Wo wir gerade beim Thema Wettkämpfe sind, möchte ich noch einmal an die "Neue Atemtechnik" erinnern, über die ich an dieser Stelle schon im Frühjahr 2004 berichtete. Ich merke aber an den sich häufenden Zuschriften, dass nicht alle Leser unseres Newsletters noch von dieser Technik wissen. Da wir aber inzwischen auch mehr als 10000 neue Leser hinzugewonnen haben, möchte ich den damaligen Artikel in leicht veränderter Form abermals bringen.
Alle, die die neue Atemtechnik schon genutzt haben, berichten teilweise begeistert von erheblichen Leistungssteigerungen durch deren Einsatz. Auch ich selbst kann nur ein einziges Loblied auf dieses Atmungsverfahren singen. Bei meiner Besteigung des Kilimandscharos in diesem Januar, habe ich sie von Anfang bis Ende eingesetzt und spürte auch in fast 6000 m Höhe zu keinem Zeitpunkt Luftnot. Erstmals aber erfolgte bei mir diese Art der Atmung automatisch (reflektorisch), das heisst ich musste mich nicht wie sonst dazu zwingen möglichst tief zu atmen.
In der der Zwischenzeit haben wir die "Neue Atemtechnik" im Jargon in "Tiefatmung" umbenannt. Ich erinnere meine Läufer auf dem Platz an diese Form der Atmung, in dem ich ihnen zurufe: "Tief ziehen!" Richtig angewandt ist diese Technik eigentlich auch nichts anderes, als bei jedem Atemzug so tief wie möglich einzuatmen.
Versuche schon jetzt einmal, wo du diese Zeilen liesst, möglichst tief einzuatmen. Merkst du, dass du am Ende der Inspiration schlagartig gebremst wirst? Es ist so, als wenn am Ende der Lunge eine Wand sitzt, die du nicht überwinden kannst und auch nicht sollst. Wenn du bis dahin geatmet hast, ist schon alles erledigt, du kannst ausatmen. Beim nächsten Zug musst du aber wieder genau so tief einatmen und diesen Rhythmus auch weiter halten.
Lasse dich während einer harten Belastung nicht von deinem Gehirn zwingen in eine flachere und schnellere Atmung zu verfallen. Atme bis zum Ende der hohen Anforderung so tief wie möglich. Du wirst spüren, es wirkt wirklich wunder. Eingesetzt wird diese Technik aber nur bei schnellen Läufen und beim Training am Berg. Bei den normalen Dauerläufen wird die Tiefatmung nicht genutzt. Du kannst wie gewohnt Luft inspirieren und brauchst auf deine Atmung nicht zu achten. Dazu aber später mehr.
Beginne schon 30 sec (nicht früher!) vor einem Wettkampfstart mit der Tiefatmung und vergesse nicht sie im Stress der ersten Meter beizubehalten.
Auf die Ausatmung brauchst du nicht sonderlich zu achten, das erledigt sich reflektorisch. Dies ist richtig für uns, obwohl im Gesundheitsbereich immer wieder auf den Wert der tiefen Ausatmung hingewiesen wird. Wir Marathonläufer aber haben gesunde und leistungsfähige Lungen und brauchen nicht extra! tief ausatmen. Wir würden damit nur die Zeit verlängern, in der die Lunge nicht mit Luft gefüllt ist.
Einige Leute haben mir schon nach der 1. Veröffentlichung in dieser Hinsicht eine Diskussion aufgedrängt. Ich bitte herzlich darum mich diesmal damit zu verschonen. Wir haben die vermehrte Ausatmung ausgiebig ausprobiert: Sie zieht katastrophale Leistungsminderungen nach sich!
Den ersten Hinweis auf eine neue Atemtechnik fanden wir in der Zeitschrift "Leistungssport" Nr. 1/2004. Der angesprochene Artikel in "Leistungssport" von Alexander A. Strelzov in der Übersetzung von Dr. Peter Tschiene lautete: "Reserven zur Steigerung der Ausdauerleistung". Dort wird beschrieben, dass mit einer geänderten Atemtechnik erhöhte Lauf-Leistungen erzielt werden können. Dies beruht darauf, dass der Übergang des Sauerstoffs in den Lungen auf das Hämoglobin des Blutes ein Zeitoptimum benötigt. Nur wenn das Ein- und Ausatmen 1,4 - 1,6 sec (Einatmung 0,6 - 0,8 sec) dauert, ist eine komfortable Sauerstoffversorgung gewährleistet.
