Im Oktober schrieb mir ein Läufer eine Email, in der er seine Enttäuschung über sein Laufergebnis zum Ausdruck brachte. Er war im Sommer eine Zeit von 2:04 h im Halbmarathon gelaufen und wollte nun unter 2 Stunden bleiben. Er lief bei diesem Lauf im Oktober eine für ihn enttäuschende Zeit von 2:09 h.
Er bat um Ursachenforschung und Analyse seine Trainings. Ganz nebenbei sendete er seine Zwischenzeiten seines Wettkampfes mit. Du kannst mal einen Blick darauf werfen:
km | Zeit |
---|---|
1 km | 4:53 min |
2 km | 5:51 min |
3 km | 5:51 min |
4 km | 5:06 min |
5 km | 5:38 min |
6 km | 6:04 min |
7 km | 5:47 min |
8 km | 5:42 min |
9 km | 5:42 min |
10 km | 5:42 min |
11 km | 5:42 min |
12 km | 5:32 min |
13 km | 6:10 min |
14 km | 6:37 min |
15 km | 6:37 min |
16 km | 6:37 min |
17 km | 6:37 min |
18 km | 6:37 min |
19 km | 7:30 min |
20 km | 7:30 min |
21 km | 7:30 min |
Fällt dir etwas auf? Nein? Dann verrate ich dir noch dass wir sein Training über eine 10 km Zeit von 55:30 min steuern. Damit stellen die 2 h im Halbmarathon so etwas wie das maximal Mögliche dar. Für eine HM-Zeit von 2 Stunden ist eine durchschnittliche Geschwindigkeit von 5:41 min/km erforderlich.
Schau dir nochmal die Zeiten an. Erkennst du es? Die Ursache ist schnell auf einen Blick gefunden.
Was ist passiert? Dieser Läufer lief das Rennen in 4:53 min an, beruhigte sich dann kurz um dann beim 4. km nochmal 5:06 nachzulegen. 4:53 min/km sind 48 sec. zu schnell auf dem ersten km. Um es deutlicher auszudrücken, 4:53 min/km standen nicht einmal vorher auf seinem Trainingsplan! Bei keiner Trainingseinheit. 5:30 min/km waren das Höchste der Gefühle an Trainingstempo in seinem Plan.
Das richtige Anfangstempo für dieses Rennen wären ca. 5:45 min gewesen. Anschließend hätte er sich bei 5:41 min/km einpendeln können. So aber hat er bereits auf dem ersten km sein Rennen völlig zerstört und sich kaputt gelaufen. Von diesem Überziehen des Anfangstempos konnte er sich nicht mehr erholen. Zwischen km 7 und 12 konnte er sich zwar in seinem Wettkampftempo einpendeln. Anschließend mußte der ersten Kilometer Tribut zollen.
Wie passiert so etwas? Zum einen hat er sich von der Wettkampf-Euphorie anstecken lassen. Die in dieser Wettkampf-Situation übliche Ausschüttung der Katecholamine (Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol), die Zuschauer und vielleicht schnellere Läufer um ihn herum haben ihn schweben lassen. Er hat gar nicht gespürt dass er für seine Verhältnisse viel zu schnell unterwegs ist.
Eine Situation die leider viel zu häufig vorkommt und nicht nur Anfänger oder weniger erfahrene Läufer trifft. Ich habe reichlich reichlich Läufer gesehen die ihre neue persönliche Bestzeit im Marathon bereits auf dem ersten km in den Asphalt getreten haben.
Durch die Überschreitung der anaeroben Grenze kommt es zu einer Anhäufung von Laktat. Der Muskel bekommt weniger Sauerstoff als er benötigt. Das einmal angehäufte Laktat wirst du jetzt im Laufe des Rennens auch nicht wieder los. Folge: du wirst unweigerlich richtig langsam. Es gibt so eine alte Grundregel. Du verlierst auf der 2. Hälfte die doppelte Zeit die du auf der ersten Hälfte zu schnell warst. In Zahlen bedeutet das: bis du bei einem 10 km Rennen auf den ersten 5 km 30 Sekunden zu schnell, verlierst du auf den zweiten 5 km ca. 1 Minute.
Aus meiner Sicht ist es neben der Euphorie ein nicht ausreichend entwickeltes läuferisches Körpergefühl. Immer mehr Läufer verlassen sich auf Pulser und GPS und hören nicht in sich hinein, bzw. haben das in sich „Hineingehören“ nicht geschult. Wer das Greif-Buch sein eigen nennt, findet darin ein sehr schönes Foto. Auf diesem hat der Autor seinen Pulser im Gartenteich versenkt mit der Bemerkung: „dein Körpergefühl ist genauer als ein Pulser“. Das GPS zur Tempokontrolle werfe ich gleich hinterher ;-)
Nun ja, man kann und sollte das Körpergefühl trainieren. Auch ich musste letztens die Erfahrung machen, dass dieses Gefühl immer wieder trainiert werden muss. Ich lief mit einer Gruppe von 3 Läufern ein paar 400er. Wir hatten uns ruhige 90 sec. vorgenommen, wollten aber zwischendurch (bei 200 m) nicht auf die Uhr schauen. Erst im Ziel sollte die Zeit gestoppt werden. Jeder war abwechselnd mit der Führung dran. Ich habe mich bei meinem ersten 400er glatt um 4 sec. vertan (schneller)! Hört sich nicht viel an? Das wären aber 10 sec. auf 1 km. Bei einem 10 km Straßenlauf wäre das der Genickbruch. Dieses Körpergefühl ist auch mir abhanden gekommen. Früher hätte ich meine Uhr nach dem Tempo stellen können. Jetzt muss ich es erst neu justieren und trainieren.
Was kannst du also tun? Lasse dir im Training nicht bei jedem Tempotraining von deinem GPS die Geschwindigkeit anzeigen. Du musst auch mal damit rechnen, dass im Wettkampf dein Akku doch nicht geladen ist, du kein GSP-Signal bekommst oder du bei tief hängenden Wolken und Häuserschluchten immer wieder Signalaussetzer hast. Was dann? Dann hilft ein gut geschultes Tempo-Körpergefühl. Laufe Intervalle immer und immer wieder nur mit Stoppuhr. Lerne das richtige Tempo zu treffen indem du z.B. bei 400ern oder 1000ern nicht alle 200 Meter auf die Zwischenzeit schaust. Schaue erst am Ende eines jeden Intervalls auf die Uhr und korrigiere beim nächsten Intervall dein Tempo. Ziel für ein Tempoprogramm mit 400ern wäre eine maximale Abweichung von 2 Sekunden.
Das Gleiche versuchst du bei jedem geplanten Tempodauerlauf. Schaue nach 1000 oder 2000 m auf die Uhr und korrigiere ggf. das Tempo.
Am Anfang wirst du noch daneben liegen. Wenn du jetzt damit beginnst, wirst du bis zu den Wettkämpfen im Frühjahr dein Tempogefühl gut geschult haben. Es sollte dir möglich sein, dein Kilometer-Tempo auf max. 5 Sekunden genau zu treffen. Dann kann dir auch die Wettkampf-Atmosphäre wenig anhaben.
Denke immer daran: wer langsamer losläuft kommt schneller ans Ziel.