Seit letztem Wochenende weht wohl bundesweit ein kräftiger Wind mit noch heftigeren Böen. Heute schrieb mir eine Läuferin von vorhergesagten 50 km/h Windgeschwindigkeiten bei ihrem geplanten Halbmarathon. 50 km/h Wind, das ist Windstärke 7. Als ich mir letztes Wochenende die Wettervorhersage für meinen langen Lauf ansah, hieß es, in Böen 65-80 km/h. Nach meinem langen Lauf heute am Samstag, zeigte mir meine Garmin-APP 40 km/h.
Mich selbst begleitet der Wind im Training schon seit Wochen. Bei mir im Mulde-Tal, weht gefühlt an 9 von 10 Tagen ein kräftiger Wind den Fluss entlang durchs Tal. Der wird durch die Talwirkung noch verstärkt. Mal aus der einen, mal aus der anderen Richtung. Der einzige vernünftige Laufweg ist eine Wendepunktstrecke. Die führt am Fluss entlang und irgendwann der Richtung folgend über ein Feld. D.h. entweder auf dem Hin- oder Rückweg bläst mir der Wind heftig ins Gesicht.
Was mir als Surfer und Kiter viel Freude bereitet, bringt mir als Läufer eher weniger davon. Jeder Schritt gegen den Wind ist ein Kampf, die Uhr zeigt Zeiten, von denen ich dachte, dass man so langsam gar nicht laufen kann. Die km-Zeiten zwischen Gegen- und Rückenwind-Passagen lagen bei normalen extensiven DL bis zu 30 Sekunden auseinander.
Der Wind ist zudem ein unsichtbarer Gegner. Dann doch lieber einen Berg hochlaufen. Dort siehst du wenigstens die Steigung und deren Ende. Wenn du beim Wind denkst „in 400 m biegt der Weg ja ab“, dann freust du dich oft zu früh. Gerade bei stark böigem Wind oder vielen Hindernissen, wie Bäumen oder Häusern, gibt es starke Verwirbelungen und der Wind kommt, selbst nach einer 90 Grad Kurve immer noch von vorn. Es kostet auf jeden Fall sehr viel Kraft.
Aber jammern bringt nichts, also nehmen wir es wie es ist. Nutzen wir den Wind doch als „Trainingspartner“. Wenn du oft bei Wind trainierst, bist du ohne Wind umso schneller. Der erhöhte Widerstand, gegen den du gegen den Wind ankämpfen musst, macht dich letztlich nur stärker. Sprinter ziehen zu diesem Zweck schwere Autoreifen hinter sich her, andere tragen Gewichtswesten.
Wir sollten nur einige Dinge wissen und beim Training und Wettkampf beachten.
Strömungswiderstandskraft steigt quadratisch
Wir haben ja immer gegen einen Strömungswiderstand anzukämpfen. Auch bei Windstille. Da wird dieser erzeugt aus der eigenen Laufgeschwindigkeit. Dies ist auch der Grund, warum man auf dem Laufband eine Steigung von etwa 1,5% einstellen sollten. Um diesen Widerstand auszugleichen.
Der Widerstand ist sowohl abhängig von der Windgeschwindigkeit als auch von der eigenen Laufgeschwindigkeit. Dies aber leider nicht linear. Die Strömungswiderstandskraft steigt bei steigendem Gegenwind und zunehmender Laufgeschwindigkeit im Quadrat an.
L.G. Pugh (London) experimentierte 1971 mit einem in einem Windkanal installierten Laufband. Er maß den Sauerstoffverbrauch von Läufern über einer Vielzahl von Laufgeschwindigkeiten und Windgeschwindigkeiten. Er fand heraus, dass der Sauerstoffverbrauch und damit der Energieverbrauch proportional zum Quadrat der Windgeschwindigkeit steigt.
So ist die Leistung von Wind mit 10 km/h Geschwindigkeit viermal so groß wie die eines Windes mit 5 km/h. Der zusätzliche Widerstand durch die eigene Laufgeschwindigkeit ist bei einem Tempo von 3:10 min/km doppelt so groß, wie beim Auftreffen des gleichen Windes bei einem Tempo von 5:00 min/km.