Bei langsamen Laufen und Gehen wird dieser Atemrhythmus von 38 - 43 Zyklen/min bequem erreicht. Wird das Tempo aber schneller (etwa die Geschwindigkeit des Tempo-Dauerlaufs), dann zeigen sich erste Anzeichen von Ermüdung. Die Einatmungsdauer beträgt nur noch 0,55 - 0,65sec. Nun hat das Hämoglobin nicht mehr genügend Zeit zur Bindung von Sauerstoff, weil die Phasen zwischen Ein- und Ausatmen zu schnell wechseln. Von diesem Moment an wird zusätzlich der anaerobe Stoffwechsel genutzt und es wird Laktat produziert. Wird die Laufgeschwindigkeit noch höher bei 56 - 85 Atemzyklen (Einatmungsdauer 0,35 - 0,54 sec), wird die Zeit zur Bindung von Sauerstoff noch kürzer und das Laktat steigt an.
Bei einer Atemfrequenz von mehr als 85 Zyklen/min gerät das ganze System ausser Kontrolle. Es wird zwar sehr viel Luft in die Lungen gefördert, bei einer Einatmungsdauer von nur 0,3 sec wird praktisch kein Sauerstoff mehr gebunden. Der Energiestoffwechsel wird nun fast rein anaerob, das Laktat steigt flutartig an. Der Läufer kann in diesem Zustand maximal noch 2 - 5 min laufen, muss dann aufgrund der Übersäuerung des Organismus seine Laufgeschwindigkeit rabiat herabsetzen.
Jeder von uns ist bei einem Langstrecken-Wettkampf oder einem Tempotraining gezwungen genügend Sauerstoff aufzunehmen. 85% unserer gesamten Leistung sind abhängig von der maximal möglichen Sauerstoffaufnahme. Gedanken darüber, wie dieser Sauerstoff in unsere Lungen kommt, machen wir uns aber kaum. Wir atmen reflektorisch, d. h. so wie uns das Gefühl es vorgibt. In der Laienliteratur und besonders im Internet wird immer wieder auf bestimmte Laufrhythmen hingewiesen. Z. B. 2 Schritte laufen, einmal atmen oder auch 3 : 1 oder 4 : 1.
Um es gleich vorwegzunehmen, diese Rhythmen sind als unökonomisch abzulehnen. Wir sind als Mensch nicht dazu gezwungen, Vierbeiner, die tatsächlich im Laufrhythmus atmen, nachzuahmen. Bei Tieren geht es nicht anders, weil die Muskulatur der Vorderbeine den Brustkorb weit umfasst. Der Mensch aber kann willentlich langsam oder schnell atmen, ohne von seiner vergleichsweise kleinen Brustmuskulatur beeinflusst zu werden.
Diese Tatsache nutzten die Autoren und schlugen eine neue Form der Atmung vor, um das Blut praktisch "künstlich" mit Sauerstoff anzureichern. Die Organisation der Atmung durch vertieftes Einatmen kann die Leistungsfähigkeit eines Läufers im Rennen bemerkenswert verbessern. Durch die neue Atemtechnik (NeueAT) gelingt es die Leistung auffällig zu steigern.
Wie Untersuchungen zeigen, sinkt bei gleicher Geschwindigkeit die Herzfrequenz und das Laktat. Erstmals wurde 1992 die NeueAt in einem Experiment in Moskau demonstriert. In der ersten Serie dieser Untersuchung liefen fünf Meister des Sports auf einem Laufband eine langsam beginnende Geschwindigkeit, die in Stufen bis zum höchstmöglichen Tempo gesteigert wurde. Die Messwerte wurden festgehalten.
Zwei Tage später liefen dieselben Personen dann noch einmal die gleichen Geschwindigkeiten auf dem Band. Vorher aber wurden sie in der NeueAt unterwiesen. Der einzige Unterschied war der Einsatz der NeueAT. Das heisst, es wurde auch bei dem höchsten Tempo noch tief geatmet.
Das Resultat war verblüffend. Die Menge der Luft, die in einer Minute aufgenommen wurde sank um 10 - 20 %, die Atemzyklen nahmen um 25 - 50 % und das Laktat um 25 - 50 % ab.
