Die Fragen zum Übertraining hören nie auf. Gerade jetzt in der Vorbereitungsphase zu den Marathon- und Halbmarathonläufen im Herbst flattern wieder viele Emails zu diesem Thema herein. Interessanterweise meist von Läuferinnen oder Läufern die zwischen 3 und 5 mal pro Woche trainieren.
Wenn du unser Newsletter-Archiv bemühst und die Suchbegriff "Übertraining" eingibst, dann findest du eine Vielzahl von Beiträgen aus der Feder von Peter Greif die dir schon die Angst vor dem "bösen Übertraining" nehmen sollten. Im Gegenteil, sie beschreiben, dass Übertraining auch sinnvoll sein und zu enormen Leistungssprüngen führen kann.
- Übertraining hilft! (Teil 1)
- Übertraining hilft! (Teil 2)
Woher kommt aber die Angst vor dem Übertraining? Ich habe keine Ahnung. Es ist aber zu beobachten, dass jede Laufzeitschrift, jeder Blog, … die Trainingspläne für 5 h im Marathon mit 3 Einheiten pro Woche anbieten, sofort auf der nächsten Seite einen langen warnenden Beitrag zu Thema Übertraining veröffentlicht haben. Da wird so drohend der Finger gehoben, das man sich dem Thema nicht entziehen kann und es in jedem Lauftreff diskutiert wird. Da wird überlegt ob man heute überhaupt loslaufen kann ohne ins Übertraining zu kommen.
Warum Mythos? Ich persönlich habe es nie geschafft ins Übertraining zu kommen, weder mit dem Standardtraining von 650 km pro Monat (150-160 km pro Woche), über 200 km Wochen im Trainingslager noch als ich mit 42 Jahren 25 h pro Woche für einen Ironman trainiert habe (pro Monat: 500 km Lauf, 1000 km Rad, 30 km Schwimmen). Auch war meines Wissens weder je ein Trainings-Kollege noch ein betreuter Athlet im Übertraining. Trotzdem existiert dieser Zustand.
Vor 30 Jahren haben wir uns um dieses Thema keinerlei Gedanken gemacht. Allerdings liefen wir damals auch ohne Pulser und hatten ein entsprechendes Körpergefühl entwickelt. So habe ich sofort reagiert wenn die Müdigkeit zu groß wurde oder 2 Tempoeinheiten hintereinander eher in die Hose gingen. Reagiert mit Regeneration und nur noch lockeren Läufen.
Das entscheidende zur Vermeidung von Übertraining ist Körpergefühl und Regeneration. Da die Regenerationszeit bei 3 oder 4 Lauf-Einheiten pro Woche extrem lang ist (ganze Tage zwischen den Einheiten) ist es quasi nicht möglich, damit ins Übertraining zu kommen.
Wenn du es genau betrachtest, ist jedes (Tempo)-Training oder langer Lauf ein Übertraining. Du gehst dabei ans Limit, dein Körper ist maximal gestresst. Was machst du jetzt? Du erholst dich. Regenerierst. Legst die Füße hoch, isst und trinkst gut, schläfst (hoffentlich) ausreichend. Das machst du instinktiv oder aus Vernunft. Du hörst auf deinen Körper. Du startest nicht bereits 2 Stunden und nochmal 4 Stunden danach erneut zu einem weiteren Tempodauerlauf. Was du im Kleinen beachtest, solltest du im Großen (sprich über Wochen und Monate) auch beachten. Regeneration ist das Geheimnis!
Jeder Läufer reagiert auf einen Trainingsplan etwas anders. Deine Trainingserfahrung (also wie lange du schon läufst) und wie du genetisch veranlagt bist, spielen eine Rolle. Das Wichtigste bei der ganzen Betrachtung ist jedoch dein Alltag. Wärst du zu Hause und würdest nur Laufen, hättest du quasi keine Chance dich mit 3-5 Einheiten überzutrainieren. Jetzt haben die meisten von uns aber einen Job und Familie. Wenn der Job körperlich anstrengend oder sehr stressig ist, eine Familie mit Kindern dabei ist, vielleicht nebenbei ein Haus gebaut wird oder ein Familienmitglied gepflegt werden muss, dann sieht es schon etwas anders aus. Wenn dein Cortisol-Spiegel (Stresshormon) sowieso permanent erhöht ist, du dir dein anstrengendes Training in die knapp bemessene Freizeit legst, um anschließend zum nächsten Termin zu hetzen, dann besteht schon ein gewisses Risiko, dass es deinem Körper mal zu viel wird. Höre auf ihn!
