Junge Läufer(innen) kennen in der Regel eine sogenannte "geile" Einheit. Gefunden wird sie in der Regel im Internet und scheint DAS Mittel gegen unbefriedigende Zeiten zu sein. Meistens wird sie von einem internationalen Klasseathleten absolviert, der sie stolz als seine neue Wunderwaffe vorstellt.
So fand auch einer meiner Athleten eine "Sprinteinheit", die ein Eliteläufer regelmäßig zur Verbesserung - wie er sagte! - seiner Grundschnelligkeit nutzte. Und zwar rannte er 15 x 200 m in 24 sec mit einer kurzen Pause von 30 sec. Alles aber mit fliegendem Start. Hört sich sehr schnell an, aber der Junge rannte auch die 10000 m unter 27 min.
Mein Athlet nun mit einer PB von etwa 32 min/10 km wollte nun diese 24 sec/200 m auch laufen. Seine Hoffnung: Damit werde ich auch bald 27 min/10 km laufen. Leider war der junge Mann nun nicht gerade der Grundschnellste und kam bei einem stehenden Start bei einem einmaligen Versuch nur auf 28 sec. Trauer war die Folge, aber der feste Wille mit geknallten 200 m Sprints und kurzer Pause seine Grundschnelligkeit zu verbessern war da.
Ich erklärte ihm, dass man seine Grundschnelligkeit so kaum verbessert, sondern dies besser mit kurzen Sprints und langer Pause macht. Denn die fortschreitende Ermüdung nach einem langen Sprint in einer Serie mit kurzer Pause lässt die Entwicklung einer vollständigen Sprintgeschwindigkeit gar nicht mehr zu.
Ferner erklärte ich ihm, dass die Serie von 15 x 200 m nun kein großes Ding sei, denn sein Training enthalte auch Elemente, bei dem er angepasst auf seine Leistungsfähigkeit schneller laufe als der Eliteläufer. Natürlich glaubte mein Athlet dies nicht oder zweifelte es zumindest an.
Na, dann rechnen wir mal, sagte ich zu ihm! Du läufst im Training die 20 x 200 m mit 200 Trabpause im Schnitt von 29 sec. Wenn wir jetzt die Bestzeiten von dir von 32 und die 27 min/10 km des Eliteläufers in das Verhältnis setzen, dann läuft der 1,185 mal so schnell wie du. Multiplizieren wir seine 24 sec über 200 m nun mit diesen 1,185, dann sind wir bei 28,4 sec. Er ist also etwas schneller als du, dafür machst du aber auch 5 Wiederholungen mehr.
Nun war der Athlet zufrieden, aber in seinem Inneren hat er sich von den 24 sec über 200 m noch nicht verabschiedet. Und das ist auch gut so.
Du hast sicher verstanden, warum ich dir diese Zeilen schreibe. Immer wenn du von einem bestimmten Training hörst oder liest, nimm nicht die nackten Zahlen, sondern setze sie immer zu deiner Leistung in das Verhältnis.
Eine andere "Elitefalle" tat sich auf, als mich vor kurzer Zeit ein Mittelklasse-Triathlet anrief und nachfragte, ob ich ihm denn einen Laufplan machen könne. Natürlich konnte ich das und der Triathlet hatte nur Sorge, ob er denn aus unserem Trainingssystem heraus auch mitten im Sommer zu seinem angestrebten Formhöhepunkt fit sein würde.
Dabei berichtete er, dass er fünfmal in der Woche trainiere und den Abschluss seiner harten Trainingsphase schon fünf Wochen vor seinem Hauptwettkampf haben müsse. Auf Nachfrage warum das denn so sein muss, sagte er: "Ich schalte vor dem Ironman immer eine 5-wöchige Taperphase ein, in der ich ganz wenig mache."
Ich fiel aus allen Wolken. "Warum um Himmelswillen willst du denn 5 Wochen Regeneration vor dem Rennen einschalten, in dieser Zeit wird doch deine Leistung mit 100%-iger Sicherheit zurückgehen? Seine Antwort: "Ich habe das von Mark Allen, der trainiert bis 5 Wochen vor dem Start sehr viel und legt dann wirklich eine fünfwöchige Taperphase ein."
Oh, dachte ich, der Junge ist voll in die Elitefalle gefallen. So antwortete ich ihm: "Überlege einmal, Marke Allen ist ein Profi, der in der Vorbereitungszeit mindestens 8 h jeden Tag trainiert. Er absolviert ein Überlastungstraining. In den letzten Wochen muss er diese Last verringern, um seinen Organismus Zeit zur Anpassung zu geben. In der Phase der hohen Belastung hat der Körper gar keine Zeit sich vollständig an höhere Leistung anzupassen."
Und was machst du? Fünfmaliges Training pro Woche. Damit bist du doch im Vergleich zu ihm chronisch untertrainiert. Dein Körper hat auch unter dieser vergleichsweise geringen Belastung genug Zeit sich an das Training zu gewöhnen und dir vermehrte Leistung zur Verfügung zu stellen."
Dieser junge Mann war intelligent genug, um sofort zu begreifen, das seine Sichtweise auf die Taperwochen nicht ideal war. Ich hörte es am Telefon schier knistern in seinem Gehirn. Der hatte wirklich etwas zu denken bekommen.
Ich kann dir nur raten, wenn du etwas liest, was Elitesportler so treiben, bleibe kritisch. Vielfach ist es auch nur Selbstdarstellung, weil oft nicht gerne zugegeben wird, dass man ein langweiliges traditionelles Training betreibt.
Und du kannst ganz sicher sein, wenn ein Medienmensch eine/n überragende/n Läufer(in) interviewt, dass immer die Frage kommt: "Worauf führen Sie Ihren überdurchschnittlichen Erfolg zurück?" Dann zuckt in diesem Menschen schon der Gedanke: "Will er jetzt was über Doping hören?"
Um dieser gefürchteten Frage schon von vorne rein die Schärfe zu nehmen, schiebt er ein Supertraining vor. Und da kann er nichts Langweiliges bringen, sonst fasst der Interviewer doch noch nach. Also kommt eine ganz tolle "geile" Einheit auf den Tisch oder auch ganz hohe oder geringe Umfänge. Alles ist beindruckend. Hauptsache anders. Der Medienmensch hat seine Zeilen und der/die Sportler(in) ist zufrieden. Und die Welt glaubt an ein neues Trainingswunder.
Fazit: Läufer(innen) lügen, wenn es um eigene Trainingsumfänge und -intensitäten geht. Immer!