In dem Artikel in "Leistungssport" wird ein zweiter Test aus 1996 mit dem ehemaligen polnischen Spitzen-Marathonläufer L. Beblo aufgeführt. Dieser lief jeweils mit drei Tagen Abstand 1000 m genau in der Zeit von 3:20 min. Im ersten Lauf benutzte er seine bisherige Atemtechnik, in den beiden anderen wendete er die NeueAT an.
Auch bei ihm waren die Ergebnisse überraschend positiv. Lag Beblos durchschnittliche Herzfrequenz am Ende beim ersten 1000er noch bei 171, sank sie beim zweiten auf 169, um dann im letzten Lauf auf 165 zu sinken. Sein Laktat betrug nach dem ersten Test 9,4 mmol/l, sank im zweiten auf 5,2 und im letzten auf 3,65. Wohlgemerkt bei gleicher Laufgeschwindigkeit! Das sind 60% Laktatreduzierung innerhalb von 6 Tagen.
Als Ursachen werden in "Leistungssport" aufgeführt:
- Die Verlängerung der Dauer für das Einatmen um den Faktor 1,5 bis 3,0 und daher eine Zunahme der Reaktionsdauer zwischen dem Sauerstoff und dem Hämoglobin.
- Ein Anstieg der Sauerstoff-Assimilationsrate aus der eingeatmeten Luft.
- Mit der neuen Atemtechnik wird beim Läufer eine bessere Sauerstoffanreicherung des Bluts mittels Zunahme des Luftdrucks in den Lungen bewirkt.
- Es kommt zu einer vollständigen Beseitigung überschüssigen Kohlendioxids aus dem Organismus des Läufers.
- Es geht ein geringeres Luftvolumen durch die Lungen.
- Die Atemmuskeln arbeiten zyklischer anstatt in statischer Weise (wie es bei der üblichen Atmung der Fall ist).
- Die zyklische Atemtechnik verlangt vom Brustkorb weniger Energieaufwand als die statische.
- Die Resultate dieser Untersuchung überraschten nicht nur mich, sondern auch andere Fachleute. Mit der Ärztin und Marathonläuferin (PB 2:47) Dr. Karola Weiglein diskutiere ich die NeueAt kontrovers. Könnte es sein, dass sich bei Anwendung der NeueAT nur die Parameter wie Puls und Laktat ändern und der Läufer in der Praxis gar nicht schneller laufen kann? Eigentlich müsste es etwas bringen, wie es immer so schön heisst. Die Untersuchungen und unsere Folgerungen waren eindeutig positiv. Wir waren uns auch nach einem persönlichen Test schon sicher, dass sich die NeueAT positiv auf die Laufleistung auswirkt.
Aber trotzdem, wir wollten es genau wissen. Da in den folgenden Tagen für uns beide ein Trainingsurlaub mit 25 Läufer(innen) mit der Greif Sport und Reisen GmbH in Andalusien anstand, beschlossen wir die NeueAT dort auf ihre Auswirkungen auf die Laufgeschwindigkeit zu untersuchen.
Wenn an der neuen Atemtechnik etwas dran sein sollte, dann müsste man bei einem maximalen Lauf mit der NeueAT schneller sein als vorher mit der alten Technik. Wir beschlossen daher nach einer Woche Eingewöhnungszeit in Spanien 3 Läufe über 1000 m mit jeweils einem Tag Pause zu starten. Vor dem ersten Lauf wusste niemand der Probanden, um was es geht. Wir erzählten nichts von der NeueAT. Die Idee, die wir vermittelten war, dass wir in einem wettkampfnahen 1000er sehen möchten, wie schnell jeder diesen rennen kann. So war der ganze Lauf auch kampfbetont wie ein Rennen.
Am Folgetag wurden die Teilnehmer in einem Vortrag über die NeueAT belehrt. Am Tag darauf folgte der erste Test mit der neueAT auf demselben Kurs. Wir wiesen beim Beginn noch einmal alle Läufer(innen) darauf hin, sofort nach dem Start tief zu atmen und diese Tiefatmung auch bis in das Ziel durchzuhalten.
