Jeden Morgen geht es runter an den Strand, der Trainer grenzt im feuchten Sand ein Feld ab und so langsam schleichen in der aufgehenden Sonne die noch vom Vortagstraining müden Figuren diesem Feld entgehen. Kraft, Elastiszität und Koordination steht bei jedem unserer Trainingurlaube morgens vor dem ersten Lauftraining auf dem Plan.
Das Verwunderliche ist, dass die Läufer(innen) mit den schlechtesten koordinativen Fähigkeiten oft zu diesem Training nicht erscheinen. Man will sich ja schließlich nicht blamieren, in dem man eine Übung nicht sauber oder gar nicht ausführen kann. Zudem ist es äußerst unangenehm, wenn der Trainer dann auch noch auf vorhandene Bewegungsfehler hinweist.
So ein Verhalten ist durchaus menschlich. Verdrängung der eigenen Unzulänglichkeit und Hervorstellen der persönlichen Stärken ist so normal, wie der Frühling nach dem Winter. Das drückt sich bei Läufer(innen) besonders dadurch aus, dass diese immer am liebsten nur das trainieren möchten, was sie am besten können.
Der Schnelle möchte ständig intensive Einheiten und der Langlatscher möchte es immer schön ruhig und lieber ein paar km mehr. Diese Vorlieben sollten man den Athleten auch nicht nehmen. Ich drücke das immer so aus: "Setze auf deine Stärken und arbeite an deinen Schwächen. Du solltest aber nie die Augen vor deinen Schwächen verschließen." Das heißt, dass das, was man nicht gut kann, erst gar nicht trainiert wird, weil man dabei ein schlechtes Gefühl hat.
Aber es hilft nicht viel so etwas zu sagen. Während unserer Trainingsurlaube mache ich auf Koordinations- und Haltungsfehler aufmerksam, ernte ein beifälliges Nicken und im nächsten Jahr kommt die selbe Person wieder und die Fehler haben sich auch nicht um eine Kleinigkeit verbessert.
So langsam resignierte ich an diesem Verhalten. Mir ist es nicht einmal gelungen, einen Läufer oder Läuferin von einem fehlerhaften zu einem einwandfreien Stil zu bringen. Daher rührt eigentlich meine weiter fortschreitende Resignation gegenüber dem Koordinationstraining. Das ist alles sehr aufwendig für Athlet und Trainer, bringt aber kaum Fortschritte.
Normalerweise sollte ein Läufer ein optimales Laufverhalten in der Jugend bis zum Ende seines zweiten Lebensjahrzehnts entwickelt haben. Das geht am besten in einem Leichtathletikverein. Nun gibt es in unserer Szene natürlich mehr Seiteneinsteiger als ausgebildete Leichtathleten. Und es ist sehr schwer diesen Menschen einen optimalen Laufstil beizubringen.
Das ist aber auch dem Umstand zu verdanken, dass die Bewegungsgeschicklichkeit (Koordination) mit steigendem Alter ständig abnimmt. Wie in der nachfolgenden Abbildung 1 zu sehen ist.
Abbildung 1: Geschicklichkeit bei Frau und Mann in Abhängigkeit vom Alter (nach Miles 1942, 34).
Hier sieht man, was wir eigentlich alle wissen. Junge Leute sind geschickter und lernen leichter Bewegungen. Zudem haben Frauen Vorteile gegenüber Männern.
Das der Abbau der Geschicklichkeit bei den ständig trainierenden Läufern(Innen) natürlich nicht so rasant vor sich geht, wie in der Grafik gezeigt, ist sicher. Aber wer erst mit 40 Jahren an zu laufen fängt, hat einfach schon Verluste an Koordinationsfähigkeiten hinnehmen müssen.
Das bedeutet für so eine Person in diesem Fall, dass sie mehr Energie zum Laufen aufwenden muss, als jemand, der schon in der Jugend die entsprechende Bewegungsgeschicklichkeit erlernt hat. Mit anderen Worten: Ein koordinativ schlecht ausgebildeter Mensch wird später im Ziel sein als ein organisch und muskulär gleichstarker, der geschickter läuft.
Besonders auffällig wird diese Bewegungsverschlechterung bei den Läufern, die nur joggen und sich kaum jemals an richtig hohes Tempo wagen. Bei denen wird trotz mehrmaligen wöchentlichen Training die Koordination immer schlechter.