Windschatten spart Energie
In einem weiteren Experiment maß Pugh zunächst den Sauerstoffverbrauch seines Läufers, während er alleine gegen den Wind lief und dann, als er einen Meter hinter einem anderen Läufer im Windschatten rannte. Dabei ergab sich eine Abnahme des Windwiderstands um 80%, wenn der Läufer einen Meter hinter dem Tempomacher gleicher Größe und Statur lief. Dies entsprach einem Rückgang des Sauerstoffverbrauchs um etwa 6% für das gegebene Tempo.
Nun ist es im Wettkampf sicher kaum möglich, 1 Meter hinter einem Läufer zu laufen ohne ihm dabei in die Fersen zu treten. Es ist aber immer noch von Vorteil, wenn man 1,5 bis 3 Meter hinter einem anderen Läufer läuft. Dann ergibt sich immer noch eine Abnahme des Windwiderstands um 30 bis 50%. Dies wird ja auch so im Radsport praktiziert. Damit sparst du Kraft und Energie. Das heißt, raus aus Wind. Suche dir im Wettkampf möglichst eine Gruppe gleich schneller Läufer und verstecke dich darin so gut es geht. Aus diesem Grund werden bei vielen Wettkämpfen Tempomacher für die Top-Athleten eingesetzt.
Auswirkung von Gegenwind und Rückenwind
In einer 1980 von C.T.M. Davies veröffentlichten Studie wurden die Auswirkungen von Gegenwind und Rückenwind auf drei Probanden in einem ähnlichen Versuchsaufbau im Windkanal untersucht. Dabei wurden die gleichen Ergebnisse erzielt wie von Pugh. Auf einem Laufband wird jedoch Rückenwind, der die eigene Laufgeschwindigkeit übersteigt, verschwendet, da man auf dem Laufband auf der Stelle bleiben muss.
Weitere Studien sowie die Ergebnisse realer Streckenrennen machen jedoch deutlich, dass die Vorteile eines Rückenwinds die Nachteile eines Gegenwinds nicht vollständig ausgleichen können. So wurde als brauchbarer Ansatz für die Praxis ermittelt, dass bei man bei einem Gegenwind von 15 km/h etwa 8% an Geschwindigkeit verliert, bei einem Rückenwind von 15 km/h jedoch nur 5% schneller wird.
Ebenso fanden die Forscher heraus, dass langsamere Läufer mehr Zeit bei Gegenwind verlieren als schnellere Läufer. So verliert ein 3 h Marathonläufer bei einem Gegenwind von 15 km/h etwa 10 min, ein 4 h Läufer dagegen schon etwas über 15 min. Umgekehrt profitieren langsamere Läufer mehr vom Rückenwind.
Ein ausgezeichneter Studien-Wettkampf für diesen Zweck ist z.B. der Punkt zu Punkt Marathon von Boston. So waren 2011 die Teilnehmer und Organisatoren begeistert von einem 15 km/h Rückenwind (bei 17 Grad), der Hunderte von Läufern zu persönlichen Bestleistungen führte.
In Berlin gibt es diesbezüglich übrigens einen interessanten 10 km Straßenlauf. Die gebügelte Strecke führt, bis auf ein paar wenige Kurven am Anfang und Ende, schnurgerade von Falkensee nach Spandau. Sie ist genau von West nach Ost ausgerichtet und liegt somit in der überwiegend vorherrschenden Windrichtung. Es gab da schon Jahre mit einem kräftigen Rückenwind ;-)
Vorsicht Auskühlung
Wir hatten ja gerade in den letzten 2 Wochen frühlingshafte Temperaturen bis 17 Grad. Der Wind fühlte sich jedoch eiskalt an, so dass ich immer eine Laufmütze dabei hatte. Durch den Windchill-Effekt lässt der Wind die Lufttemperatur kälter wirken. Das führt dazu, dass man trotz eigentlich angenehmer Temperaturen schneller auskühlt. Läuft du leicht bekleidet einen Wettkampf über eine längere Distanz gegen den Wind, holst du dir schnell eine Unterkühlung bis hin zu Blasenentzündung & Co.
Positiver Effekt von Gegenwind
Gegenwind ist nicht immer nur unangenehm und nervig. An heißen Tagen sorgt ein frischer Wind für Abkühlung und die entsprechende Thermo-Regulation. Mit Rückenwind kannst du zwar schneller laufen, der Einfluss von „ruhender Luft“ (von vorn) auf die Wärmeabfuhr kann jedoch nicht ignoriert werden.