Das Resultat war verblüffend! Im Schnitt verbesserten sich die Probanden um 5 sec/km. Auch bei der Wiederholung des Tests zwei Tage später zeigte sich das gleiche Bild. Mit der NeueAT waren die Probanden schneller im Vortest. Das Bild wäre beim Wiederholungstest noch deutlicher zu Gunsten der NeueAt ausgefallen, wenn nicht der Läufer mit der Nummer 8 Magendarm-Probleme gehabt hätte, der Läufer mit der Nummer 10 fünf Stunden früher in das Bett gegangen wäre und vielleicht die letzten 5 Bier nicht getrunken hätte.
Aber dennoch zeigt sich in der untenstehenden Tabelle ein eindeutiges Bild:
Läufer | Geschl. | Alter | 09.02.04 | 11.02.04 | 13.02.04 | Bemerkung |
1 | w | 52 | 4:29 | 4:21 | 4:15 | |
2 | w | 52 | 3:56 | 3:56 | 3:56 | |
3 | w | 36 | 3:28 | 3:27 | 3:23 | |
4 | m | 36 | 2:59 | 2:52 | 2:52 | |
5 | m | 64 | 3:51 | 3:47 | 3:46 | |
6 | m | 60 | 3:48 | 3:38 | 3:36 | |
7 | m | 55 | 3:49 | 3:43 | 3:39 | |
8 | m | 51 | 3:09 | 3:04 | 3:13 | Darmprobleme 3. Lauf |
9 | m | 74 | 4:39 | 4:40 | 4:40 | |
10 | m | 44 | 3:34 | 3:24 | 3:32 | Alkohol vor 3. Lauf |
11 | m | 64 | 3:29 | 3:27 | 3:23 | |
Durchschnittszeit alle | 3:39,45 | 3:34,23 | 3:35,08 | |||
Durchschnittszeit Frauen | 3:57,40 | 3:54,40 | 3:51,20 | |||
Durchschnittszeit Männer | 3:44,38 | 3:39,55 | 3:39,33 |
Dieses Resultat wäre eigentlich anders zu erwarten gewesen, denn die Erfahrung zeigt, dass in der 2. Woche eines Trainingslagers die Trainingsleistungen in der Regel absinken. Für die meisten der Teilnehmer war auch das zweimalig täglich absolvierte Training völlig ungewohnt. Eine Zunahme der Leistungsfähigkeit der Probanden innerhalb von 4 Tagen scheint somit ausgeschlossen. Eher ist der umgekehrte Fall anzunehmen.
Auffällig bei dieser Untersuchung war, dass die schnelleren Läufer(innen) sich eindeutiger mit der NeueAT verbesserten, als die weniger gut trainierten. Wer selbst einmal in den Regionen wie der Läufer mit der Nr. 4 gerannt ist, der weiss z.B. wie hart eine Steigerung ber 1000 m von 2:59 auf 2:52 zu erarbeiten ist. Da steht normalerweise ein monatelanges Training dahinter.
Dazu eine Mail von Christoph S. vom 7. Januar 2009
Lieber Peter,
beim Stöbern Deiner Homepage bin ich nochmal über den Artikel der neuen AT gestoßen und möchte kurz meine
Erfahrungen schildern. Zu meiner Person: (Christoph S. M35, 10km 39min, DJK Mudersbach). Seit ich vor zwei
Jahren das Thema im Newsletter laß habe ich die AT zunächst im Training ausprobiert. Es gehört schon ein
bisschen Übung dazu, gegen den Körperreflex zu atmen. Beim nächsten Wettkampf über die HM-Distanz hab ich
dann versucht, mehr oder weniger, die AT durchzuziehen. Das Ergebnis war, dass ich trotz anfänglicher
müder Beine eine respektable Zeit absolvierte. Seit diesem Zeitpunkt wende ich die AT in jedem Wettkampf
an und mache immer wieder die Erfahrung, dass man schon nach 3-4 Atemzügen eine gewisse Entspannung und
ein Gefühl des "freilaufens" hat. Als ob neue Energie in die Beine strömt. Seitenstechen gehören seit dieser
Zeit auch der Vergangenheit an und es macht einen wahnsinnigen Spaß es dann am Berg mal knallen zu lassen und
dem Holger (meiner hieß im letzten Jahr übrigens tatsächlich Holger W.) die Fersen zu zeigen. An dieser Stelle
kann ich diese AT jedem abitionierten Läufer nur empfehlen und danke Dir Peter für diesen tollen Beitrag.
Mit sportlichem Gruß
Christoph