Beim Übertraining geraten deine Hormone aus der Balance: Dein Körper produziert zu wenig Testosteron und zu viel Cortisol (Stresshormon). Dein Stoffwechsel spielt verrückt. Es gibt deutliche Anzeichen für ein Übertrainingszustand. Diese wären:
- Motivationsprobleme und Lustlosigkeit zum Training
- ungewohnt starker Muskelkater (tagelang anhaltend im Gegensatz zu sonst)
- verlangsamte und schlechtere Regeneration
- Beine fühlen sich permanent schwer und träge an
- Gelenk- und Gliederschmerzen
- andauernde, bleierne Müdigkeit
- erhöhtes Schlafbedürfnis
- erhöhte Reizbarkeit und Launenhaftigkeit
- depressive Verstimmungen
- Rastlosigkeit und Unkonzentriertheit
- veränderter Appetit (mehr oder weniger)
- Leistungseinbruch bzw. ausbleibende Fortschritte (wiederholt kannst du die Zeiten aus deinem Trainingsplan nicht erreichen, was dir vorher leicht viel)
- Schlafstörungen
- erhöhter Ruhepuls (morgens im Bett messen!)
- erhöhte Infektionsanfälligkeit
Nun vermute nicht sofort bei starker Müdigkeit ein Übertraining. Ich habe einen Satz in mein Gedächtnis gebrannt (ich glaube er stammt aus dem Buch von Robert de Castella): "Jeder internationale Spitzenläufer fühlt sich morgens beim Aufstehen müde und abends beim Schlafengehen sehr sehr müde".
Als sicherste Anzeichen würde ich ansehen, wenn du bei deinen Trainingseinheiten deine bisherigen Zeiten nicht mehr erreichen kannst, du völlige Lustlosigkeit zum Training verspürst, du schlecht schläfst und einen veränderten Ruhepuls hast.
Wenn du auf deinen Körper hörst, kannst du eigentlich sehr schnell reagieren. Mache ein paar Tage Pause oder laufe nur ganz locker mit deutlich reduziert Umfang. Überdenke deinen Alltag, reduziere deinen täglichen Stress, meditiere (Cortisol-Abbau!!!), schlafe 2 oder 3 Nächte mal voll 8 Stunden, esse und trinke gut (Nährstoffe) und gönne dir den einen oder anderen Eiweiß-Shake.
Auch wenn du mitten in der Marathon-Vorbereitung steckst und dich in diese Situation manövriert hast, sollte es kein Problem sein. Du hast gut trainiert, hast dich auf ein hohes Leistungslevel (vermutlich schon Topform) gebracht, bis dein Köper eine Auszeit wollte. Wenn du sie ihm jetzt gönnst, ist das wie die Tapering-Phase vor dem Wettkampf. Nach 5-10 Tagen bist du wieder erholt, hast neue Motivation und wirst deinen Wettkampf mit einer neuen Bestzeit bestreiten können. Selbst aus dem härtesten Übertrainingszustand kommt man in der Regel in 3-4 Wochen wieder heraus.
Ich wundere mich immer wieder, wie schwer es einigen Läufern fällt, auf ihre eigene Stärke zu vertrauen. Da werden in der unmittelbaren Marathon-Vorbereitung deutliche Bestzeiten über 10 km und HM gelaufen und jede jemals im Training gelaufene Zeit pulverisiert. Trotzdem bekommt man Panik weil man aus welchen Gründen auch immer eine leichte Tempoeinheit in den letzten 14 Tagen vor dem Marathon nicht absolvieren kann. Dabei kann man in der Zeit mehr kaputt machen als rausholen.
Also: höre auf die eindeutigen Zeiten die dir dein Körper sendet (eher als auf deine Ehrgeiz), checke deinen Alltag auf Stress und reagiere entsprechend. Dann wird das böse Übertraining ein Mythos bleiben.