Diese Gruppe nenne ich respektlos die Schleiffüße. Stolpern über eine Buchecker und fallen über'n Pferdeapfel. Natürlich fehlt es mir auch gegenüber diesen Menschen nicht an Respekt. Solche Sprüche sind nur meine Art den Finger in die Wunde zu legen, um den Betroffenen zu motivieren, seine Fehler auszumerzen. Denn dass dies geht, zeigt die Nachfolgende Grafik 2.
Abbildung 2: Veränderung der Fingergeschicklichkeit (O ´Connor-Test) bei Frauen und Männern durch tägliches Üben und Vergleich zur nicht geübten Kontrollhand (nach Hollmann/Hettinger 1980, 159)
Üben, üben, wer will, der kann. Nur von 10-mal Knieheben pro Woche wird sich kaum jemand koordinativ verbessern. 150 optimale koordinativ schulende Bewegungen pro Tag scheinen das Optimum zu sein. Und wirksam sollten solche Übungen aber schon sein. Das da Skepsis angebracht ist, zeigt das Schreiben eines Mannes, welches mich heute Morgen erreichte:
"Hallo sehr geehrte Damen und Herren,
es ist jetzt vielleicht etwas ungewöhnlich, dass ich mich hier zu ihrer E-Mailadresse melde, aber ich habe eine Frage, die ihr bestimmt beantworten könnt. Ich bin schon seit 3-4 Jahren ein "Gut-Wetter"-Läufer ... das heißt, ich beginne normalerweise im Frühjahr mein Training, um dann quasi Fit in den Sommer zu starten.
In diesen 3-4 Jahren habe ich niemals gross einen Marathon angestrebt, sondern eher meine Fitness und mein Gewicht reguliert. Da ich aber im letzten Winter sage und schreibe 6 kg zugenommen habe, wollte ich es diesen Winter anders machen, und hab mich prompt im Fitness-Studio angemeldet.
Als Ziel gab ich dort mal einen Marathon an. Die Zielsetzung wurde vom Trainer folgendermaßen umgesetzt: Ich soll 30 - 90 Minuten auf dem Laufband laufen, im Pulsbereich von 100 - 110 Schlägen, und das bis zu 7 x die Woche. Nun war das für mich ziemlich ungewohnt ... da ich im Sommer meine 10 km in ca. einer Stunde runtergerissen habe ... und das 3-4 mal die Woche.
Also hab ich meinen Puls auf 120 - 130 Schläge beim Training erhöht, und ein Intervall-Training mit Höhen und Geschwindigkeitsintervallen eingebaut. Das gefiel meinem Trainer nicht. Er meinte, das ich nun falsch trainiere, und nicht mehr in der aeroben Zone trainiere ... ich solle, wenn ich anaerob trainiere, das Verhältnis 4 zu 1 ... also 4 Stunden bei 100-110 ... eine Stunde 120-130 ...
Nun lese ich viel und überall von dieser aeroben Zone, aber finde niemand, der sie so gering hält ... (also bei 100-110) ... mein Trainer meinte, das wenn ichs genauer wollte, müsse ich einen Laktatstufentest machen ... er meinte, der beste Trainingswert liegt bei 2 mmol. Ist das richtig? Oder hat die Dümplerei im 100er-Bereich keinen Trainingsaspekt?
Würde mich über eine Antwort freuen. Vielen Dank!"
Ja, das ist deutsche Trainingswirklichkeit, wenn man es auch nicht glauben will. Hier werden Schleiffüße gezüchtet, die unsere Leistungsstatistiken in ungeahnte Tiefen geigen. Aber dieser Mann ahnte ja schon etwas und hat dem Trainer - nein, der ist kein Trainer, sondern ein Muckibudenfuzzi - nicht geglaubt. Und ist seinen eigenen Weg gegangen. Dass der natürlich auch noch lange nicht intensiv genug war, ist dir natürlich klar.
Ich schrieb ihm dann zurück: "Hallo XXX! Da muss ich schmunzeln. Dieser Trainer hat - da drücke ich mich ganz vorsichtig aus - von der Materie kaum Ahnung. Mailen Sie mir bitte ihr Alter, dann rechne ich Ihnen die aerobe Schwelle aus."
30 Jahre war dieser Mann alt, hat damit einen rechnerischen Höchstpuls von 197. Damit liegt seine aerobe Schwelle bei etwa 167 Puls. Und dieser blinde Trainer hielt 130 für hoch genug. Wenn wir beide so etwas lesen, dann wird uns klar, wo in Deutschland die Marathonwanderer produziert werden.
In Bezug auf die Koordination und den Möglichkeiten gibt es ganz neue ungewöhnliche Erkenntnisse. Und darüber werde ich in der nächsten Woche mit klaren Handlungsanweisungen berichten.