Soweit ich weiß, wurde dieser Effekt bisher kaum oder gar nicht untersucht. D.h. wie stark beeinträchtigt die erhöhte Wärmespeicherung bei Rückenwind die Laufleistung an einem heißen Tag? Oder umgekehrt: Wie viel kompensiert eine erhöhte Kühlung durch Gegenwind den höheren Windwiderstand?
Das es einen Einfluss gibt, daran erinnern mich ein Wettkampf und einige Trainingsläufe. Der Wettkampf war der Ku’damm-Lauf in Berlin. Das war der heiße WM-Sommer 2006. Die Hitze hing noch am Abend über der Stadt und es ging nicht der geringste Wind. Ich begleitete außer Konkurrenz einen Kollegen, der erstmals unter 40 min laufen wollte. Wir liefen knapp über 39 min. Mir glühte aber dermaßen der Kopf, das ich es noch heute in nicht allzu angenehmer Erinnerung habe. Heute schiebe ich es nicht nur auf die Hitze, sondern auch den nicht vorhandenen kühlenden Wind.
Den unmittelbaren Unterschied zwischen Rücken- und Gegenwind bei Hitze erlebte ich bei einigen Trainingsläufen 2001 auf St. Lucia in der Karibik. Eigentlich war ich zum Surfen dort, wollte aber auch ab und zu abends laufen. Der täglich blasende starke Wind war abends leicht abgeflaut, die tropische Hitze nicht. Es gab einen immer geradeaus führenden Wiesenweg. Ich weiß nicht mehr wie lang die Strecke war, nur dass der Hinweg aufgrund der Hitze und der hohen Luftfeuchtigkeit eine Qual war. Auch hier hatte ich das Gefühl, mir platzt gleich der Kopf. Nach dem Wendepunkt kam der Aha-Effekt. Ab da blies mir nämlich der Gegenwind ins Gesicht und sorgte für eine angenehme Kühlung. So wurde es schließlich doch noch ein angenehmer Lauf. Die Sache mit der kühlenden Wirkung blieb mir im Gedächtnis.
Einige Tipps
Wenn du keine windgeschützte Trainingsrunde im Wald hast, sondern eine Wendepunktstrecke wie ich, dann passe gerade am Anfang deine Laufrichtung entsprechend an. Laufe am Anfang, wenn du noch genügend Kraft hast, gegen den Wind. Nach der Hälfte deiner geplanten Distanz drehst du um und läufst entsprechend leichter mit Rückenwind wieder nach Hause. Bist du ein harter Hund, so machst du es anders herum und hast so quasi den Effekt einer „Endbeschleunigung“. D.h. du musst wie beim Wettkampf am Ende mehr kämpfen.
Tempoläufe bei Wind sind nicht immer ein großer Spaß. Laufe sie mit äquivalenter Anstrengung und lasse dich nicht von den ungewohnten Zahlen auf deiner Uhr frustrieren. Aufgrund der oben angegebenen Werte kannst du deine Leistung besser einschätzen. Vielleicht hast du die Möglichkeit dir eine Strecke mit ca. 1/3 Gegenwind und 2/3 Rückenwind zu suchen, um die Wirkung etwas auszugleichen.
Passe ausnahmsweise deine Körperhaltung an, ohne den Laufstil negativ zu beeinflussen. Mache dich etwas kleiner, senke den Kopf leicht und biete so dem Wind weniger Angriffsfläche.
Wähle eng anliegende Lauf-Kleidung, um den Widerstand durch flatternde Sachen nicht weiter zu erhöhen. Wähle also lieber 2 Langarmshirts statt der locker sitzenden Jacke.
Wenn du ein Wettkampf für einen Angriff auf deine Bestzeit auswählst, schaue dir auch die Wetterstatistik für die Region an, vor allem die herrschende Hauptwindrichtung.
Suche dir Wettkämpfe, von denen du weißt, dass es viele Konkurrenten gibt, die das gleiche Tempo wie du laufen. So findest du eher eine Gruppe und kannst im Windschatten Energie sparen.
Nutze den Rückenwind wenn du welchen hast.