Atemminutenvolumen
HF = Herzfrequenz
AF = Atemfrequenz
LA = Laktat
Quelle: Leistungssport, Strelzov, Januar 2004
Das Resultat war verblüffend. Die Menge der Luft, die in einer Minute aufgenommen wurde, sank um 10-20%, die Atemzyklen nahmen um 25-50% und das Laktat um 25-50% ab.
In dem Artikel in "Leistungssport" wird ein zweiter Test aus 1996 mit dem ehemaligen polnischen Spitzen-Marathonläufer L. Beblo aufgeführt. Dieser lief jeweils mit drei Tagen Abstand einen 12 km-Tempo-Dauerlauf genau in der km-Zeit von 3:20 min. Im ersten Lauf benutzte er seine bisherige Atemtechnik, in den beiden anderen wendete er die NeueAT an. Auch bei ihm waren die Ergebnisse überraschend positiv (Tabelle 2). Lag Beblo´s durchschnittliche Herzfrequenz am Ende beim ersten Lauf noch bei 171, sank sie beim zweiten auf 169, um dann in der letzten Wiederholung auf 165 zu sinken. Sein Laktat betrug nach dem ersten Test 9,4 mmol/l, sank im zweiten auf 5,2 und im letzten auf 3,65. Wohlgemerkt bei gleicher Laufgeschwindigkeit! Das sind 60% Laktatreduzierung innerhalb von 6 Tagen.
Teil 2 im nächsten Newsletter am 26.09.2017